Claus Peymann, einst provokantester deutscher Theatermacher des Landes, soll Österreicher sein. Das zumindest behauptet Schriftsteller Peter Turrini. Im Jahr 1941 sei Peymann von einem Bergbauernhof in Maria Luggau nach Bremen adoptiert worden. Offiziell bestätigt wurde das nie. Eine Spurensuche im Lesachtal. Von Marlene Groihofer
Claus Peymann liegt unter meinem linken Bein. Es ist kurz nach Mittag und draußen hängen Nebelschwaden von den Bergspitzen. Vorbei rattert die Bahn an den Ortschaften Kleblach-Lind, Dellach im Drautal und Irschen. Ich hole Peymann in Form eines dicken Wälzers unter meiner Haxe hervor. „Mord und Totschlag“ heißt das Buch, das ein Streifzug durch sein Wirken ist. Der Theatermann als nacktes Kleinkind ist da drin, als junger Schnauzbartträger oder mit Krone auf dem Kopf.
11:33 Oberdrauburg
Aha, Peymann hat einmal behauptet, Waldheim hätte ihn geküsst.
11:35 Nikolsdorf
Aha, Peymann wollte einmal Österreicher werden und die ÖVP hat es verhindert.
11:36 Dölsach
Aha, Peymann ärgert sich, dass er als Kind Klavierunterricht verweigert hat.
11:37 Lienz
Oha: Peymann soll angeblich ein österreichischer Bergbauernbub sein.
„Was ist, wenn die Geschichte stimmt, und Sie wühlen da in seiner Vergangenheit herum?“, hat die Frau von der Adoptions-Organisation zu mir gesagt, bei der ich zum Thema nachgefragt habe. „Wenn man die eigene Herkunft erst spät erfährt, kann das traumatisierend sein.“ Es sei ihr schon aufgefallen, dass über Peymanns Kindheit nur ganz wenig online zu finden sei. Das sei verdächtig. Vielleicht stimme es ja, dass er 1941 als Vierjähriger von einem deutschen Ehepaar aus Kärnten wegadoptiert worden sei. Ob ich damit verantwortungsvoll umgehen würde?
[Meteorologe Thomas Krennert, GeoSphere Austria]
Wie lässt sich Gegenwind aus meteorologischer Sicht beschreiben?
Gegenwind ist abhängig von der Geschwindigkeit, mit der sich ein Fluid bewegt, also die Luft. Und er ist abhängig von der Widerstandsfläche, mit der ich mich bewege oder um die sich die Luft herum bewegt.
Fazit?
Je schneller sich die Luft um einen Körper bewegt, unabhängig davon, ob sich der Körper bewegt oder nur die Luft oder beide, je größer die Widerstandsfläche des Körpers ist, umso stärker ist der Gegenwind.
Ich hieve meinen Koffer auf den Bahnsteig in Lienz. „Wissen Sie, wo es Richtung Maria Luggau weitergeht?“, frage ich einen Mann, der mit mir auf den Lift wartet. „Gute Frage, nächste Frage“, sagt er und ich frage den nächsten Mann, bis ich den Busbahnhof entdecke. Ein Schienenersatzverkehrs-Chauffeur kommt mir entgegen, übernimmt kavaliersmäßig mein Gepäck und bringt es mir bis zum Sitz.
Die ältere Frau in der letzten Reihe trägt Trachtenjanker und isst zwei sehr lange Bergsteigerwürstel. Ich luge nach hinten, als es anfängt zu rascheln. Goldene Ferrero-Rocher-Papierdln sammeln sich auf ihrem Schoß. Auch sie ist angetan vom Busfahrer: „Dass es sowas noch gibt.“ Jetzt packt sie die Papierdln weg, rückt hinter mich und fängt an, mir das Luftschnappen wegzutexten. Erzählt von türkisen Koffern, von Münchner Polizisten, von Geigern, von Müttern, von Zügen, von USB-Sticks, von kaputten Schließfächern, von Bibliotheken – zehn Sekunden ergattere ich für eine Recherchefrage. „Claus Peymann, adoptiert aus Maria Luggau?!“, ruft sie. „Nein, das glaube ich nicht! Ich bin ja von dort, das wüsste ich.“Acht Stunden dauert es öffentlich von Wien bis in das kleine Dorf im Kärntner Lesachtal. „Darf ich ein Foto von Ihnen machen, ich würde Sie gerne jemandem schicken?“, fragt die monologisierende Frau, während wir auf den nächsten Bus warten, ihr Handy auf mich gerichtet. „Nein“, sage ich bestimmt. „Nicht einmal von hinten?“ „Nein, das machen wir nicht.“ „Darf ich wenigstens Ihr Gepäck fotografieren?“
Die Frau verschickt meinen schwarzen Koffer an Unbekannt. Text: „Betrifft: PEYMANN“.
Über Claus Peymann wurde einmal gesagt, er brauche immer Gegenwind – und wenn er ihn gerade nicht hat, würde er ihn sich selbst ins Gesicht blasen. Wie lässt sich der meteorologische Gegenwind auf Peymann umlegen?
Thomas Krennert: Je träger die Flüssigkeit ist, in die ein Körper eintaucht, je größer der Körper ist, je schneller er sich bewegt, umso stärker ist der Widerstand. Gegenwind ist eine Metapher für Widerstand, für jemanden, der sich vielleicht mit großer Fläche, mit großem Impact in einer stehenden Flüssigkeit bewegt. Das betrifft also alle Reformer oder Veränderer.
In Maria Luggau angekommen stehe ich am Straßenrand, lehne mich an ein Holzgeländer und werde von einer Ameise gebissen. Ich wische mir die braunroten Ameisenreste vom Ellbogen und beäuge die Gegend. Vor mir liegen Bauernhöfe mit alten Schindeldächern, flache Weiden, steile Hänge und eine Berglandschaft. Hinter mir ragt der Turm der Wallfahrtskirche in die Luft. Neben mir grast eine angeleinte Ziege.
Rund 300 Einwohner hat Maria Luggau, 1.300 die ganze Gemeinde Lesachtal. Steil und weit, kurvig und eng erstreckt sich das Tal entlang des Gail-Flusses. Es liegt einen Bach von Osttirol entfernt und keine drei Wanderstunden von Italien. Zwischen den Karnischen Alpen, den Lienzer Dolomiten und den Gailtaler Alpen. Hat Claus Peymann hier als kleiner Bub Brennholz geschleppt, die Äcker bestellt und Kühe gemolken?
Heiß ist es an diesem Herbsttag. Ein Spinnennetz vor mir glitzert im Sonnenlicht. An der Schautafel hinterm Bus-Bankerl hängt ein Plakat für den Jungbauern-ball.
Ich rolle meinen Koffer von der Bushaltestelle zum Hotel „Der Paternwirt“. Ich lege dort das Peymann-Buch „Mord und Totschlag“ auf den Tisch. Hotel-Chef Gabriel Obernosterer sieht sich den blonden Peymann als Kleinkind darin an. „Vom Gesicht her könnte er schon zu uns gehören“, lacht er. Wenn’s wahr ist, dann ist der Theatermann sein Großonkel.
[Frau um die sechzig, gelber Pullover]
Gibt es in Maria Luggau Gegenwind?
Ja, wie überall. Man muss halt umgehen können damit.
Von welcher Seite kommt er?
Kommt aufs Thema an.
Sind die Maria Luggauer stürmisch?
Nein, ich tät eher sagen, wohlüberlegt.
Ist Gegenwind etwas, das wichtig ist?
Ja, natürlich. Ich kann ja nicht erwarten, dass jeder von einer Idee begeistert ist. Man muss zuhören und die beste aus allen heraussuchen.
Gibt’s im Lesachtal ein Wettereck?
Die Steinwand. Und von Osten kommt auch Wetter. Wenn früher ganz schwarze Wolken waren, haben sie die Kirchenglocken geläutet, aus Angst, dass der Hagel die Ernte zerschlägt. Das Läuten hat dann die Wolken gesprengt. Das wirkt auch heute noch.
Es ist später Nachmittag. Ich sitze mit Gabriel Obernosterer in seiner Gaststube, im Radio läuft Popmusik und ich zitiere Turrini dazu: „Er (Peymann) wurde im Jahr 1937 als fünftes Kind des Keuschlerehepaares Hermine und Vinzenz Obernosterer in Maria Luggau geboren. Am 17.6.1937 wurde er in der Pfarrkirche des Ortes getauft und fortan Klausi gerufen. Claus Peymann heißt also in Wirklichkeit Klausi Obernosterer.“ Der Bauersfamilie Obernosterer sei es sehr schlecht gegangen, die Kinder hätten nur „Brosamen“ zu essen gehabt und „darbten vor sich hin“, bis 1941 ein Bremer Kaufmannsehepaar Klausi gegen ein Sümmchen adoptiert habe.
„Wenn Peymann also eigentlich Obernosterer heißt, könnte er ja mit den heutigen Obernosterers aus Maria Luggau verwandt sein, den einzigen aus Maria Luggau –
euch“, sage ich. Wirt Gabriel Obernosterer bringt mir ein Glas Mineralwasser und lacht. „Wir wüssten nicht, dass Verwandtschaft von uns nach Deutschland gezogen wäre“, sagt der Hotelier: „Aber natürlich …“. Was sei schon ausgeschlossen.
Es gibt nämlich sehr wohl Geschichten zu weggegebenen Kindern im Tal. Seine Großmutter sei mit 18 Geschwistern aufgewachsen, erzählt Gabriel Obernosterer, „zehn oder elf leibliche und die anderen sind aufgenommen worden. Früher war das ganz normal. Da kenne ich sogar noch welche, bei denen das selbst so war.“ Denn manche Familien konnten ihre Kinder nicht ernähren. Oft, weil sie den eigenen Grund und Boden im Wirtshaus verspielt hätten: „Die nächste Generation hat dann deshalb teilweise nichts mehr zum Leben gehabt.“ „Hat sich das aufgehört, das mit dem Grund-Verspielen?“, frage ich. „Ja, das gibt’s zum Glück nicht mehr!“ Auch Strom, Farbfernseher und Glasfaser-Internet hätten Maria Luggau mittlerweile erreicht.
Wenn, dann müsste Peymann aber zur Großvater-Seite des Wirts gehören: Anton Obernosterer, aufgewachsen in den 1920er Jahren, ursprünglich aus dem Nachbarort Liesing. Er war Bauer, hat zusätzlich mit Zimmervermietung begonnen und 1972 in Maria Luggau den heutigen „Paternwirt“ begründet. In dritter Generation wird das Vier-Sterne-Hotel mittlerweile ge-
führt.
In jedem Fall würde Peymann einem prominenten Obernosterer-Zweig entspringen: Auch das Wellnesshotel Tuffbad im Nachbarort ist in Familienhand und Vater Gabriel senior sitzt für die ÖVP im Nationalrat.
„Warst du schon mal im Burgtheater?“, erkundige ich mich beim Hotelier. „Nein, noch nicht“, sagt er. „Dann könnt ihr euch da nicht begegnet sein, Peymann und du.“ Gabriel Obernosterer schüttelt lachend den Kopf: „Nein, aber vielleicht war ja der Opa mal dort!“
[Zwei Damen und ein Mönch vor der Greißlerei]
Gibt’s in Maria Luggau viel Gegenwind?
Mönch: Nein, in Maria Luggau sind wir alle brav.
Frau 1: Na, na, do gibt’s scho viel Gegenwind.
Welche Themen betrifft der?
Frau 1: Politik amol.
Frau 2: Alle saufn zu viel, grausig. Ich hob selber solche Buam. Seit Corona hat sich das mehr in de Garagen verlagert. De hobn mehr Kisten dort stehen als de Kaufhäuser.
Frau 1: Für uns Alten ist das nicht schön, was der Alkohol bringt, de redn so blöde. Die Alten haben wenig Wert sozusagen.
Da braucht es mehr Gegenwind von den Frauen?
Frau 1: Die Frauen helfn jo mit. Den Leuten geht es viel zu guat, sog i oiwei.
Um beim Wind zu bleiben: Sind die Maria Luggauer recht stürmisch?
Frau 2: Trottlat.
Mönch: Ich komme aus der Slowakei und finde, in Maria Luggau ist es ganz angenehm zu leben.
[Eine der Damen macht sich auf den Heimweg, eine Flasche Schnaps in der Hand.]
Frau 1: Den muas i hamtrogn, weu i ollweil Besuch bekim, und da tuat ma hold amol a Schnapsl her!
Maria Luggau würde übrigens zuwachsen, wenn die Bauern das Tal nicht pflegen würden, lerne ich. Innerhalb von nur 15 Jahren wäre nur mehr Wald übrig. Als ich am nächsten Tag hier erwache, marschiere ich die Stufen Richtung Basilika hinauf, vorbei am alten Mühlenweg, und ziehe weiter Richtung Friedhof. Ich werfe einen kurzen Blick auf die schmiedeeisernen Kreuze: „Oberluggauer, Unterluggauer, Oberguggenberger, Unterguggenberger“, lese ich. Kein Obernosterer. Kein Peymann.
Wenig später steige ich im Nachbarort Liesing aus dem Bus. Zwei Stunden Wartezeit habe ich, bevor ich den Bürgermeister treffen kann. Hier liegt das Gemeindeamt für das gesamte Lesachtal.
Die Morgensonne lässt den Tau glitzern. Kirche, Marktplatz und Raiffeisenbank sind in herbstliches Gold getunkt. „Du siehst ja blendend aus!“, kommt ein Mann mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. „Wir kennen uns ja gar nicht“, sage ich. „Das macht ja nichts“, lacht er, „ich bin hier in Liesing der Pfarrer.“ Ich bekomme ein Frühstück im Pfarrhof und lande frisch gesegnet bei Bürgermeister Johann Windbichler.
Herr Bürgermeister, hast du einmal eine Inszenierung von Peymann gesehen? Johann Windbichler: Peymann ist bekannt, ich habe ihn oft mal in den Nachrichten gesehen, aber ich bin kein klassischer Theatergeher.
Gibt es bereits ein Denkmal für ihn in Maria Luggau?
Wir wären stolz, wenn er ein Lesachtaler wäre, da würden wir glatt etwas für ihn machen. Vielleicht können wir ihn einbürgern. Er könnte im Kloster die Führung übernehmen, als Spätberufener zurückkommen. Aber jemandem ein Denkmal setzen, der hier nicht daheim ist, das ist politisch gefährlich.
Aber es wäre nicht ausgeschlossen?
Ausgeschlossen ist nie etwas im Leben.
Wie sieht es aus mit einer Ehrenbürgerschaft?
Das ist ein ganz sensibles Thema. Wir halten uns damit sehr zurück. Wir haben nur drei Ehrenbürger. Den ehemaligen Arzt, einen ehemaligen Bürgermeister und unseren letzten Amtsleiter. Ich bin seit 2015 Bürgermeister und habe noch gar keine Ehrenbürgerschaft vergeben, nur Ehrenurkunden.
Peymann hat also keine guten Karten?
Hätte er schon, wenn er ein Lesachtaler wäre.
Ist der Name Obernosterer hier sehr verbreitet?
Das ist ein typischer Lesachtaler Name. Meine Vorfahren vor zwei Generationen haben sich auch Obernosterer geschrieben.
Das heißt, es könnte auch eine Verbindung von dir zu Peymann bestehen?
Könnte sein, dass auch ich verwandt bin mit ihm!
Darf ich dich noch zum Thema „Gegenwind“ befragen?
Kein Problem, ich heiße ja Windbichler!
Braucht es grundsätzlich Gegenwind?
Gegenwind ist immer gut. Ohne Gegenwind ist Flaute, da bewegt sich nichts, kein Blatt. Gegenwind erzeugt Kraft und Gegenkraft. Durch Gegenwind muss man eine Situation bewältigen, eine Herausforderung annehmen und lösen.
Als Bürgermeister ist man wahrscheinlich auch oft Gegenwind ausgesetzt.
Ja, da geht man manchmal dann in ein windstilles Eck und irgendwann flaut der Gegenwind wieder ab und man hätte sich die Kraft sparen können, weil am nächsten Tag eh alles wieder vorbei ist. Das ist oft so im Leben.
Sind die Lesachtaler stürmisch?
Nein, das sind sie nicht. Der Lesachtaler ist ein Menschentyp, den man von Veränderungen sehr überzeugen muss, kritisch gegenüber gewissen Neuerungen, aber wenn er sie dann annimmt, dann „ziagt er“.
Kein heißer Wind?
Nein, dann zieht er’s durch, da kannst du dich dann verlassen drauf. Aber ich hätte selbst auch noch eine Frage: War der Herr Peymann überhaupt schon einmal im Lesachtal? Wir laden ihn gern einmal ein, sein scheinbares Heimattal zu besuchen! Er soll kommen, dann wird der Wind hier für ihn zum Sturm.
Es gibt Sturm, wenn er kommt?
Ja, weil dann werden wir ihn stürmisch begrüßen!
Zu Adoptionen aus dem Tal im Zweiten Weltkrieg könne er im Übrigen nichts sagen, so der Bürgermeister. Aber vom Umgekehrten wisse er: dass Kinder aus deutschen Großstädten zum Schutz vor Bombardierungen vorübergehend ins Lesachtal gebracht worden seien. Manche dieser Familien würden bis heute eine Verbindung zur Region pflegen.
Auch sonst erfahre ich vom Ortschef einiges über Peymanns potentielle Heimat. Dass die Lesachtaler, obwohl Kärntner, eigentlich Tiroler Dialekt sprechen, Tiroler Tracht tragen und auch Tiroler Baukultur pflegen. Dass ihre Wurzeln slawisch, romanisch und bajuwarisch sind und das Tal um etwa 800 nach Christus besiedelt wurde.
„Setz di her do zu uns“, rufen zwei Männer, als ich aus dem Gemeindeamt komme. Über Mittag bleibe ich mit ihnen an diesem sonnigen Stammtisch beim Wirten am Ortsplatz, an den sich jeder dazusetzt, der so vorbeikommt. Spätestens von hier aus verbreitet sich nun: „Der Claus Peymann … könnte Lesachtaler sein.“
[Pater Silvo vom Servitenkloster in Maria Luggau]
Hat Gegenwind in der Bibel auch etwas Gutes?
Da ist er eher negativ.
Gibt es viel Gegenwind in Maria Luggau?
Bei der Wallfahrt letzten September gab es viel Gegenwind in materieller Form. Es hat die Dächer angehoben. So etwas habe ich vorher und nachher nicht mehr erlebt.
Wie soll man reagieren, wenn man auf Gegenwind trifft?
Ein Regenschirm ist zu wenig. Da braucht man die Klugheit, mit dem Gegenwind umzugehen. Oder eine bessere Ausstattung.
Peymann hat den Gegenwind scheinbar auch oft selbst gesucht.
Dann ist Gegenwind wichtig für ihn, damit er vorankommen kann. Ich wünsche ihm den Segen – der kommt vielleicht manchmal auch in Form von Gegenwind, weil er bei ihm etwas Positives, Kreatives verursachen kann.
Der Busfahrer des Lesachtales und ich, wir kennen uns jetzt auch schon. Gekonnt lenkt er die schmalen Kurven entlang. „Schönen Tag noch.“ Maria Luggau hat mich wieder. Am Fuße der Basilika beim schon bekannten „Paternwirt“ geht die Recherche in den Endspurt. Ich bin mit Albert Tiefenbacher auf einen Kaffee verabredet.
Der Maria Luggauer Landwirt Albert Tiefenbacher tut, was Peymann tut: Er inszeniert. Alle paar Jahre wird in Maria Luggau nämlich die Wallfahrtsgeschichte als Theaterstück gezeigt. Darin geht es um Helena, eine Bäuerin, der 1513 im Traum die Gottesmutter erschienen ist. Diese hat ihr aufgetragen, zu ihren Ehren eine Kirche zu errichten. Gesagt, getan: Über 40.000 Pilger kommen jährlich nach Maria Luggau. Geschrieben hat das sogenannte „Bildstöckl im Lesachtal“ Thomas Tiefenbacher, Alberts Großvater. Claus Peymann hätte allerdings schlechte Chancen: „Inszenieren darf das Stück immer nur jemand aus der Familie“.
Zusätzlich zum Theaterstück hat der Großvater seinen Nachkommen das wohl größte Privatarchiv Kärntens hinterlassen. Bis ins 14. Jahrhundert reichen seine gesammelten Dokumente aus der Region Oberkärnten und Osttirol zurück. Ob sich darin Peymann’sche Spuren finden? „Mir ist aus den Aufzeichnungen dazu nichts bekannt“, verneint Albert Tiefenbacher. Aber: „Das Gerücht, dass Peymann von hier wäre, das habe ich schon vor langem einmal gehört.“
Mittlerweile hat sich die Sonne verkrochen. Wolken verhängen die Berggipfel. Für eine finale Überprüfung marschiere ich nochmals in den Ort. Vorbei an der fehlenden Schule und dem fehlenden Supermarkt Richtung Kirche hinauf. Von weitem schon sehe ich einen Mann in Schwarz die herbstlichen Blätter zusammenkehren. „Bin ich da richtig bei Ihnen?“ Pater Silvo nimmt mich mit ins Servitenkloster.
„Wie hießen die Eltern? Hermine und Vinzenz Obernosterer. Die Namen sind mir schon mal begegnet.“
Große schwarze Taufbücher und Trauungsbücher liegen in einem Büro mit Bergblick vor ihm auf dem Tisch, mit langen Listen in Kurrentschrift. „Den Namen des Taufpfarrers Hugo Prettenpichler kenne ich nicht. Aber es gibt Fälle, in denen Pfarrer aus anderen Gemeinden hier ohne Erlaubnis jemanden getauft haben, ohne das zu notieren.“
„Als Herr Peymann geboren wurde, wie lange könnten Hermine und Vinzenz da schon verheiratet gewesen sein? Haben sie vor 1903 geheiratet?“
„Pauline, Franz, Aloisia … nein, kein Klaus …“
Eine halbe Stunde später verstaut Pater Silvo die Bücher wieder im Kasten und macht ihn zu. Nun ist es Gewissheit. Oder nicht? „Ich kann bestätigen, dass es keine Eintragung zur Taufe von Klaus Obernosterer am 17.6.1937 in Maria Luggau gibt“, sagt er. „Auch für St. Lorenzen gilt das. Leider.“ Man könnte aber noch in Taufbüchern in Liesing nachschauen, sagt der Pater, oder in Kötschach …
„Wie waren deine Recherchen?“, fragt Gabriel Obernosterer, als ich am nächsten Morgen mit gepacktem Koffer an der Rezeption seines Hotels auftauche. „Ergiebig“, sage ich, „ich kann mich nicht beschweren“. Wir lachen. Auch ich hätte den Lesachtalern jedenfalls etwas geliefert, sagt der Hotelier. Ach ja? „Gesprächsstoff. Für den Winter.“
Wieder im Zug, hole ich mein Handy aus der Tasche. „Ja, bitte“, erklingt Peter Turrinis Stimme. „Sind Sie neugierig?“, frage ich.