Wolfgang Menardi und Paul Zoller, zwei Bühnenbildner, die beide aus Innsbruck stammen und in Berlin leben, treffen sich zu einem Werkstattgespräch.
Wolfgang Menardi, langjähriger Schauspieler (Engagement u. a. an den Münchner Kammerspielen), ist mittlerweile seit 13 Jahren international gefragter Bühnenbildner (u. a. Arbeiten am Burgtheater Wien oder am Dramaten in Stockholm) und neuerdings auch als Regisseur tätig. Sein Gesprächspartner Paul Zoller, vormals Architekt, ist ebenfalls Bühnenbildner (international erfolgreich u. a. an der Deutschen Oper Berlin, der Opéra Comique Paris und der Brooklyn Academy of Music in New York) und zudem bildender Künstler im Bereich Performance und Installation. Gemeinsam sprechen sie über Eigenheiten ihrer Herkunft, die Definition und Substanz ihrer Kunst sowie über den Mikrokosmos Theater als Chance für die Gesellschaft, aber auch als Herausforderung für ihr eigenes Leben.
Wolfgang Menardi: Warum findet Quart uns interessant? Weil wir beide Innsbrucker sind, die einen Job ausüben, der in der darstellenden Kunst angesiedelt ist?
Paul Zoller: Beide sind wir aus den Bergen weggezogen und wohnen anderswo wieder nebeneinander. Der Zufall hat uns im Exil zusammengeführt und nun dürfen wir hier miteinander sprechen.
W. M.: Ich behaupte ja, dass man früh genug aus den Bergen verschwinden muss, um nicht für immer dort festzuhängen. Auch wenn ich als Innsbrucker diese Stadt sehr liebe, merke ich, dass dieser Kessel und die Berge etwas mit den Menschen machen. Aber je länger ich weg bin, desto lieber kehre ich auch wieder zurück. Als ich noch in Innsbruck gewohnt habe, hat sich alles hinter den Bergen immer wie eine Weltreise angefühlt, und das Dort-drüben war nie so wichtig wie das Hier.
P. Z.: Ich muss gestehen, ich bin am Tag nach der Matura weggegangen, habe keine Minute länger gewartet. Dennoch träume ich oft von der Sommerfrische in Nassereith. Da sehe ich die schöne Schlucht, das Schwemmland, die Wälder und Kiesberge und stelle dabei fest, dass jeder eine Landschaft, ein unbewusstes Stück Heimat, mit sich trägt, das man ihm und seiner Arbeit aber leider meistens nicht ansieht.
W. M.: Der Berg und die Ruhe – das ist auf alle Fälle ein sehr starkes Gefühl in mir. Je länger ich von daheim weg bin, desto wichtiger wird für mich ein „Dort kenne ich mich aus“.
P. Z.: Gibt es deiner Meinung nach eigentlich so etwas wie das Ur-Österreichische? Ich frage mich oft, ob die Menschen am Theater, seien es Dramaturgen oder Regisseure, das Österreichische beispielsweise bei Strauss / Hofmannsthal nachvollziehen können. Und wenn ich mich bei diesem Gedanken ertappe, bin ich mir natürlich sicher: Diese Frage ist unberechtigt und sie können das. Dennoch gibt es eine komplexe und vielschichtige österreichische Identität, die man einigen Werken nicht einfach abstreiten kann.
W. M.: Da stimme ich dir zu. Es gibt dieses eindeutig Österreichische, bei dem man sich einbildet, dass man es nur als Österreicher verstehen kann. Dieses Gefühl habe ich zum Beispiel bei guten Nestroy-Stücken. Etwas anderes klassisch Österreichisches ist die Art, miteinander zu sprechen, bei der ich immer eine gewisse Nähe zu den Menschen verspüre.
P. Z.: Am Landestheater in Innsbruck habe ich das Bühnenbild für die Oper Die Liebe zu den drei Orangen gemacht und da ist mir auch aufgefallen: Je mehr ich mich getraut habe, einen authentischen Dialekt zu sprechen, desto besser war die Kommunikation insgesamt. Diese Beobachtung bedient zwar das Klischee von einem Innen und Außen, aber ehrlicherweise ist mir das in dieser Form nur in Österreich begegnet.
W. M.: Ich kenne das hauptsächlich von meinen deutschen Kollegen, die sich nicht ganz einfinden können in die Kommunikation am österreichischen Theater. Ich selbst musste nie so viel Privates in meine Arbeit hineinlegen wie hier, das heißt, mich mit den Werkstätten oder der Technik konspirativ treffen. Ich mag das aber total gerne, denn dann lernt man sich auch wirklich kennen. Ich glaube, in Österreich ist man einfach allergisch auf Befehlsgehabe und möchte auf Augenhöhe kommunizieren.
P. Z.: Es klingt vielleicht pathetisch, aber das ist auch ein Grund, warum ich diesen Beruf so gerne mache, weil ich mit vielen verschiedenen Menschen auf Augenhöhe kommunizieren kann. Du warst doch früher mal Schauspieler, erinnere ich mich da richtig?
W. M.: Ja genau, ursprünglich war ich Schauspieler, habe sogar als 16-Jähriger in Innsbruck angefangen am Kellertheater zu spielen. Später bin ich dann in München u. a. ans Residenztheater (unter Dieter Dorn) und in weitere Ensembles übernommen worden. Auch wenn es wirklich gut für mich lief, hat mir trotzdem immer irgendetwas gefehlt. Irgendwann habe ich dann einfach ein kleines Bühnenbild neben meinem Schauspielengagement umgesetzt und dann ist das eine ganz plötzlich, aber dennoch organisch in das andere übergegangen. Jetzt bin ich schon mehr als eine Dekade lang Bühnenbildner und mein Job als Schauspieler ist nur noch ein Schatten, eine Erinnerung. Wie war das denn bei dir, du kommst doch eigentlich aus der Architektur?
P. Z.: Genau. Während meines Architekturstudiums bin ich nach Amerika gegangen und habe dort verschiedene Architekten kennengelernt, die sich nicht mehr auf das Bauen, sondern auf Konzeptionelles spezialisiert hatten. Ich wusste zwar anfangs nicht, was Bühnenbild bedeutet, aber es wurde in mir in dem Moment ein Feuer dafür entfacht, als ich die Performance von Erich Wonder und den Einstürzenden Neubauten gesehen habe. Wonder hat mich glücklicherweise sofort an die Akademie der Bildenden Künste in Wien ins Bühnenbildstudium übernommen. Das Theater und die Oper haben mir ursprünglich gar nicht gefallen, ich fand sogar, man solle sie zusperren, denn Kunst dürfe nur auf den Straßen stattfinden und müsse laut sein. Doch dann durfte ich erfahren, wie reich Theater, die Sprache, die Musik sein können. Als ich mich dieser Kunstform näherte, entstand eine Explosion in meinem Kopf und ich habe mich gefragt, warum mir vorher noch nie jemand davon erzählt hat. Theater ist so beispielhaft, modellhaft und setzt sich damit auseinander, wie Zusammenarbeit funktioniert und wie über Gesellschaft nachgedacht wird.
W. M.: Ja, deshalb kommt man auch vom Theater so schwer wieder los. Es ist eine Art Biotop, eine Nachbildung der großen Welt in einem kleinen, überschaubaren Mikrokosmos, mit eigenen, ganz klaren Regeln. Und irgendwann fühlt man sich dort mehr beheimatet als in der echten Welt. Ich empfinde das oft als Luxus, sich über einen gewissen Zeitraum mit ganz konkreten Dingen auseinandersetzen zu dürfen, einzutauchen in eine ganz spezifische Welt – und dabei noch Geld zu verdienen.
P. Z.: Ich habe gehört, es gibt ein Format, das Firmen anbietet, mit ihren Angestellten innerhalb von zwei Tagen eine Oper an einem Theater zu inszenieren. Allen Beteiligten wird dabei eine Rolle (Dirigent, Regisseur, Sänger usw.) zugeteilt und diese Positionen und deren Bedürfnisse sollen ohne Vorwissen nachempfunden werden. Dabei kann erkundet werden, wie man am besten miteinander arbeitet, kommuniziert und wie eine Gemeinschaft entsteht. Ich finde, an diesem Beispiel erkennt man ganz gut, dass Theater nicht nur Unterhaltung, sondern auch Struktur bietet.
W. M.: Dennoch ist diese Struktur nicht nur Segen, sondern auch Fluch. Wenn man am Theater oder in der Oper zu leben beginnt, wird man auf einmal heimatlos. Ich bin so selten in Berlin in meiner Wohnung, eigentlich immer nur in Theatern, überall, nur nicht zu Hause. Wir arbeiten viel zu viel, ich mache jetzt schon sieben Produktionen im Jahr.
P. Z.: Es ist auf jeden Fall zu viel. Ich glaube, das passiert vor allem aus der Angst heraus, dass es irgendwann vorbei sein könnte und mit Sicherheit auch vorbei sein wird. Das ist nicht unbedingt gesund. Aber magst du von deiner zweiten Regiearbeit erzählen, die gerade hinter dir liegt?
W. M.: Nach meiner ersten Regie in Mainz durfte ich jetzt meine zweite und größere Arbeit am Volkstheater in Wien machen. Nach fast zwölf Jahren als Schauspieler und 13 Jahren als Bühnenbildner musste ich meinem Rhythmus treu bleiben und wieder etwas Neues angehen. Ich wollte das unbedingt einmal ausprobieren und habe gemerkt: Es macht mir Freude. Vor allem, weil ich gerade als Bühnenbildner oft das Problem hatte, die Sachen nicht selber ausführen zu können. Da ich sehr szenisch denke, war ich oft nicht zufrieden damit, was aus meinen Entwürfen schließlich gemacht wurde. Jetzt als Regisseur kann ich die Dinge anders in die Hand nehmen.
P. Z.: Ich glaube, die meisten Bühnenbildner und -bildnerinnen wünschen sich, dass die Regie etwas einlöst, was bildnerisch sozusagen folgerichtig ist. Ich kenne ein paar von deinen installativen Bildern und verstehe ziemlich genau, was du meinst.
W. M.: Für mich ist es essentiell, dass der Raum wie ein weiterer Akteur mitspielt, eine eigene Geschichte erzählen kann, die nicht die gleiche sein muss wie jene, die der Regisseur erzählt. Somit kann und darf sich der Raum in die Aufführung einmischen. Ich fand das bei deinem Bühnenbild in Mannheim für L’incoronazione di Poppea wirklich sehr toll, das hatte einen Installationscharakter und gab dem Ganzen eine neue Perspektive.
P. Z.: Ich finde es wichtig, dass das Bühnenbild flexibel bleibt und sich während der vielen Gespräche, genau wie die Inszenierung, noch stetig wandeln kann. Das Bühnenbild ist ein Zwitterwesen zwischen einem designten Raum und der Zeit, die es benötigt, diesen zu erschaffen. Ich mag es, wenn sich Entwürfe verändern, erst das macht ihre Berechtigung am Theater aus. Ansonsten wird das Bühnenbild zur Dekoration. Ich habe Bilder von deinen letzten Arbeiten in Wien gesehen. Kann es sein, dass du dich gerade von einem Installationsgedanken wegbewegt hast?
W. M.: Ja, ich habe gerade Freude an einer Art Hyper-Realismus. Vor allem dann, wenn er von einem Stück gar nicht intendiert ist. Ich habe einen Abend mit Wiener Dialekt und Lautgedichten (u. a. von Gerhard Rühm, H. C. Artmann und Friedrich Achleitner) gemacht und habe mir den größtmöglichen Kontrast zu den Geschichten überlegt. Ich mag es nämlich, wenn sich die Sachen kratzen, mir gefällt das, ich finde das lustig. In meiner Arbeit bin ich dann auch immer sehr detailverliebt. Am liebsten mache ich alles selbst und kann daher meistens wenig mit Assistenten anfangen.
P. Z.: Ich hingegen bin froh, wenn ich die Detailarbeit nicht selbst machen muss und alles an die Werkstätten abgeben kann, auch wenn es dann nicht immer genau so wird, wie ich es gerne hätte. Das passiert leider meistens, wenn die Theater zu groß sind und man nicht an die Leute herankommt, die für die Umsetzung verantwortlich sind. Es könnte angenommen werden, dass die Arbeit an großen, bekannten Häusern besonders leicht und unkompliziert von der Hand geht. Aber wir beide haben an wohlbekannten Spielstätten schon das genaue Gegenteil erlebt. Viele denken, dass Theater ein Raum sein sollte, in dem sich die Dinge schneller verändern lassen als im Außen. Aber leider haben wir es oft noch mit einem Feudalsystem zu tun, das sieht man auch daran, dass die meisten Intendanzen (schauen wir nach Wien) männlich besetzt sind. Dabei gäbe es genug kompetente Frauen, die sich hervorragend für diese Stellen eignen würden.
W. M.: In Innsbruck haben wir ja endlich eine Frau an der Spitze des Tiroler Landestheaters. Das macht Innsbruck wirklich besonders, da müssen wir an dieser Stelle ein Lob aussprechen. Hast du eigentlich noch ein Standbein in Innsbruck – oder Familie?
P. Z.: Ich komme gerade aus Innsbruck, denn ich habe mich gerade eine Woche lang um meine Familie gekümmert. Für manche ist die Familie der Grund, weshalb sie zurück in die Heimat gehen, aber dafür bin ich noch nicht bereit. Letzthin habe ich mich mit einem Künstler in Wien unterhalten und gemeinsam haben wir festgestellt, dass überdurchschnittlich viele Künstler – Bühnenbildner sind ja keine Künstler – aus Tirol kommen.
W. M.: Warum findest du, dass Bühnenbildner keine Künstler sind?
P. Z.: Ich definiere einen Künstler als jemanden, der das gesamte Kunstwerk kreiert hat. Er oder sie erschafft alles aus sich selbst heraus und steht komplett für seine Kunst ein. Natürlich kann man auch als Kollektiv Kunst machen, aber ich empfinde die Bühne als Teil eines größeren Kunstwerkes, das auch nur von 20 bis 21.30 Uhr stattfindet. Und nach einer oder zwei Spielzeiten wird dann die Kunst weggeschmissen und die Zeit ist abgelaufen.
W. M.: Ja, das ist das Merkwürdige an unserer Arbeit. Es entsteht etwas, meistens sehr aufwändig, und dann bleibt einem nichts davon außer Fotos und Erinnerungen. Ich finde das trotz alle dem toll, dass nur noch eine Idee oder ein Geist von einer Produktion weiterbesteht.
P. Z.: Da sind wir auch bei der interessanten Idee von der Nachhaltigkeit eines Bühnenbilds. Für mich ist das Wesentliche am Bühnenbild, dass es nur eine gewisse Zeit existieren darf, auch wenn ich nicht für Ressourcenverschwendung bin, sollte alles immer wieder neu gedacht und erfunden werden.
W. M.: Bei einer Produktion in Düsseldorf mussten wir kürzlich das Bühnenbild CO2-neutral produzieren. Es war anfangs gar nicht so leicht, aber dennoch hat es Spaß gemacht. Wir haben ganze Abende damit verbracht, darüber nachzudenken, welches Material vorhanden ist und wie wir es weiterverwenden können. Das hatte tatsächlich einen befreienden Charakter, da nicht alles produziert werden musste, sondern bereits bestehende Sachen neu zusammengestellt oder komplett umgebaut wurden. Das Tolle dabei ist: Es entfällt der Originalitätszwang und gleichzeitig werden neue Denkprozesse angeregt. Wobei ich drauf geachtet habe, dass nichts wiederbenutzt wird, was sichtbar von jemand anderem stammt. Denn ich fände es schon schwierig, wenn Elemente, die man selbst erschaffen hat, von jemand anderem 1:1 wiederverwendet würden, da sehe ich uns halt doch als Künstler. Auch wenn der künstlerische Raum erst durch das Bespielen zum Leben erweckt werden muss. Aber du hast recht, Bühnenbild ist niemals das alleinige Kunstwerk. Es ist kein Kunstgenuss, kein spannender Raum, wenn nichts in ihm passiert. Ich habe manchmal schon die Sehnsucht, alleinige Kunst zu machen, von der mir auch etwas bleibt.