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Zollhaus

Paul Thuile geht nah an die Wand und zeichnet aus dieser Perspektive mit Minenbleistift seinen Raumblick auf den Mauerputz. Für „Quart“ war er am Brenner, im untenstehenden Text beschreibt er seine Arbeitsweise, deren Ergebnisse auf den folgenden Seiten zu sehen sind.
Dazugehörend: Heinz D. Heisl über Wörter, die in Wänden gespeichert sind.

Der Peter sagt: „Zieh dich warm an, das Wetter am Brenner ist unberechenbar.“
Österreichisches Zollhaus: Das Gesuch für die Schlüssel muss erst einmal nach Wien.
Italienisches Zollhaus: 1 kg Schlüssel.
Leere sterile Büroräume, Inventarlisten, von den Möbeln sind nur noch die Tresore da, zu schwer, um weggebracht zu werden. Ein Tresor ist der Ort, um wichtige Papiere, Dokumente, Ausweise aufzubewahren. Ich stelle mir vor, wie die Beamten hier gearbeitet haben: gehasster Ort für die italienischen Beamten, Strafversetzung, Kälte, deshalb viele große Heizkörper.

Draußen fuhren früher einmal die Autos vorbei, über die Grenze. Angst ertappt zu werden, zu viel Schokolade aus Österreich dabei, Mamma hat Stroh-Rum eingekauft. Jetzt fahren nur noch Motorräder vorbei und Autofahrer, die sich die teure Autobahnmaut
sparen wollen.
Vis-à-vis das legendäre Café „Terminus“, früher die Anfahrtsstelle für den ersten italienischen „Caffè“. Heute kommen um 12 die Straßenarbeiter das Arbeitermenü essen, viele reservierte Tische für Stammgäste; 3 Flaschen Prosecco für 4 Euro 50; „Tris von Nudeln“ als Teller des Tages.

Der Ferdinand Plattner kümmert sich um die öffentlichen Klos, er gibt mir auch die Erlaubnis für elektrischen Strom. Der Herr Plattner ist Angestellter der Gemeinde Gossensass auf italienischer Seite, er darf aber den Garten vor dem österreichischen Zollhaus bewirtschaften.
Ich gehe skeptisch zu Fuß über die Grenze, schaue mich um, irgendwo muss doch ein Zollbeamter aus einem Fenster schauen und mich beobachten.
Ich suche Orte in dem Haus, wo ich auf die Wände zeichnen kann. Ich komme mir vor wie ein Insekt, das aus seinem Sehtrichter die Welt erkundet. Beim Zeichnen verzerrt sich der Blick noch mehr, ich bin ganz eng vor der Wand oder sitze wie eine Grille auf ihr. Der Tresor wird zum Berg. Meine Wahrnehmung ist bruchstückhaft, ich nehme Teile war, nie das Ganze. Ich bin neugierig, gehe immer wieder durch die Räume. Muffiger Geruch. Die Geräusche vom Autoverkehr und vom Bahnhof. Im Wald oberhalb arbeiten Holzfäller.

Gestern war es warm, kurzes T-Shirt; heute ist es kühl. sAm Abend ist alles wie ausgestorben.
Einen Tag lang fotografieren mit dem Augustin. Kamera aufstellen, ausleuchten, Polaroid, noch ein Polaroid. Der einmalige Ausschnitt. Wir dokumentieren, „nicht zu viel fotografieren“, sage ich dem Augustin. Wenig Schatten, wir machen keine Atmosphäre oder Stimmung. Das Insekt, der Zeichner ist dem Fotografen vorausgegangen, hat schon in die Räume geschaut. Beim Fotografieren mache ich einen Schritt zurück, werde ich zum „objektiven“ Beobachter. Zehn Bilder, mehr als eine Stunde pro Foto. Ich verlasse den Ort, aber noch habe ich die Schlüssel …

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