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Die Masse will den schlechten Geschmack.

Das sieht ihr wieder einmal ähnlich, der Masse. Aber so ist sie eben, besonders die breite Masse. Eine schmale Masse hätte ja schon wieder etwas Elitäres. Von Alfred Komarek

Also, ich kenne sie nur vom Hörensagen, die breite Masse. Allabendlich, wenn die Stunde der prime time schlägt, umwabert sie zum Beispiel gespenstisch die Bildschirme, will erregt, verführt und belogen werden. Die Masse liebt es grell, laut und widerwärtig. Dem gehorchen die Medien, weil sie ja sonst keine Massenmedien wären. Aber sie tun es unter schweren Seufzern, mit schlechtem Gewissen und mühsam hinunter gewürgtem Ekel. Wer von Berufs oder der Berufung wegen die Masse befriedigen muss, wird nicht umhin kommen, sich zum massenweise gewünschten Tiefpunkt zu erniedrigen. Da übt sich fein ziselierter Intellekt in Vertrottelung, verliert sich das scharf geschnittene Profil in öder Banalität und verlischt funkelnder Witz in matter Humorigkeit.

Vom Diktat der Masse erlöst, wäre Daniel Kübelböck vermutlich ein scheu bewunderter Countertenor, DJ Ötzi beim Concentus Musicus und Jeannine Schiller zitierte im Treffpunkt Kultur aus dem Wittgenstein’schen Traktat. Öffentlich rechtliche Sendeanstalten würden sich wohlig erregt in bedingungsloser Ausschließlichkeit und Treue ihrem Kulturauftrag hingeben, die Privaten hätten ohne Unterlass lustvolle Höhepunkte edelster Ästhetik und gediegenster Qualität zu feiern, Intendanten, Verleger, Die Masse will den schlechten Geschmack. Das sieht ihr wieder einmal ähnlich, der Masse. Aber so ist sie eben, besonders die breite Masse. Eine schmale Masse hätte ja schon wieder etwas Elitäres. Von Alfred Komarek Redakteure und Veranstalter fänden tiefe Befriedigung im ritterlichen Wettstreit um das Gute, Wahre und Schöne.

So aber schiebt die Masse diese Bedauernswerten vor sich her.

Erst im Schutze der späten Nacht, wenn die Masse schläft, darf es von hohlwangigen Rufern in der Wüste gewagt werden, einsam und diskret gegen ihr gräuliches Diktat zu verstoßen.

Die Masse ist groß, die Masse ist mächtig, die Masse ist überall. Sie ist gestaltlos und namenlos. Die Masse verrät nicht, wer zur ihr gehört. Und jene, die zu ihr gehören, werden sich davor hüten, es zuzugeben. Zählt man alle zusammen, die es entrüstetet von sich weisen, mit der breiten Masse auch nur irgendetwas gemeinsam zu haben, stellt diese stilsichere, schönheitsdurstige und qualitätsbewusste Gruppe eine Mehrheit dar, die der Gesamtheit verdächtig nahe kommt.

Demnach wäre die breite Masse gar nicht breit, sondern eine verschwindend kleine Minderheit, ein Widerspruch in sich.

Wie misst man sie, die Masse? Es gibt keinen Maßstab dafür. Nicht einmal der Umstand, dass schamloser Schwachsinn nicht immer, aber immer öfter hohe Quoten oder Auflagen bringt, lässt auf ihre Ausdehnung schließen. Man schaut einfach zu, um Argumente für vernichtende Kritik zu sammeln, um im Bild zu sein – was immer das bedeuten mag – um Phänomene soziokultureller Banalität zu erforschen, um sich wieder einmal so richtig schön zu ärgern, oder weil einem weltoffenen Geist nichts Menschliches fremd sein sollte. Die Trottel sind jedenfalls immer die anderen. Die, in der Masse. Und die Masse will den schlechten Geschmack.

Für jene mit dem guten Geschmack wär’s natürlich schlichtweg eine Katastrophe, gäbe es die Masse nicht, jene Tiefebene, in der alles, was sich nur einigermaßen abhebt, im Lichte der untergehenden Kultursonne einen respektablen Schatten wirft.

Die Existenz der Masse mit ihren vulgären Wünschen darf einfach nicht geleugnet werden, weil sonst die Sinnhaftigkeit ihrer kultivierten Gegenwelt gefährdet wäre.

Dieses beruhigend ausgewogene Konstrukt ist allerdings leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es kommt nämlich durchaus vor, dass auch guter Geschmack massentauglich ist. Das geschieht immer dann, wenn sich seine Erfinder und Produzenten die Mühe machen, Billy Wilders dreizehntes Gebot zu beherzigen: Du sollst nicht langweilen. Wenn sie darüber hinaus Pathos durch Überzeugungskraft ersetzen, Klugscheißerei durch den verständlichen Gebrauch des Verstandes und vordergründige Effekte durch sinnliche Tiefenwirkung, braucht sich niemand zu genieren, ob Anbieter, ob Konsument.

Einmal angenommen, die Masse sind wir alle: in jedem von uns guter und schlechter Geschmack so selbstverständlich angelegt wie Gut und Böse. Jeder hat seinen Heiligenschein im Schrank und jeder hat seine Leiche im Keller, respektable wie schmutzige Seiten, selektiv wahrgenommen und individuell unterdrückt oder ausgelebt. Wir alle wären dann Anbieter und Zielgruppe für alles. Und die Propheten der Masse mit dem schlechten Geschmack sind vielleicht nur zu faul, zu habgierig, oder schlichtweg zu blöd dafür, annehmbare Qualität herzuzeigen. Sie klagen über Zwänge und kaschieren damit Unfähigkeit, sie verteilen Zensuren um die eigenen schlechten Zeugnisse nicht präsentieren zu müssen, sie bieten Mist an, weil ihnen nichts Besseres einfällt.

Sie fischen in der Masse nach Mehrheiten, nach Quoten, und sie tun das so effizient und so billig wie möglich. Darum fischen sie mit riesigen Schleppnetzen, mit Licht und Dynamit. Darum dezimieren sie die Vielfalt, rotten Gattungen aus und gefährden letztlich ihre eigene Zukunft.

Die Beute ist schuld, weil sie sich so leicht fangen lässt.

 

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