Ein Buschauffeur oder ein Gastwirt? Welchen Stellenwert hat der Bierdeckel in der Musikgeschichte? Und wer ist der Vater des musikalischen Dauerbrenners? Ein Münchner Tausendsassa oder doch der Postbusfahrer? Oder der Wirt mit Polizeivergangenheit? Von Thomas Nußbaumer
„Karl Ganzer wurde im städtischen Friedhof von Kufstein beigesetzt. Das letzte Geleit gaben ihm eine Menschenmenge von über 1000 Personen, der Bürgermeister Dr. Siegfried Dillersberger, die Künstler Maria und Margot Hellwig, Jodlerkönig Franzl Lang, Tekeo Ishii und German Hoffmann, der Leiter der Ochsenfurter Blasmusik, sowie Producer E.L. Frauenberger mit Gattin. Eine Abordnung der Tiroler Kaiserjäger erwies Karl Ganzer die letzte Ehre. Als sich die Kaiserjägerfahne über das Grab senkte, spielte Elmar Neulinger von der Kufsteiner Blasmusik in ergreifender Weise das zu einem Choral umgearbeitete Kufsteiner-Lied mit einem Bläserquintett. Das Rathaus von Kufstein wurde […] auf Beschluß des Gemeinderates schwarz beflaggt“
(Lustige Musikanten, 15. Jg., Nr. 1, Jan./Feb. 1988)
Im Jänner 1988 wurde Karl Ganzer, der Schöpfer des Kufsteiner Liedes „Die Perle Tirols“, Träger des Ehrenzeichens der Stadt Kufstein, ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen von RTL, Inhaber der Hermann- Löns-Medaille für seine Verdienste um die Volksmusik und anderer Auszeichnungen, unter beachtlichen Ehrbezeugungen zu Grabe getragen. Heute erinnert an Ganzer eine vom Rotary Club errichtete Gedenkstätte im Kufsteiner Weinhaus „Auracher Löchl“, von wo aus das Lied seinen Anfang nahm. Das sei in Anbetracht dieses Musikers zu wenig, befindet Egon Ludwig Frauenberger – jener Musikverleger aus München, der dem Lied, in welchem Kufsteins Schönheiten besungen werden, den Erfolgsweg ebnete. Ganzers Verdienste um Kufstein seien unschätzbar groß. Man solle ihm zu Ehren eine Kapelle errichten, vor der jährlich zu seinem Todestag das Kufsteiner Lied als Trauerchoral erklinge. Leider finde sich für ein derartiges Projekt niemand in Kufstein.
In der Tat scheiden sich an der berühmtesten Perle Tirols im Land selbst ein wenig die Geister. Es geht um Fragen der Identität und der Fremdwahrnehmung. Der musikalische Feldforscher findet das Kufsteiner Lied im Repertoire beinahe jeder Volkssängerin und jedes Volkssängers landauf und landab. Man singt es nach wie vor in geselliger Runde im Gasthaus, auf der Alm oder in der Schihütte – dort ist es schlicht ein „Volkslied“, Teil einer ehrwürdigen musikalischen Volkskultur. In den einschlägigen Internet-„Volksliedarchiven“ scheint es unter den „beliebtesten Volksliedern“ auf. Die heimischen Volksmusikexperten hingegen – orientiert am alten Volksliederschatz, wie er anno 1899 vom Urvater der Tiroler Volksliedpflege, Franz Friedrich Kohl, aufgezeichnet worden war – lehnen die Bezeichnung „Volkslied“ für das Kufsteiner Lied rundweg ab: zu empfindsam für den Tiroler Charakter, zu untypisch der in Chromatik schwelgende Melodieverlauf (gemessen am „bodenständigen“, d.h. älteren heimischen Liedrepertoire). Es passe besser die Bezeichnung „volkstümliches Lied“ zu ihm – womit es (wertend) unter die Rubrik der kommerziellen „Folklore“ fällt. Und für manche ist das Kufsteiner Lied auch nicht mehr als ein zu „Kitsch“ geronnenes Klischee vom heilen Tourismusland Tirol, ein alter Zopf, eine schon glanzlose Perle aus einer Zeit, als noch die „Tirolerabende“ boomten und man nach den Schuhplattlereinlagen ergriffen ein Heimatlied anstimmte. Ungeachtet ästhetischer Vorbehalte kritischer Geister, werben Kufsteins Tourismusanbieter im Internet durchwegs mit der zum Steher gewordenen Formulierung: „Kufstein, die Perle Tirols …“.
Außerhalb Tirols steht es um die Popularität des Liedes noch besser. Max Ladinser, Stadtrat für Kultur in Kufstein, ist stolz auf das Heimatlied. Er hörte es zu seiner Überraschung in Ceylon, Thailand und Kenia. In Ostasien spielt man es unentwegt. Und folgt man den Listen der deutschen Urheberrechtsgesellschaft GEMA, so ist das Kufsteiner Lied in Deutschland nach wie vor ein quotenträchtiger Evergreen. Von 1985–89 rangierte es im Bereich der Unterhaltungsmusik stets unter den Top Drei – zum Teil vor Hits wie „Strangers in the night“ und dem damals aktuellen Stevie Wonder-Schlager „I just called to say I love you“ –, seit den neunziger Jahren findet man es in der Auflistung der beliebtesten U-Musik-Nummern Deutschlands meist unter den ersten Zehn. Man singt und spielt es in den verschiedensten Besetzungen, vom Ziehharmonikasolo bis zum instrumentalbegleiteten Sololied, vom Klavierlied bis zum Blasmusikarrangement. Vielleicht wird es im nördlichen Nachbarland nach wie vor als eine Art musikalische „Signation“ für das Traumurlaubsland Tirol wahrgenommen – doch fehlen diesbezüglich verlässliche Untersuchungen –, oder, und das wäre auch eine Erklärung: Der genialste Wurf unter den Hunderten von Tiroler Heimatliedern, die zwischen den fünfziger und siebziger Jahren produziert wurden und die großteils heute niemand mehr kennt, gefällt den Menschen einfach noch immer.
Im Anfang war ein „Tangolied“
Die Entstehungsgeschichte des Kufsteiner Liedes im Jahre 1947 ist rührend und lehrreich hinsichtlich der Funktionalität von Unterhaltungsmusik in unseren Breiten, historisch gesehen setzt sie an jener Bruchstelle ein, in der das ältere, stark im Traditionellen wurzelnde Tanzmusikrepertoire immer mehr von neueren, international beeinflussten Musikströmungen zurück gedrängt wird. Karl Ganzer, geboren 1920, ist diesbezüglich ein Kind seiner Zeit. Eigentlich hätte der gebürtige Brixlegger Geige spielen sollen, doch als er sich bei einem Unfall ein Stück von einem Finger abzwickte, griff er zur „Zugin“ – zur diatonischen Knopfharmonika. Auf ihr hatte er schon als Schulbub ein paar Griffe erlernt, aber niemals die Noten, denn Musikschulen gab es in der Zwischenkriegszeit nur wenige. Ganzer war ein Vollblutmusikant und musizierte alles nach dem Gehör. Im Krieg hatte er selbst an der Front die Ziehharmonika mit dabei. Nach einer abenteuerlichen Heimkehr aus dem Krieg (per Fahrrad von Modena nach Kufstein) ließ er sich mit seiner Frau Traudl (Gertraud), die er schon während des Krieges geheiratet hatte, in Kufstein nieder. Er bekam eine Anstellung bei der Post und kurvte nun als Postbusfahrer durch Kufstein und die angrenzenden Ortschaften. Da es vier Kinder zu ernähren galt, nützte er sein musikantisches Talent, um eine zusätzliche Erwerbsquelle aufzutun. Zusammen mit vier Kollegen gründete er 1946 die Tanzkapelle „Pendlstoana“, ihr Stammlokal wurde das „Auracher Löchl“. Unmittelbar nach Kriegsende herrschte in Kufstein, wie sich der damals in der Festungsstadt lebende Volksmusikforscher Walter Deutsch erinnert, eine förmliche „Tanzwut“, der brennende Wunsch nach Unterhaltung und Abwechslung. Dementsprechend setzte sich das Publikum überwiegend aus der örtlichen Bevölkerung zusammen sowie einigen französischen Besatzungssoldaten, die sich für die Mädels interessierten. Touristen traf man noch kaum. Im kleinen Kufstein existierten mehrere Kapellen und Alleinunterhalter nebeneinander, die regelmäßig konzertierten. Man spielte alles, was neu und vorher unter den Nazis zum Teil auch verboten war: amerikanische und neue deutsche Schlager, Bigbandnummern, etwas Jazz.
In diesem Milieu entstand das Kufsteiner Lied, eigentlich ganz so, wie viele Volkslieder entstehen. Da Ganzer bald bemerkt hatte, dass er auf der diatonischen Ziehharmonika die moderne Tanzmusik, nach der sein Publikum verlangte, nicht spielen konnte, stieg er auf das chromatische Akkordeon um. Beim „Herumimprovisieren“ auf dem neuen Instrument fiel ihm, wie er erzählte, die Melodie zum Kufsteiner Lied ein. Sie lag gut in der Hand, allmählich verbesserte und verfeinerte er sie, und es entstand nach und nach der Text: die erste Strophe, als Ganzer am Steuer des Linienbusses die idyllische Altstadt Kufsteins betrachtete, die zweite und dritte Strophe bei Beobachtung des Publikums. Das war 1947. Erst zwei Jahre später spielte er mit seinen Pendlstoana-Kollegen „Die Perle Tirols“ öffentlich, und zwar im Gasthaus Waltl. Auf drei Bierdeckeln wurde der Text festgehalten.
Ganzer wurde, wie sich Walter Deutsch, der selbst eine Tanzkapelle leitete, erinnert, insofern herausragend, als er, anders als die meisten Unterhaltungsmusikanten in Kufstein, nicht bloß Neues, Modernes spielte, sondern auch eigene Lieder und Stücke, die dem Traditionellen verpflichtet blieben und darum auch populär werden konnten. Heimatlieder, Bergsteigerlieder u.ä. gab es auch vor dem Kufsteiner Lied schon im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Und so gründet die rasch steigende Beliebtheit des Kufsteiner Liedes darin, dass Ganzer, wiewohl sein Lied eine bemerkenswert originelle, persönliche Schöpfung ist, unbewusst zwar, aber mit dem Instinkt eines mit der Tradition vertrauten Vollblutmusikanten ausgestattet, auf musikalische und textliche Modelle zurückgriff, die dem heimischen Publikum vertraut waren.
Die Frühform des Liedes entsprach aber noch nicht dem heute so gängigen Jodellied im Walzerrhythmus. Dem glücklichen Umstand, dass das „Auracher Löchl“ 1952 eine Werbe-Faltpostkarte drucken ließ und als „Werbeträger“ akkurat das Kufsteiner Lied seiner Stammkapelle verwendete, verdanken wir seine schriftliche Überlieferung im Vierachteltakt, niedergeschrieben vom Musikanten Franz Friedl auf Ganzers Veranlassung, da er selbst die Notenschrift nicht beherrschte. Hier scheint auch schon die korrekte Urheberangabe auf: „Text und Musik: von Karl Ganzer. Bearbeitet von Franz Friedl“.
Das Kufsteiner Lied im geradtaktigen Metrum wurde als „Tangolied“ bezeichnet, wenngleich es mit dem argentinischen Tango – sieht man vom Vierachteltakt und den Synkopen ab – nichts gemeinsam hat und wohl eher als Marschlied umgesetzt wurde (im 4/4- Takt, womit die Synkopen wegfallen). Die Bezeichnung „Tango“ verwendete man, wie wir aus der jüngeren Tiroler Tanzmusikpraxis wissen, gerne, um anzuzeigen, dass der Charakter eines Stücks „modern“ ist. Was – abgesehen vom Fehlen des Dreivierteltaktes – die Urfassung ferner von der heute bekannten Fassung unterscheidet, ist das Fehlen des signifikanten Jodlers. Der Dreivierteltakt und der Jodler: sie wurden gut zwanzig Jahre später Gegenstand eines unerquicklichen Urheberrechtsstreites.
Münchner Perlentaucher
„Ein Lied wird oft dann erst zur Erfolgsgeschichte, wenn es zur richtigen Zeit den richtigen Interpreten findet“, erklärt Egon L. Frauenberger, Jahrgang 1931, in seinem Urlaubsdomizil Aschau /Brandenberg. Der aus München stammende Musikproduzent urlaubt, so oft er kann, in Tirol. Tirol ist ihm zur zweiten Heimat geworden, das Kufsteiner Lied ist sein Heimatlied, denn er hat diese Perle entdeckt und aufpoliert. Sie bescherte ihm finanziellen Gewinn, die enge Freundschaft mit der Familie Ganzer, doch auch so manche Mühsal, etwa die Verwicklung in einen jahrelangen Urheberrechtsstreit. Und da ist man besonders sensibel, wenn einer daher kommt und auch etwas über diese unerfreuliche G’schicht wissen will. „Schreib mir ja nix übers Geld,“ sagt er beschwörend, „denn das macht nur böses Blut“. Bei der informellen Frage, was denn das Lied seinem Verfasser Karl Ganzer so an Tantiemen eingebracht haben könnte, wird es fast ungemütlich. Er beantwortet sie auch nur vage in der Form, dass man den Gerüchten, das Lied habe Ganzer „irrsinnig reich gemacht“, nicht Glauben schenken dürfe. Und er erläutert die bekannte Tatsache, dass bei Tantiemeneinnahmen die vielen kleinen Pfennigbeträge erst über die Jahre hinweg zu größeren Erträgen führen.
Frauenberger, in der volkstümlichen Szene nach seinen Initialen auch liebevoll „Elf“ genannt, ist ein sprühender, einnehmender Gesprächspartner. Ein Geschäftsmann der Musik- und Tonträgerbranche durch und durch, „ein Musikmarkt-Mitarbeiter der ersten Stunde“, wie es in einer Lebensbeschreibung heißt, und mit vielen Talenten gesegnet, die wohl kaum ein anderer in sich vereint: Liederdichter und Produzent, gelernter Büromaschinentechniker, ehemaliger Student der Künste (Schauspiel, Dramaturgie, Sprechphonetik, klassischer Gesang), später Gebrauchsgrafiker, daneben Amateurboxer, Trainer, eine Zeitlang Sportreporter, Radiomoderator, Werbetexter, Spieleerfinder. Er ist Inhaber und Geschäftsführer der Edition Roland, Verlagsleiter der Edition Montana, Gründer und Geschäftsführer der edition-effelmusic, Inhaber der Dennerlein Musikverlage und des Neuen Münchner Musikverlags, seit 36 Jahren Vertragsproduzent der Firmengruppe Philips / Mercury /Deutsche Grammophon/ Polygram / Universal Music/ Karussell, er errang mehr als 50 Goldene Schallplatten und CDs. Etwa 250 Hörspiele (vor allem für Kinder), ebenso viele Kinderlieder und gut tausend „Gebrauchssongs“ hat er entweder getextet, komponiert oder produziert.
Nicht erst mit Eintritt dieser schillernden Persönlichkeit in die Geschichte des Kufsteiner Liedes im Jahre 1964, sondern schon etwas früher, kommt eine neue Qualität ins Spiel: der organisierte, professionelle Musikmarkt, die „Musikindustrie“, und die Problematik des Urheberrechts. Jahrelang war das Kufsteiner Lied in der Region gesungen worden, zunächst als Tango- bzw. Marschlied, dann immer mehr im Dreivierteltakt. Nicht nur Ganzer sang das Lied, sondern viele andere Musikanten auch, wie ein Volkslied in mündlicher Überlieferung wurde es „zurecht“ gesungen. Der heute bekannte Jodler schien anfänglich das am wenigsten konstitutive Element des Liedes gewesen zu sein, denn es existierten, parallel zu ihm, zumindest zwei weitere Jodler als Refrains.
1956 nun geschah für Ganzer etwas Unerfreuliches: Das Kufsteiner Jodlerduo Stadlmayr/Gasser veröffentlichte das Lied auf einer Single (produziert vom holländischen Schallplattenkonzern Philips), die aufgrund ihrer anfänglich überraschend guten Verkaufszahlen in Österreich mit der „Goldenen Schallplatte“ prämiert wurde. Im Anschluss an die Einspielung erfolgte der Vertrieb eines Notenblattes – der Zweitdruck des Liedes – durch den Wiener Eberle-Verlag. Erstmals sah Ganzer sich genötigt, seine Urheberrechte juristisch auszufechten. Das brachte ihm aber nur Scherereien ein und mehr Ausgaben als Einnahmen. Ganzers eigene Versuche, das Lied bei der Plattenfirma Ariola heraus zu bringen, scheiterten:
Man hielt die Perle Tirols nicht für glanzvoll genug.
Anders beurteilte das Lied acht Jahre später der damals 33-jährige Egon L. Frauenberger. Er produzierte gerade mit seiner „edition-effel-music-münchen“ den bayerischen „Jodlerkönig“ Franzl Lang und hatte somit den schon zitierten „richtigen Interpreten zur richtigen Zeit“ bei der Hand. Von Philips in Hamburg aufgefordert, sich „in Richtung alpenländischer Musik etwas einfallen zu lassen“, begab er sich nun nicht auf die Suche nach erfolgversprechenden Komponisten (wie in dieser Branche auch heute noch üblich), sondern nach schon bestehenden markttauglichen Liedern. Und dabei stieß er auf „Die Perle Tirols“, wichtiger noch: Er erkannte, dass sie eine Perle ist.
Bei den Copyrightermittlungen stellte er fest, dass Ganzer sein Lied weder bei der österreichischen Urheberrechtsgesellschaft AKM noch bei der deutschen GEMA angemeldet hatte. Über das Kufsteiner Meldeamt eruierte er Ganzers Adresse und wandte sich an ihn mit der Bitte, das Lied produzieren zu dürfen. „Låsst’s ma mei Ruah!“, soll Ganzer, der von dem ganzen juristischen Zeug zunächst nichts wissen wollte, dem Münchner geantwortet haben. Doch Frauenberger ließ nicht locker und „erarbeitete“ sich förmlich das Vertrauen dieses „Tiroler Sturschädels“ – mit dem Erfolg, dass Ganzer ihm am
18.11.1967 in seiner kleinen Kufsteiner Wohnung „die Auswertungsrechte in verlegerischer Hinsicht für Deutschland“ übertrug sowie die Berechtigung, ihn bei der GEMA anzumelden und dort zu vertreten. Der Vertrag wurde handschriftlich und sinnigerweise auf einer Postkarte mit dem Text des Kufsteiner Liedes festgehalten. Kurz darauf meldete Frauenberger Ganzers Lied bei den Urheberrechtsgesellschaften an, was dem Musikanten bei den späteren Rechtsstreitigkeiten entscheidende Vorteile einbrachte. Die Rechte für Österreich hatte sich um 1957 bereits der Wiener Eberle-Verlag gesichert, die Weltrechte übertrug Ganzer in der Folge Frauenbergers edition-effel-musicmünchen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
1969/70 ging Frauenberger nun an die Produktion des Liedes und legte es dem Franzl Lang vor. „Du musst es so schlicht wie möglich singen, ohne Firlefanz, damit jeder Mensch mitsingen kann“, schärfte er dem „Jodlerkönig“ ein, der den Refrain gerne etwas akrobatischer gestaltet hätte. Bei Philips erschien die erste Single-Produktion mit Lang, und sie schlug ein. Zielstrebig produzierte Frauenberger das Lied mit weiteren volkstümlichen Stars und veröffentlichte zugleich Notenhefte für das musizierende Publikum: „Die Perle Tirols“ für Akkordeon und Gesang, für Steirische Harmonika, für Klavier und Gesang, für Heimorgel und Gesang, für Zither, selbstverständlich für Blasmusik und in diversen Liederheften. 1973 konnte der Verleger der Presse eine Viertelmillion verkaufter Schallplatten vermelden.
„… denn das macht nur böses Blut“
Bis dato wird in der Region Kufstein gesprächsweise immer wieder die Urheberschaft Ganzers am Kufsteiner Lied – wohl auch in mangelnder Kenntnis historischer Fakten – etwas angezweifelt. Die verschiedensten Namen kursieren, fragt man konkret nach, will sich niemand festlegen lassen. Anders Paula Baumgartner aus Kufstein. „Ich bin davon überzeugt, dass meinem Mann damals Unrecht geschehen ist“, erklärt sie mit unerschütterlicher Stimme und übergibt dem Fragesteller einen Aktenordner mit Unterlagen zu einem heute fast nicht mehr bekannten Rechtsstreit. Die Rede ist von Hans Baumgartner (1920–1992), von Beruf Polizeibeamter, später Gastwirt in Hopfgarten im Brixental und einer der vielen ehemaligen Musikerkollegen Karl Ganzers. Er wandte sich 1973, als das Lied immer bekannter wurde, an effel-music und behauptete, die Umformung des Liedes vom Vierachtel- zum Dreivierteltakt sei sein Werk, er habe also eine entscheidende, urheberrechtlich zu schützende Bearbeitung an dem Lied geleistet. Auch sei er der Komponist des Jodlers. Er und seine Frau hätten im August 1952 bei einer Sendung des „Austro Funk“, aufgezeichnet im Kolpingsaal von Kufstein, das Lied erstmals in der heute bekannten Dreiviertel-Fassung mit Jodler vorgetragen. (Die Tonaufzeichnungen sind seit 1954 verschollen.) Ganzer habe das gewusst, er sei ihm zunächst böse gewesen, habe aber dann, überzeugt vom Erfolg beim Publikum, das Lied ebenfalls so gesungen. Ohne Dreivierteltakt und Jodler wäre das Lied nie erfolgreich geworden, darum beanspruche er, Baumgartner, die Hälfte der Tantiemen.
Folgt man den Unterlagen und den Urteilen des Landesgerichts Innsbruck (5 Cg 1005/ 74 vom 29.7.1976) und des Oberlandesgerichts Innsbruck (5 R388/81 vom 17.6.1981 bzw. 20.1.1982), so sah es zunächst danach aus, als könnten sich die Streitparteien einigen. Egon L. Frauenberger fuhr mit seinem Bruder und damaligen Partner Erich sowie dem Ehepaar Ganzer zum Ehepaar Baumgartner nach Hopfgarten. Nach „stundenlangen Auseinandersetzungen“ im Gasthaus der Baumgartners wurde eine Vereinbarung getroffen. Man zückte ein Blatt Papier, Frauenberger formulierte einen Text, alle, auch die Baumgartners, setzten ihre Unterschrift darunter, jeder war zufrieden. Die Brüder Frauenberger nahmen die Vereinbarung, deren Original dann nie mehr auftauchte, nach München mit, und als Baumgartner schließlich die Fotokopie erhielt, gab es nach dessen Darstellung eine böse Überraschung: Man habe, so Baumgartner vor Gericht, den Vereinbarungstext durch die Anfügung sinnentstellender Wörter und Textteile nachträglich derart verändert, dass ihm bloß die finanziell wenig interessante „Bearbeitung“ des Jodlers zugesprochen worden sei. Er reklamierte den Tatbestand der Urkundenfälschung. Ein vom Gericht beauftragter grafologischer Gutachter kam zum Schluss, dass eine Veränderung des Originals anhand der Fotokopie nicht nachgewiesen werden könne. Im Verlauf des Verfahrens, das sich bis 1982 hinzog, wurden ehemalige Musikerkollegen Ganzers und Baumgartners sowie die Verleger in den Zeugenstand geladen. Ebenso wurde ein musikwissenschaftliches Gutachten zur Klärung der (letztlich unklärbaren) Frage, ob Lied und Jodler das Werk zweier Personen oder ein- und derselben Person seien, eingeholt. Auch im Berufungsverfahren fand schließlich das Ersturteil seine Bestätigung: Baumgartner könne den Nachweis, an der Komposition des Kufsteiner Liedes mitgewirkt zu haben, nicht erbringen, somit gilt Karl Ganzer weiterhin als der Urheber des gesamten Liedes mit Jodler. Was Baumgartners Chancen von Vorneherein geschmälert hatte, war natürlich der Umstand, dass er erst zwanzig Jahre nach Entstehung des Liedes seine Urheberanteile reklamierte – erst als das Lied „lukrativ“ geworden war, vermutete die Gegenseite; weil er vom Urheberrecht „lange keine Ahnung hatte“, sagt seine Frau. Was die Beurteilung der Streitfrage nicht erleichterte, war das Fehlen schriftlicher Quellen. Das Lied war ein Produkt der „oral tradition“, außer der Faltpostkarte gab es nichts, was man „Schwarz auf Weiß“ vorlegen konnte, es gab keine „Autographe“, da weder Ganzer noch Baumgartner der Notenschrift kundig waren.
Der Streitwert des Verfahrens übrigens nimmt sich (entgegen anders lautenden Gerüchten) überraschend gering aus: Es ging um einen Betrag von 20.000 Schillingen – allerdings mit der Option (und dies legt eine Notiz in Baumgartners Unterlagen nahe) – bei gewonnenem Verfahren eventuell um höhere Summen zu streiten. Der Münchner Rechtsanwalt Ottmar Simon, der 1983 den mittlerweile des Streitens müde gewordenen und in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Baumgartner dazu bewegen wollte, den Prozess in Deutschland erneut aufzunehmen, war der Meinung, Ganzer habe von 1973–82 an Tantiemen jährlich 40.000 DM eingenommen. Inwieweit diese Schätzung aber zutrifft, ist nicht zu beurteilen. Übers Geld redet man nicht, „denn das macht nur böses Blut.“
Zweifellos bot „Die Perle Tirols“ ihrem Urheber ausreichenden materiellen Rückhalt. Zusammen mit seiner Frau Traudl (verstorben im Oktober 2001) baute Ganzer am Ortsrand von Schwoich eine Gästepension auf und setzte zugleich seinem einzigen erfolgreichen Lied ein Denkmal: Der Name des Hauses lautet – wie könnte es anders sein – „Perle Tirols“. Kurzbeschreibung auf der Homepage: „Dort, wo das ‚Kufsteiner Lied‘ seinen Komponisten fand …“.