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Raum kneten

„Ich sehe Sound als skulpturales, bildnerisches Material, mit dem man erstmals in der Geschichte wirklich Raum formen und gestalten kann wie mit Stein, Holz oder Glas.“ – Bernhard Leitner schafft Ton-Architektur, Milena Meller hat ihn im Atelier besucht.

Bernhard Leitner, aus einer Tiroler Familie stammend, 1938 in Feldkirch geboren, in Innsbruck aufgewachsen, in Wien zum Architekten ausgebildet, in New York von 1969 bis 1982 als Städteplaner im New Yorker Stadtplanungsamt und als Architekturprofessor an der New York University tätig, in Wien seit 1987 Professor für Mediengestaltung an der Universität für angewandte Kunst. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, permanente Installationen, Teilnahme u. a. an Documenta 7 und Biennale 1986.

Vorstellung und Wirklichkeit

Es geht im Folgenden um Dinge, die wir uns nur vorstellen können. Es geht um eine Idee und ihre Realisation – verbal nur annähernd nachzuvollziehen: Seit 1969 verfolgt Bernhard Leitner die Idee, Klang als ein Baumaterial aufzufassen, mit Tönen zu bauen, mit akustischem Material skulptural-architektonisch zu arbeiten. Er entwickelt anhand zahlreicher Skizzen zunächst eine Vorstellung von der Umsetzbarkeit dieser Idee, die nur durch ein Bewegen von Ton im Raum möglich wird. Es folgen empirische Untersuchungen, vorerst etwa mit 6 Meter langen mobilen Holzelementen, an denen Lautsprecher befestigt werden können. Versuchsanordnungen und Ergebnisse werden präzise notiert und dokumentiert, schließlich Objekte und Installationen gebaut.

„Es gab keinerlei Technologien, die Ton-Bewegungen ermöglicht hätten – außer, ich hätte 50 Leute aufgestellt, jeder mit einer Pauke vor sich und diese 50 ‚Tonorte‘ hätten sich linear zeitversetzt jeweils durch einen Paukenschlag räumlich artikuliert – dann hätte ich die Bewegung einer ‚Ton-Linie‘ gehört.

Für ein Nacheinander-Ansteuern einer größeren Zahl von Lautsprechern musste 1971 erst eine technische Vorrichtung erfunden und gebaut werden. Also habe ich zusammen mit einem Bekannten in New York ein einfaches System entwickelt, ein elektro-mechanisches Kreis-Relais, das mithilfe einer Handkurbel mehrere Lautsprecher ansteuern konnte. Zudem konnte für jeden Lautsprecher separat ein dynamischer Wert eingestellt werden. Insgesamt 20 Lautsprecher konnten an dieses Relais angeschlossen und jeweils an- und ausgeschaltet werden. Klänge wurden eingespeist, die ich mit einer Kurbel auf diese 20 Lautsprecher verteilen konnte. Hatte ich beispielsweise eine aus 20 Lautsprechern bestehende gerade Linie am Boden ausgelegt, dann konnte ich Töne mit der Kurbel über 20 Tonorte vom Lautsprecher 1 bis zum Lautsprecher 20 bewegen. Es gab bei einer so erzeugten Ton-Linie natürlich keine Übergänge (crossfades), was bei perkussivem Material allerdings kein Problem war und ist: Der perkussive Klang floss ganz langsam die 20 Lautsprecher entlang. Wenn die Lautsprecher je 2 Meter auseinander platziert wurden, ergab dies eine Linie von 40 Metern, die ich aber auch – durch eine schnelle Kurbeldrehung – in 2 Sekunden ablaufen lassen konnte.

Bei einer Linie mit 10 Lautsprechern in einem Halbkreis am Boden und weiteren Lautsprechern, die einen Torbogen bildeten, konnte ich mit der Kurbel den Klang zunächst am Boden laufen, dann aufsteigen lassen, den Torbogen hörbar machen und die Ton-Linie auf der anderen Seite wieder absinken lassen. Wurde die Kurbel rückwärts gedreht, so stieg der Klang wieder auf – wie ein Film, den man zurückspult – bewegte sich rückläufig bis zum ersten Lautsprecher. Selbstverständlich konnte ich mit der Kurbel auch nur Teilstrecken in Bewegung setzen, in unterschiedlicher Geschwindigkeit, anhalten, etwas zurückbewegen, Teilstücke wiederhole.
usw.

Das heißt, ich konnte etwas erproben, was ich so mit heutiger Computertechnologie gar nicht so einfach und spontan realisieren kann: Ich konnte vielkanalige Ton-Linien im Raum live ‚spielen‘! Allerdings nur live. Erst in jüngster Zeit ist das Speichern einer vielkanaligen akustischen Raum-Form möglich geworden, über die 24, 48 oder 96 (usw.) Einzelausgänge einer Harddisc beziehungsweise einer Harddisc-Kette. Damals konnte ich tatsächlich Ton-Linien im Raum dazu bringen, sich so zu bewegen wie Gestiken eines Tänzers. Und die Harddisc von damals war mein Logbuch, mein Notationsbuch.“

Augen und Ohren

Sichtbar ist die materielle Form, die Skulptur, an der Lautsprecher befestigt sind, die Schallwellen reflektieren, bündeln, streuen. Unsichtbar ist das Gebilde, das im Raum entsteht, ein immaterieller Raum, der dennoch real-körperlich erfahrbar ist. – „Ton-Schirm“, 1990:

„Der Ton-Schirm ist zunächst ein Schirm, wie er vor den Hotels in New York in den 70er und 80er Jahren von den Portieren verwendet wurde, besonders groß, ein schönes Objekt. In jedes zweite der sechzehn Felder wurde ein Hochtöner eingenäht, um hohe Töne in die Mitte dieses Schirmes, den ich als Kuppel verstehe, zu projizieren. Wenn sich zwei Lautsprecher gegenüberliegen und die Töne monophon aus diesen Tonorten zueinander projiziert werden, dann ist der Klang in der Mitte zu orten, wenn sie aber in einem anderen Winkel zueinander abgestrahlt werden, dann trifft sich die Projektion dieser Klänge nicht in der Mitte, sondern in einem andern Punkt
der Kuppel.

Durch verschiedene Kombinationen solcher Klangprojektionen aus den Hochtönern erziele ich, zusätzlich noch kombiniert mit verschiedenen Lautstärken, eine Klangerscheinung, bei der die Punkte an ganz verschiedenen Orten im Kuppelraum auftauchen. Ich kann mich mit meinem Kopf bewegen und sie schwirren in der Kuppel herum. Es ist eine Zweikanal- Komposition, die 8 Lautsprecher sind asymmetrisch auf zwei Spuren zusammengeführt, das Material ist perkussiv, ein Art Gewebe von sehr spitzen Tönen. Diese sind relativ lang verhallt, sodass es besonders dadurch noch zu einer Maßstabsveränderung des Schirm-Kuppelraumes kommt und man akustisch einen ganz anderen Maßstab erlebt als das, was das Auge sieht oder was der Körper spürt, wenn man unter diesem Ton-Schirm steht: Der Schirm wird zu einer sehr weiten Kuppel, einem fast kosmisch fernen Raum.“

Holz und Stein

Die Wahl der Klänge und ihre Gestaltung gehören zur Arbeit des Klangarchitekten. Ton-Räume können spezifische, neuartig architektonische Eigenschaften entwickeln. Können etwas, was Räume aus Holz und Stein nicht können.

„Als ich vor dreißig Jahren gesagt habe: Sound ist heute verfügbar, exakt produzierbar und reproduzierbar, deshalb sehe ich Sound als skulpturales, bildnerisches Material, mit dem man erstmals in der Geschichte wirklich Raum formen und gestalten kann wie mit Stein, Holz oder Glas, da haben besonders die Leute, die beim Wort Ton oder gar beim Wort Klang gewohnheitsmäßig in ihrem Gehirn sofort auf Musik geschaltet haben, gesagt: Mit Klang bauen? Da ist irgendetwas nicht in Ordnung mit seinem Gehirn.“

„Wenn ich einen Ton im Raum bewege, dann erzeuge ich vollkommen andere Raumaussagen als die sogenannte klassisch-visuelle Architektur. Ich kann dann wirklich von ‚führenden Räumen‘ sprechen, von ‚schwingenden‘, ‚sich wölbenden‘, ‚niedersinkenden‘, ‚aufsteigenden‘, von ‚schnellen‘, ‚nervösen‘, ‚prickelnden‘ und ‚gekneteten‘ Räumen.

Wenn ich drei Posaunenspuren organisch gekrümmt so durch den Raum ziehe, dass sie sich mischen wie eine geknetete Masse, dann höre und spüre ich mich körperlich mitten drinnen wie eine geknetete Person. Der Raum knetet mich. Ich nenne das Raum-Kneten oder gekneteter Raum.“

Forte und Piano

Klänge werden bewegt, ziehen Spuren, Linien, die einen hörbaren in den sichtbaren Raum zeichnen. Aus der Klangmasse modelliert Leitner akustische Gestalten.

„Die Lautstärke ist ein wichtiges Element, um Raum zu formen. Eine Wölbung kann, muss aber nicht die ganze Zeit hindurch gleich laut sein: sie kann forte sein in der Basis, leiser werden beim Aufsteigen zum Scheitel hin, den Scheitel piano artikulieren und abfallend zur gegenüberliegenden Basis wieder an Lautstärke, also an Gewicht zunehmen. Durch die Lautstärkeregelung kann ich im akustischen Raum Maßveränderungen setzen, je nachdem, wie ein crescendo oder ein diminuendo skulptural im Raum gesetzt werden. Eine Wölbung wird sehr steil aufsteigen, wenn der Scheitelpunkt als pianissimo gehört wird; ist der Scheitelpunkt akustisch kräftig, wird die Wölbung zu einer akustisch drückenden, eher schwerfälligen Form. Fast wie eine romanische Wölbung.“

Oben und unten

Der Schallwellen-Raum kann den fest gebauten Raum zum Schwanken bringen. –
„Vertikaler Tonraum für eine Person“, 2002: Der Raum dehnt sich nach oben, wird höher und höher, die Basis ist dunkel grundiert; unter den Sohlen klingender Boden.

„Der akustisch-vertikale Raum hat mich von Anfang an, also seit 1970, sehr interessiert. Ein räumlich aufsteigender Ton beginnt unterhalb der Person, wird mit den Fußsohlen gehört, bewegt sich durch den Körper nach oben, wo oberhalb des Kopfes eine Tonquelle montiert ist, die mit der Schädeldecke gehört wird. Die frühen vertikalen Räume habe ich durch dynamische Abstufungen gestaltet. Die Form und die Erfahrung einer solchen akustischen Raumhöhe wollte ich aber ganz bewusst nicht durch einen musikalischen Tonhöhen-Schritt verdeutlichen, beispielsweise von einem c zu einem cis. Für unser hörendes Gehirn ist das ein aufsteigender Halbton, eine musikalische Geste. Die Entwicklung der Technologie erlaubt mir heute eine subtilere und genauere Formgebung: Mit ‚pitch shifting‘ kann der aufsteigende Klang in der oberen Ton-Ebene um (z. B.) 28 Cents angehoben werden. 28 Cents sind noch kein Viertelton (50 Cents), d. h. für das Gehirn noch nicht als musikalischer Schritt erkennbar. Hörpsychologisch wird dadurch der Unterschied zwischen unten und oben im Raum ganz deutlich, doch hat dieser vertikale Tonschritt keine Konnotation im konventiell-musikalischen Sinne. Solange ich nur mit Lautstärkereglern gearbeitet habe, war es schwierig, denselben Klang in der vertikalen Körperachse unten und oben klar zu orten. Pitch shifting gibt mir die Möglichkeit, einen akustisch-vertikalen Raum klarer und architektonisch- skulptural präziser zu gestalten.“

Himmel und Erde

Zuweilen scheint ein Ton-Raum den fest gebauten Raum aufzureißen, seine Grenzen zu verschieben, aufzuweichen und aufzulösen. – „Tonhöhe“, Kollegienkirche Salzburg, 1996:

„‚Tonhöhe‘ war eine akustische Intervention auf Einladung der Fischer von Erlach-Gesellschaft zum 300- Jahr-Jubiläum der Grundsteinlegung der Kollegienkirche. Nach dem Studium der Pläne, hauptsächlich der Schnitte, habe ich festgestellt, dass das Außerordentliche an dieser Kirche ein unglaublich interessanter vertikaler Raum über der Vierung ist. In der Vierung hat Fischer von Erlach ein sehr raffiniertes Mosaik angebracht, das aus jeder Blickrichtung eine andere Bewegung für das Auge erzeugt. Über diesem Mosaikkreis hat er einen Raum hochgezogen, durch den Tambour durch, in die Kuppel hinein, der beim Okulus, also, wo die Laterne ansetzt, eine Höhe von ca. 50 Metern hat. Es schaut im Schnitt wirklich wie eine Rakete aus.

Ich habe in diese vertikale Weltachse einen akustischvertikalen Raum hineingestellt, der in eine Art Dialog mit dem visuellen vertikalen Raum des Fischer von Erlach getreten ist, bestehend aus einer Zweikanal- Komposition, wobei ein Tonort in der Mitte des Mosaiks platziert war: eine Zylinderscheibe mit einem Durchmesser von 2 Metern und ca. 50 Zentimeter hoch, auf 4 kleinen Holzbasen ruhend. Darin war die eine Tonquelle montiert. Die zweite Tonquelle war die Kuppel selbst, d.h. ein Lautsprecher in einem der 4 Fenster der inneren, gemauerten Kuppelschale. Wenn ich aus diesem Fenster einen Klang in die Kuppel hineinprojiziere, ist der Klang ja in der Kuppel gefangen. In der vertikalen Raumkomposition habe ich nun den Klang aus dem Mosaik nach oben aufsteigen lassen, ihn in der Kuppel sogar noch, was den Nachhall betrifft, verlängert – die natürliche Nachhallzeit sind 6 bis 8 Sekunden, was ich mit einem Hallprogramm bis über 40 Sekunden verlängert habe –, sodass die Kuppel akustisch entgrenzt wurde (was die barocken Maler mit Malerei gemacht haben). Den künstlichen Nachhall der Kuppel habe ich wiederum herunter auf den Boden gezogen, sodass der Nachhall der Kuppel kurz im Mosaik zu hören war, um dann wieder 50 Meter nach oben, in die Kuppel aufzusteigen. Es war ein Gespräch über Vertikalität mit verschiedenen Sinnen – zwischen Fischer von Erlach und mir, über einen Zeitraum von 300 Jahren hinweg.

Das Klangmaterial war z.B. ein Posaunenton, den ich aufsteigen ließ, der oben in der architektonischen Kuppel auf eine ganz bestimmte Art und Weise crescendiert und verhallt wurde. Mit dieser Klangbearbeitung ist eine riesige Kuppel entstanden, wesentlich größer als jene, die man sieht. Andererseits konnte man mit zwei Didgeridoo-Klängen, die im oberen und im unteren Bereich der Vertikale gleichzeitig eingespielt wurden, feststellen, dass man akustisch die Raumbegrenzungen oben und unten tatsächlich gleichzeitig wahrnehmen kann, während sich das Auge abwechselnd nach unten und nach oben wenden muss!“

Kopf und Kragen

Die eindringliche Wirkung der Ton-Räume von Leitner hat zu tun mit der Eindringlichkeit von Klang, der unmittelbar „unter die Haut“ geht, einwirkt.

„Die Haut ist keine undurchlässige Schutzschicht, sondern eine durchlässige Membran, sehr filigran. Wenn nun Klang – was ja nichts andres als Schalldruck ist – den Körper erreicht, dann trifft der ja nicht nur auf die Ohren, sondern genauso auf das Kinn, auf die Schultern, auf die Brust und auf den Magen! Er trifft auf die Knochen, auf die Muskeln, geht durch, wird gebremst oder blockiert usw. Wir hören mit dem Körper, mit den Ohren und vor allem mit dem Gehirn.“

Arbeit und Spiel

Manipulation und Modifikation der Sinne. Zusammenspiel des Sichtbaren, Hörbaren und Spürbaren, wechselseitige Irritationen, bemerkenswerte Wahrnehmungs-Erlebnisse. – „Ton-Anzug“, 1975:

„Zunächst habe ich ja viele Skizzen architektonischer und urbaner Maßstäblichkeit gemacht, habe mich dann aber sehr intensiv mit dem Körper und seinen akustischen Sensoren auseinandergesetzt. Man kann den Klang am Körper ansetzen, er dringt in den Körper ein. Wenn man mehrere Tonquellen am Körper anbringt, dann kann Klang am Körper, um den Körper herum und im Körper bewegt werden. Dabei entdeckt man etwas sehr Aufregendes: das akustische Räume, akustische Grenzen nicht nur über uns, unter uns und um uns herum sind, sondern auch durch den Körper direkt durchgehen können.

Der Ton-Anzug ist ein amerikanischer Arbeitsanzug, auf dem ein Netz aufgenäht wurde, um den Körper mit einem Raster zu bedecken, in den ich an jeder beliebigen Stelle eine Tonquelle einhängen kann. Ich definiere vorher nicht, an welchen Punkten der Klang körperlich hörbar werden soll. Weil der Overall eine Rasteroberfläche hat, kann ich z. B. 5 Lautsprecher lediglich im Bereich des Oberkörpers einhängen. Ich kann auch mehrere Lautsprecher als vertikale Ton- Linie über die ganze Körperlänge oder eine Spirale aus 10 Lautsprechern um den Körper herum in diesen Raster (der nichts anderes als ein Fischernetz ist) einhängen. Diese große Flexibilität entspricht auch irgendwie dem Raster von New York, wo auch innerhalb des urbanen Rasters eigentlich alles passieren kann, was die Geschichte der Stadt sehr deutlich macht. Die Lautsprecher-Chassis am Ton-Anzug, mit einer Plexiglashalbkugel abgedeckt, sind mit der Schallrichtung zum Körper gerichtet. Man kann nun mit der Bewegung einer Cello-Linie sehr schön z.B. eine Spirale um den Körper herum aufsteigen oder absinken lassen – den Körper akustisch-räumlich
durchkomponieren.“

Innen und außen

Im mehrstöckigen Atelier von Leitner sind zahlreiche Gerätschaften, Klangobjekte und -installationen aufgebaut. Man kann z.B. durch den knietiefen Klang- Sumpf des ‚Ton-Feldes‘ waten oder Verengung und Erweiterung zwischen schwingenden Metallplatten erfahren, deren Klangschleusen man passiert. Man kann staunend (projizierte) Geräusche aus einem imaginären Fenster in einer weißen Wand vernehmen oder sich zwischen die Flügel eines flugmaschinenähnlichen Objektes setzen und bemerken, wie Schallwellen in einen hinein schwappen und wieder hinausfluten. – „Ikarus/ Innen-Weiten / Selbstvermessung“, 2002:

„Die Arbeit ist eine Dreikanal-Komposition aus vier Sperrholzplatten, zwei Metallblechen, einem Sitzobjekt in der Mitte und vier Lautsprechern. Die Sperrholzplatten und die Metallbleche kann man sich wie ein aufgeschlagenes Buch vorstellen, wobei der Sitz in der Mitte dieses aufgeschlagenen Buches ist, zwischen den zwei nach innen geneigten Keilräumen symmetrisch angeordnet. Im oberen Bereich des Keilraumes wird der Klang beidseitig durch je einen nach innen gerichteten Lautsprecher monophon in die Keilspitze projiziert, sodass die darüberliegenden Metallflächen den Klang zur Mitte hin abstrahlen müssen. Ohne eine direkte Tonquelle vor oder hinter sich zu haben, wird die sitzende Person vom Klang erfüllt. Die Mitte wird zum Innen, zur Innenwelt. Aus dem unteren Keilraum wird Klang stereophon über je einen nach außen gerichteten Lautsprecher horizontal in den Raum projiziert, sodass sich das Hörerlebnis einer enormen Weite ergibt. Damit sind die Grenzen zwischen Innen und Außen permanent verschoben, sie lösen sich de facto auf. Es ist auch die Gleichzeitigkeit verschiedener oder vieler Grenzen. Man sitzt exakt in der Mitte und hört sich selbst zu, wie man weiter und weiter wird und wie man intimer und enger wird, sich im eigenen Zentrum, als Selbst akustisch-sinnlich begreift.“

Kunst und Natur

In der Natur, sagt Leitner, sind Raum und Klang identisch: Der Klang einer Pappelallee „macht“ einen Raum, ist ein Raum. – „Wasserspiegel“, 1997:

„Der kleine Donautempel in Donaueschingen, etwas mehr als 2 Meter im Quadrat, innen keine 4 Meter hoch, steht auf einem Böschungssockel, aus dem die noch junge, kanalisierte Donau in die Brigach fällt. Wenn man den Tempel betritt, hört man nichts. Erst wenn man sich ganz vorne über das Geländer beugt, hört man das Geräusch des einige Meter tiefer gelegenen Wasserfalles. Die Schallquelle ist die Donau selbst. Diese natürliche Klangquelle verändert sich als Klang andauernd, was das Faszinierende am Wasserrauschen ist. Hier habe ich nun nichts anderes getan, als durch das Einhängen einer flachen Metalltonne zwischen den vier Säulen, einer Art Tonnendecke in der Höhe von 2,50 Metern, den Klang der in die Brigach fallenden Donau zu bündeln und zu verstärken. Ohne jede Elektronik wird die Donau selbst in den Tempel projiziert, sodass man bereits beim Betreten des Tempels über sich, in der Wölbung, das Rauschen der noch jungen Donau hört.“

Raum und Zeit

Ton-Räume sind Räume, die ständig im Entstehen und Vergehen begriffen sind. Sie sind performative und temporäre Räume. Klang erklingt und verklingt, im Raum, in der Zeit. Bewegung spielt sich ab in Raum und Zeit. Klang als Bewegung von Schallwellen macht einen Raum in der Zeit. Ein Ton-Raum lässt Raum und Zeit eins werden, da er als Raum nur in der Zeit und durch sie entsteht.

„In meiner Arbeit ist die Zeit der Raum und der Raum ist die Zeit! Der Raum ist eine Geburt, ein Kind der Zeit, die Zeit gebiert den Raum.“

 

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