zurück zur Startseite

Experimentierfeld im realen Stadtraum

Die Franck-Fabrik – einst Symbol für die Industriestadt Linz – soll einem Hochhausprojekt weichen. Als Reaktion auf dieses Vorhaben installierten die PAUHOF Architekten in der leerstehenden Fabrik ein „Schaulager“ – eine Selbstermächtigung mit den Mitteln der Kunst. In Quart sind Dokumente dieses exemplarischen Falls zum Thema Städtebau zu finden: Fotografien von Walter Niedermayr, der das Schaulager im urbanen Kontext erkundete, und ein Rückblick der PAUHOF Architekten Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger.

Beim Projekt „Radikal Urban | Stadt | Ökologie“ handelt es sich um ein hybrides, ja experimentelles Projekt, das die Thematiken Ausstellung / Forschung / Diskurs außerhalb eines institutionellen Rahmens bzw. des Kunstraumes als Ganzes zum Sprechen bringt. Experimentell schon allein wegen des gewählten Handlungsraumes in der obersten Etage der Franck-Fabrik Linz. Wir bereiteten für unser Vorhaben etwa 1.500 m² von den etwa zehn Jahre nicht mehr genutzten, rohen Fabrikräumen auf. Eine zentrale Halle für die Hauptinstallation (450 m²) sollte das PAUHOF’sche Architektur / Stadt-Denken im Kontext einer künstlerischen Intervention sehr unmittelbar und sinnlich erlebbar vermitteln. Ein direkt angebundener Nebenraum diente uns als Büro/Werkstatt und ein weiterer, verdunkelter Filmraum erweiterte die Möglichkeiten der Rezeption in Richtung Stadtkonstituierung im Medium Film – z. B. „HITCHCOCK & PAUHOF: The Wrong House“. Zwei weitere Fabrikhallen banden wir mit gezielter Blickregie in das Geschehen ein, wobei eine, mit Tischen versehen, gelegentlich zum Seminarraum mutierte. Diese Konzeption entstammt der Idee, ein Zielpublikum zu generieren, weil es per se dort bislang keines gab. Auf der Eingangsfassade gegenüber dem Design Center Linz verweist eine überdimensionale, weithin sichtbare, im Wind wehende Flagge mit PAUHOF-Logo auf unsere Präsenz unmittelbar dahinter – ein „Hinweis“, der vielleicht auch die Anmutung einer Hausbesetzung im Franckviertel suggerierte. Für die Öffentlichkeit entschieden wir uns allerdings für den Begriff „Schaulager“ – auch aus rechtlichen Gründen. Diese Konstellation erforderte unsere ständige Anwesenheit vor Ort während der offiziell deklarierten Ausstellungsdauer. Wir arbeiteten in der dortigen, etwas abgetrennten Büro-Werkstatt im Verband der Ausstellungsräume und widmeten uns bei Bedarf den Besuchern der Schau. Mit dieser ständigen persönlichen Präsenz gewährleisteten wir nicht nur eine intensive Betreuung der Besucher (ab dem 6. September 2023), sondern beförderten damit auch den Diskurs vor Ort, von dem wir inhaltlich profitierten und der uns gute Grundlagen schaffte für eine angestrebte alternative städtebauliche Planung über das gesamte Nestlé-Areal unter Einbeziehung des Bestandes. Wegen des anhaltenden Interesses verlängerten wir das Vorhaben noch über das planmäßige Ausstellungsende am 6. November hinaus bis zum 6. März 2024 (dann allerdings nur noch für Gruppenführungen, universitäre Seminare … und Vertreter von Institutionen).
  In dieser Phase entstand das 33 Minuten lange Video* „PAUHOF Schaulager“ von Georg Ritter. Basis des Videos ist ein ausführliches Interview vor Ort, begleitet von Filmsequenzen der Installation und ergänzt durch Bildmaterial aus unserem Archiv.

Interaktion Kunst

Der international renommierte Künstler Walter Niedermayr fotografierte nicht nur die PAUHOF-Installation in der oberen Fabriketage gleich nach der Eröffnung, er erkundete auch das übrige Raumkontinuum und den urbanen Kontext des Areals. Unter einem völlig anderen Blickwinkel fotografierte die Künstlerin Siegrun Appelt die Ausstellung, indem sie sich auf ganz spezifische Fragmente konzentrierte. Dieter Auracher widmete sich in seinen Kurzvideos in originärer Sicht den Metallmodellen, aber auch den großformatigen Bildern und Objekten. Diese Auseinandersetzung mit einer freien Interpretation konkreter Rauminterventionen durch Künstler befördert nicht nur differenzierte Wahrnehmungsebenen, sie erlaubte PAUHOF zudem eine kritische Selbst-Reflexion über Genrekonventionen hinaus.

Die Bedeutung des Leerstandes Franck-Fabrik für das Vorhaben

Fast alle unserer bisherigen Ausstellungen fanden in international viel beachteten Häusern in Metropolen statt. Dort gab es immer konditionierte Ausstellungsräume, verantwortliche Kuratoren, eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit, hierarchische Organisationsstrukturen, ein Aufbauteam … und ein mit der Ausrichtung des Hauses vertrautes Publikum. Beim vorgestellten, temporären Vorhaben in der Fabrik gab es keinen dieser stabilen Faktoren. Der Ausgang war ungewiss. Das Wagnis sollte zum inhaltlichen Konzept werden und auch für die Rezipienten erfahrbar sein. Unter solchen ungemütlichen Gegebenheiten hofften wir näher an die mitunter grausamen Bedingtheiten und Brüche der Stadt heranzukommen, diese zu verstehen, in zukunftstauglichen Entwürfen darzustellen, die Öffentlichkeit außerhalb des geschützten Kunstraumes mit dieser Thematik des Stadtumbaus, der Stadteroberung zu konfrontieren. Kurz nach der Gründung von PAUHOF stellten wir uns schon einmal einem ähnlich gewagten Unterfangen, nämlich bei der Wiener Festwochen-Ausstellung „Topographie I“ mit Martin Kippenberger im U-Bahn-Bautunnel unter der Mariahilferstraße und Lawrence Weiner auf dem Flakturm im Esterhazypark. Eine Herausforderung für PAUHOF, damals in der Rolle als Ausstellungsgestalter. Dieser unkonventionelle Eingriff der Kunst ins Stadtgewebe von Wien wurde bald abgewendet, ist trotzdem ins Gedächtnis der Stadt eingeschrieben und taucht gelegentlich in Form von Fragmenten oder als „land art“ weltweit immer wieder auf – jetzt nur noch im internationalen Kunstkontext unter entsprechenden Kunstmarktkonditionen. Im Wiener Stadtraum sind die Spuren inzwischen längst verwischt, der Flakturm, heute eine Karikatur seiner selbst, und die unter der Mariahilferstraße befindlichen Zwischenräume existieren nur noch als abgemauerte Leere. Sowohl beim Projekt der Wiener Festwochen als auch bei der Einrichtung des Schaulagers in der Franck-Fabrik Linz gab es viele Überschneidungszonen mit den dort im Alltag tätigen Arbeitern, die wenig bis gar nichts mit Kunst zu tun haben, sich erst einmal eher belästigt fühlten. In Wien waren es die Bauarbeiter aus den Ostländern am U-Bahn-Strang, eine Ebene tiefer, und in Linz die Leute eines privaten Auto-Abschlepp-Dienstes bzw. die Mannschaft eines türkischen Gastronomiebedarf-Verteilers. Diese beherrschten das EG und den ersten Stock, PAUHOF die 3.500 m² der obersten Fabriketage. Das Geschoss dazwischen war menschenleer. Wir teilten uns nur den für alle wichtigen Lastenlift und die ständig besetzte Verladezone mit Zugang zum Lift. Kommunikation gab es wenig, doch sie funktionierte, weil alle bald merkten, dass es Vorteile bringt zu kooperieren, ohne das Handeln der jeweils anderen wirklich zu begreifen. Und in Ausstellungen gibt es ja viel zu sehen, worüber man beiläufig reden kann, in Linz, in Wien … Stadt funktioniert eigentlich recht normal, die Kunst mitunter auch jenseits des Kunstraums. Schon im gegenüber der Franck-Fabrik Linz liegenden Hotel des Designcenters trennen sich die Welten wieder – trotz der dort oft untergebrachten („legeren“) Fußballer bleibt es dort „vornehm“, mit Konferenz- und Messegästen, Geschäftsleuten, mit der Bar und dem Restaurant mit Garten. Die unwirtliche Franckstraße liegt dazwischen und damit verbunden sind auch andere gesellschaftliche Bedingtheiten mit all den oft unsichtbaren Grenzen. Diese Ungleichzeitigkeiten gehören zum Wesen einer lebendigen Stadt. Spekulative „tabula rasa“-Stadtplanungen gefährden diese Freiheit – so hoch können die Häuser gar nicht wachsen!
    Welche Schlüsse ziehen wir aus dem „Vorhaben“ in Linz? Von einem Vorhaben sprechen wir deshalb, weil wir die Arbeit eher als Ausgangspunkt für ein zwangsweise sich änderndes Stadtverständnis erachten, das noch zu entwerfen ist, das es wert ist, vertieft planerisch erfasst zu werden. Die Fabrikbestände sind aus kulturellen, ökologischen und auch ökonomischen Erwägungen heraus zu respektieren, könnten durch eine intelligente Transformation das Franckviertel bereichern. Architektur und Stadtplanung wären speziell im gegebenen Fall als Gesamtheit zu betrachten, Kunst hat sich auch abseits der Museen und Salons zu bewähren, Stadtbegrünungen dürfen nicht nur als Imagefaktor der Politik propagiert werden, sie wären als lebensnotwendiger Bestandteil ganz selbstverständlich im Stadtraum zu integrieren. PAUHOF kennen nach zwei Jahren physischer und intellektueller / künstlerischer Präsenz auf dem Nestlé-Areal auch die Defizite des Fabrikbestandes mit all deren stadträumlichen Brüchen und wollen trotzdem mit ihrer Kompetenz die dort implizierten Möglichkeiten ausloten – als Gegenmodell zum lancierten „tabula rasa“-Vorschlag mit drei neuen Hochhäusern. Die Ars Electronica Linz präsentiert sich im Programm für 2024 unter dem Motto „HOPE – who will turn the tide“. Ein Motto, das auch einer behutsamen Wiederbelebung des Franckfabrik-Areals unter den Prämissen der Koexistenz von bestehender Raumstruktur gut anstünde, ergänzt mit stadträumlich genau kalkulierten neuen Architekturen als optimistische Basis.  

Selbstermächtigung als Strategie

Von Architekten wird erwartet, dass sie erst nach einem „Auftrag“ tätig werden und diesen dann nach vorgegebenen Kriterien erfüllen. Ein solcher Planungsvorgang führte über ein Wettbewerbsverfahren zum vom Bauträger und der Stadt gewünschten Ergebnis mit drei Hochhäusern – unter dem Titel „Trinity Park Linz“ der Öffentlichkeit präsentiert. Von den Fabrikbeständen ist auf den Renderings nichts mehr zu sehen und der Begriff „Park“ ist angesichts der dargestellten Bebauungsdichte nicht nachvollziehbar. Diese Konstellation ist eindeutig. Jede weitere Auseinandersetzung mit dem gegebenen urbanen Problemfeld beruht daher auf einer Basis der Selbstermächtigung der Protagonisten mit den Mitteln der Kunst. PAUHOF entschieden sich für die Form der Ausstellung / Installation im Fabrik-Bestand und der Künstler Walter Niedermayr näherte sich autonom der Thematik als kritischer Beobachter von außen mit der Kamera – im Kontext seines beachtlichen fotografischen Werkes. Eine langjährige Vertrautheit mit dem jeweils anderen Werk und Kenntnis der jeweiligen Raumauffassung bzw. des Stadt-Denkens eröffnete recht spezifische Perspektiven – einen anderen Blick auf urbane Transformationen, bei dem Stadtplanung und Architektur gesamtheitlich betrachtet werden.
    Walter Niedermayr richtet nicht nur einen originären Blick auf alpine Landschaften in seinen mehrteiligen Tableaus, er integriert auch Brüche, geschuldet den benötigten oder aufgelassenen Infrastrukuren, den oft deplatziert wirkenden Menschenmassen in den Bergen, den Resten der Gletscherbewirtschaftung …! Durch die Reduzierung der Farbdichte schärft sich die Wahrnehmung, entsteht eine Abstraktion der Wirklichkeit und die Fotografie erfährt eine andere Bedeutung. Ähnliche Bild-Strategien verfolgt er mit seinen Aufnahmen von Stadtlandschaften. Und dann gibt es noch die Werkgruppen Gefängnisse, Krankenhäuser oder Rohbauten, die uns als Architekten besonders fordern. Klassi-
sche Architekturfotografie zu Repräsentationszwecken sucht man vergeblich in seinem Oeuvre, aber doch gibt es immer wieder die Zusammenarbeit mit Architekten. Ein Beispiel dafür findet sich in Quart Nr. 33 – mit PAUHOF unter dem Titel „Koexistenzen“. Exemplarisch und international viel beachtet spiegelt sich das auch in den Werken, die Walter Niedermayr mit dem japanischen Architekturbüro SANAA (Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa) realisierte. Es gab zwar in dieser Konstellation gemeinsame Ausstellungen, gleichzeitig fanden die autonomen Fotoarbeiten Eingang in bedeutende öffentliche Kunstsammlungen und es entstanden dazu wunderbare Bücher (u. a. im Hatje Cantz Verlag).   

Und wie näherte sich der Künstler dem Komplex Franck-Fabrik Linz mit dem PAUHOF-Schaulager in der obersten Etage? Er quartiert sich im gegenüberliegenden Hotel ein, auf Augenhöhe des Schaulagers, das durch ein großes Transparent weithin sichtbar im Straßenraum markiert ist. Von seinem Hotelzimmer aus überblickt er die komplexe urbane Situation und erkundet diese mit seiner Kamera. Danach fotografiert er die Leerstände in der Fabrik mit dem iPhone, soweit diese für ihn zugänglich waren, unter besonderer Beachtung der Spuren, die die früheren oft wechselnden Produktionsbedingungen erahnen lassen. Erst am Tag darauf richtet er seinen Blick auf die Ausstellung im Schaulager, diesmal mit seinem professionellen Fotoequipment. Sein forschender Wahrnehmungsprozess verweist auch auf den Produktionsprozess bei PAUHOF, der in diesem Fall nie einem konkreten Plan folgte. Es galt, auf die rohbauartigen Rahmenbedingungen zu reagieren, diese visuell und inhaltlich mit den ausgestellten Werken mit differenten Maßstäben in einen spannungsgeladenen Einklang zu setzen. Also echte Experimentierarbeit. Walter Niedermayr hat diese Ambition gut erfasst und in seinen Bildern exemplarisch verdichtet … Bilder, die jenseits des Dokumentarischen eine originäre Wirkungskraft erlangen.

* www.dorftv.at/video/43956

 

im Heft weiterblättern


Email

registrieren

Ihre Email-Adresse wurde bei uns registriert und zur Liste der Newsletter-Abonnenten hinzugefügt.
Sie erhalten in Kürze ein Bestätigung per Email.