Wie James-Bond-Erfinder Ian Fleming in Tirol das Schreiben lernte. Von Joachim Leitner
„Sie werden Mühe haben, mich von Kitzbühel fernzuhalten“
Ian Fleming: James Bond – 007 („Im Geheimdienst Ihrer Majestät“)
Bond-Fans kennen die Szene: Augenzeugen gab es keine. Die Frau, die den Lancia steuerte, war auf der Stelle tot. Der Beifahrer verlor bei dem Unfall das Bewusstsein. Dass der Unfall keiner war, ahnt der junge Gendarm. Er schüttelt den Mann zurück ins Bewusstsein. Die Frau, seine Frau, ruhe sich nur aus, sagt er. „Wir fahren gleich weiter.“
Die Tage und Stunden vor dem Angriff war James Bond unvorsichtig. In München hatte er Tracy geheiratet. Am 1. Jänner 1962. Der seltsamen Frau, die ihn schon am Tag seines improvisierten Junggesellenabschieds (Bier und Würste mit einem Taxler im Franziskanerkeller) verfolgte, schenkte er keine Aufmerksamkeit. Der rote Maserati an der Tankstelle irgendwo im deutschen Eck zwischen Salzburg und Kufstein kümmerte ihn auch nicht. Als das Auto später, wenige Kilometer vor Kufstein, nah auffuhr, deutete ihm Bond, vorbeizufahren. Das Paar habe schließlich alle Zeit der Welt. Oder wenigstens zwei Wochen. Die hat Bond beim MI6 als Auszeit beantragt. Für seine Flitterwochen in Kitzbühel. Er liebe diesen Ort, erklärte er Tracy schon vor der Hochzeit. Auch sie werde ihn lieben.
In Gedanken an „Zithermusik, Bier und Schnaps“ fuhren Bond und Tracy auf „einer der gewundenen Straßen, die zu der großen Festung hinaufführten“.
Dann fielen die Schüsse.
Ian Flemings zehnter James-Bond-Roman „Im Ge-heimdienst Ihrer Majestät“ erschien 1963. Es war das bis dahin umfangreichste Buch der Reihe. Im Vorgänger-Roman „Der Spion, der mich liebte“ (1962) experimentierte Fleming mit einer Ich-Erzählerin. Diesmal war wieder auktoriale Autorität am Wort. Und die wusste erstmals von Bonds schottischer Herkunft zu berichten. Fleming schrieb „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ während der Dreharbeiten des ersten 007-Films „Dr. No“. Mit Bond-Darsteller Sean Connery hatte sich der Autor inzwischen abgefunden. Er hielt ihn für eine unglückliche Wahl: zu jung, viel zu ungestüm. Richard Burton wäre ihm deutlich lieber gewesen. Auch mit James Mason hätte er leben können. Oder mit dem nicht mehr ganz jungen James Stewart. Sofern Stewart zu einem britischen Akzent fähig wäre. Aber was soll man machen? Connery hielt Fleming für einen Snob. Fleming hingegen Connery für einen Hinterwäldler. Bei den Dreharbeiten, die unweit von Flemings Anwesen „Goldeneye“ auf Jamaica stattfanden, freundeten sich die beiden trotzdem an. Die Sympathie reichte jedenfalls für einige schöne PR-Fotos. Fleming dürfte geahnt haben, dass er Connery nicht so schnell loswerden würde. Und da der Schauspieler keine Anstalten machte, sein Schottisch für die Rolle abzuschwächen, bekam der Buch-Bond eine Vorgeschichte, die das rechtfertigte.1
Außerdem, daran allerdings war Connery unschuldig, ist Bond in „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ gefühliger als bisher. Er macht sich Gedanken. Oft auch die falschen. Deshalb funktionieren die letzten Kapitel des Romans als Kabinettstück beinahe Hitchcock’scher Suspense: Wir wissen um das Unheil, das dem glücklichen Paar droht, sehen, wie es der Katastrophe unbedarft und mit offenem Verdeck entgegenfährt.
Nicht erst auf den letzten Metern ist „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ ein Buch des Rückblicks. Bonds Gegenspieler Bloefeld beschäftigt sich neben Bioterrorismus vornehmlich mit Ahnenforschung. Auch Bond, bislang rücksichtsloser Zyniker, schaut zurück. Er hängt Erinnerungen nach. Er erlaubt sich Sentimentalitäten. Die Sehnsucht nach Kitzbühel ist eine davon.
Dass der spätere Geheimdienstler Bond in jungen Jahren in Tirol war, wussten seine Leserinnen und Leser 1963 noch nicht. Erst in der 1966 veröffentlichten Kurzgeschichte „Octopussy“2 findet sich ein knapper Hinweis darauf. Bond verhört auf Jamaica einen älteren britischen Major. Der gesteht einen Mord. 1941 hat er am Wilden Kaiser den Bergführer Hannes Oberhauser ermordet. Der Major suchte im Gebirge nach verstecktem Nazi-Gold. Bonds Ermittlungen sind persönlich motiviert. Oberhauser, sagt er gegen Ende der Erzählung, sei ein Freund gewesen, „er brachte mir vor dem Krieg das Skifahren bei, als ich noch ein Junge war. Er war ein wundervoller Mann.“
Hier greift Ian Fleming auf eigene Erfahrung zurück.Flemings Aufenthalte in Kitzbühel sind gut dokumentiert. Der Schriftsteller selbst beschreibt sie im Rückblick als „Goldene Zeit“, sein Biograph Nicholas Shakespeare stilisiert Flemings Tiroler Jahre zum „Paradise lost“, dem der Autor zeit seines Lebens hinter-hertrauerte.
Aber der Reihe nach: Ian Fleming, Jahrgang 1908, entstammt einer Familie, für die die Zuschreibung britische Oberschicht eine unangemessene Untertreibung ist. Großvater Robert gründete mehrere transatlantisch operierende Banken – und zählte bei seinem Tod 1933 zu den reichsten Menschen Europas; Vater Valentine war geachteter Anwalt, saß für die Konservativen im britischen Parlament – und starb im Ersten Weltkrieg den Heldentod. In der Times rief ihm Winston Churchill, ein enger Freund der Familie, nach; Mutter Evelyn war, was man heute wohl eine Society-Größe nennt. Als Erbin ihres frühverstorbenen Mannes verwaltete sie ein immenses Vermögen. Bei einer weiteren Hochzeit hätte sie es verloren. Beziehungen mit dem bekannten Maler Augustus John und schließlich Henry Paulet, dem 16. Marquess of Winchester, sorgten dafür, dass sie im Gespräch blieb; Bruder Peter begeisterte schon als Heranwachsender mit sportlichen und kreativen Höchstleistungen. An der Eliteschule Eton, wo die Prinzen des schwindenden Empire die Prinzipien der „stiff upper lip“ erlernten, löste Peter Fleming schon in seinem ersten Jahr Begeisterung aus. Später machte er sich als Reiseschriftsteller einen Namen.
Diese Gemengelage führte Ian im Sommer 1926 nach Kitzbühel. Auch er sollte in Eton für höchste Aufgaben vorbereitet werden – und scheiterte. Die Schulleitung störte sich an seinem bockigen Verhalten. Ians Mutter kam der Demütigung des drohenden Rauswurfs zuvor. Ihr Zweitgeborener sollte in der Armee Karriere machen. Sie schrieb Ian für den kommenden Herbst in der exklusiven Militärakademie Sandhurst ein. Ein Sommer in Tirol sollte ihn auch darauf vorbereiten.
Auf dem Tennerhof, einem 1679 erstmals erwähnten Bauernhof am Kitzbühler Horn, kümmerte sich ein eigenwilliges Paar um „schwer erziehbare“ Buben aus besserem Hause. Ernan Forbes Dennis war einst ein getarnter Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes, seine Frau Phyllis Bottome eine geachtete Autorin erbaulicher Schriften. Sie korrespondierte mit Sinclair Lewis und Ezra Pound. Ernan war als Abenteurer, Lehrer und Gentleman selbst in Übersee eine Berühmtheit. Ihre Kitzbühler Privatschule hatte das Paar 1924 gegründet. Vordergründig boten sie Sprachunterricht an. Dahinter stand allerdings ein im damaligen Kontext ungewöhnliches pädagogisches Konzept. Bottome hatte in Wien beim Freud-Schüler Alfred Adler Vorlesungen in Individualpsychologie belegt. In Kitzbühel wollte sie gemeinsam mit ihrem Mann Adlers Theorien praktisch erproben: gemeinsames Leben und Lernen als Gegenmodell zum Chauvinismus der Zeit.
Fleming ging das alles zunächst gehörig auf die Nerven. Er interessierte sich fürs Klettern und stürzte sich beherzt in den schlammigen Schwarzsee. Vor allem aber saß er im Café Reisch – und verdrehte den einheimischen Frauen den Kopf. „The local Heidis and Lenis and Trudis“ hätten eine unheimliche Schwäche für junge Briten, wusste Fleming noch Jahre später seinem Freund Cyril Connolly zu berichten. Das eigentliche Ausbildungsprogramm ignorierte Fleming so weit wie möglich.
Nach einem an amourösen Erfahrungen reichen Sommer ging er Ende August zurück nach England. Eindruck hinterließ nur die Lektüre des heute vergessenen idealistischen Philosophen Charles Secrétan. Jedenfalls blieb Fleming der Name Secretan (ohne Akzent) in Erinnerung. Im Typoscript von „Casino Royale“, Flemings erstem Agenten-Roman, stellt sich ein britischer Agent mit „Mein Name ist Secretan. James Secretan“ vor. Der dann doch etwas sperrige Nachname ist durchgestrichen – und durch ein handschriftliches „Bond“ ersetzt.
Schon wenige Monate nach Ians Rückkehr schrieb Evelyn Fleming einen verzweifelten Brief nach Tirol. Der 20-Jährige machte auch in Sandhurst Probleme. Man solle den Buben herschicken, schrieb Ernan Forbes Dennis nach London. „Gern auch im Winter. Wir werden sehen, was wir tun können.“ Forbes Dennis hatte inzwischen sowohl Evelyn als auch Überperformer Peter Fleming persönlich kennen gelernt. Und er war überzeugt, mit Ian ein lehrbuchreifes Beispiel dafür entdeckt zu haben, was Alfred Adler mit „Minderwertigkeitskomplex“ beschrieb. Nach einer Untersuchung Flemings bestätigte auch Adler die Diagnose. Noch, so lässt sich das Urteil des Analytikers zusammenfassen, kompensiere Fleming sein Gefühl der Unterlegenheit durch Aggressivität, Übermut und erotische Eroberungen. Aber bald könnte sich sein Ungenügen zur lebensbedrohlichen Neurose verhärten.
Ian beschrieb seine Situation kühler: „I found my-
self with no friend, no passion, no anchor whatever.“ Eine gewisse Lust an der Pose kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Seinen Ruf als böser Bube, der wegen aufmüpfigen Verhaltens aus England verbannt wurde, hat der junge Fleming jedenfalls auch genossen. Daran erinnern sich mehrere seiner damaligen Mitschüler. Und sie erinnern sich an rücksichtslose Scherze, die Fleming ausheckte: Er trug einen unsportlichen Kommilitonen beim Kitzbüheler Tennisturnier ein – und amüsierte sich königlich über dessen öffentliche Demütigung (er wurde einem lokalen Champion zugelost); er füllte einem Abstinenzler im Café Reisch Schnaps ins Wasserglas – und erhob seines kurz darauf mit großer Geste zum Toast auf Krone und Vaterland. Immerhin – Fleming soll sich danach liebevoll um seinen kotzenden Kommilitonen gekümmert haben.3
Für den Adlerianer Forbes Dennis war die Sache schnell klar: Es galt Flemings überschäumendes Temperament und seine kaum zu bändigende Energie zu kanalisieren. Der junge Mann brauchte ein Ziel. Fleming hat schon in Eton geschrieben. Kurzzeitig gab er sogar das Schulmagazin The Wyvern heraus. Hier wollte der Lehrer ansetzen. Er erstellte eine Leseliste deutschsprachiger Literatur: Kafka, Zweig, Schnitzler, Werfel, Rilke, von Hofmannsthal. Besonderen Eindruck hat Leo Perutz auf Fleming gemacht. Nach der Lektüre von „Wohin rollst du, Äpfelchen“ – Fleming erstand die Erstausgabe 1928 in München und las es während der Reise nach London – schrieb er dem Autor einen Brief: „Ich könnte lange über das Buch schreiben – über die Psychologie, über die Kontinuität und über die Edgar Poe’sche Menschlichkeit des Ganzen – aber mein Deutsch reicht sicher nicht aus.“
Hier übt sich Fleming in Understatement. Er hat in Kitzbühel hervorragend Deutsch gelernt. Auf Empfehlung von Forbes Dennis übersetzte er Klaus Manns pädagogisches Drama „Anja und Esther“ ins Englische.4 Neben Deutsch und Französisch lernte Fleming in Kitzbühel auch Russisch. Drei Fremdsprachen waren Voraussetzung für eine Laufbahn im Diplomatischen Dienst. Den hatte seine Mutter für Ian vorgesehen, nachdem sich Politik und Armee zerschlagen hatten.
Gut zweieinhalb Jahre hat Ian Fleming in Kitzbühel verbracht. Er lernte Skifahren – ob sich unter seinen Lehrern ein Oberhauser befand, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit ausschließen –, fuhr mehrere Automobile zu Schrott und lernte Lisl Jokl kennen, mit der er die erste ernsthafte Beziehung seines Lebens führte.5 Vor allem aber begann Fleming in Kitzbühel systematisch zu schreiben. Phyllis Forbes Dennis bot sich hier als Lehrerin an. Sie ermutigte Fleming, seine als „Jugendsünden“ abgetanen Gedichte aus der Schublade zu holen. Seinen ersten Erzählungen merkt man die Kafka- und Zweig-Lektüre an: bizarre Geschichten, die vornehmlich in einer an Wien erinnernden Großstadt spielen. „A Poor Man Escapes“ etwa handelt von einem Zeitungskolporteur, dessen Frau am Christtag stirbt. Er verpfändet ihren Besitz – und geht ins Kaffeehaus. Als er die Rechnung für Kuchen, Kaffee und Wermut nicht begleichen kann, vergiftet er sich und „stirbt als glücklicher Mann“, so die letzten Worte.
Neben einigen Erzählungen haben sich zartfühlende Gedichte aus Flemings Kitzbüheler Zeit erhalten. Sie folgen der Mode der Zeit: hoher Ton, frei flottierende Metaphern, gelehrsame Verweise auf große Vorbilder. Den handlungsgetriebenen, schmucklos-schlanken Stil seiner Bond-Romane, die ihn in den frühen 1950er Jahren berühmt machten, sucht man vergebens. Den hat sich Fleming erst später als Redakteur und Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters angeeignet.
Nach Kitzbühel ist Ian Fleming immer wieder zurückgekehrt. Er wollte den Menschen, die ihm wichtig waren, den Ort zeigen, der ihm „Sanatorium und Universität“ war. Keine von Flemings Liebschaften kam an Kitzbühel vorbei. Wenige Monate vor seinem Tod 1964 scheiterte der Versuch, ein letztes Mal das Kitzbüheler Horn zu besteigen, an Flemings angeschlagener Gesundheit. Seinem Freund Cyril Connolly zufolge habe Fleming, der gerade einmal 56 Jahre alt wurde, bei ihrem letzten Treffen „mostly of Kitzbühel“ geredet.
1963 veröffentlichte Fleming nicht nur den Bond-Roman „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“, er brachte mit „Thrilling Cities“ auch eine Sammlung von Reise-artikeln heraus, die er seit den späten 50er Jahren für die Sunday Times geschrieben hatte. Tirol ist darin kein eigenes Kapitel gewidmet. Aber in einer Geschichte über Wien fällt ein bemerkenswerter Satz, der dem Tirol-Tourismus bislang rätselhafterweise entgangen sein dürfte: „I have been back to the Tyrol countless times since those early days and I am confirmed in the opinion that they are my favourite people in the world“.
1 Ironischerweise war die Adaption von „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ (1967) der erste Bond-Film ohne Sean Connery. „The other fella“, George Lazenby, war Australier.
2 Mit dem gleichnamigen Film von 1983 hat die Erzählung wenig gemeinsam. Die Geschichte des Majors, dem Bond die Chance eines „ehrenvollen Todes“ schenkt, wird eher beiläufig angerissen, weder Nazi-Gold noch der Wilde Kaiser werden erwähnt. Auch durch den in Tirol gedrehten Bond-Film „Spectre“ (2015) geistert die Oberhauser-Geschichte, allerdings in einer etwas bemühten Variation, über die an dieser Stelle kein weiteres Wort verloren werden soll.
3 Ian Flemings bisweilen ungestümes Auftreten in Kitzbühel hat fraglos Eindruck gemacht. So lernte der britische Schriftsteller Cecil Roberts, der sich als Kriegsberichterstatter einen Namen machte, Fleming am Tennerhof kennen – und machte einen nach seinem Vorbild gezeichneten „young, angry aristrocrat“ zum Protagonisten von gleich zwei Romanen. Seine Inspiration hat Roberts nicht verschleiert. Der Held beider Romane heißt Ian. Der erste, „Spears Against Us“ (1930), spielt sogar großteils in Kitzbühel.
4 1929 bot er sich auch als Übersetzer von „Im Westen nichts Neues“ an. Doch die internationalen Rechte des späteren Weltbestsellers waren „about 6 month ago“ an andere vergeben worden.
5 Noch in seinem Testament bedachte er Jokl mit 500 Pfund und dem Hinweis, sie solle sich damit etwas Besonderes leisten.