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Glück und Verstand

Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen: Irene Prugger war als verdeckte Ermittlerin bei einer Glückstrainerin.

Der Weg zum Glück ist wie der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert. Manchmal dürfen es aber auch Fußpflaster für den Schritt in die richtige Richtung sein. Das Fußpflaster ist nicht etwa für Blasen gedacht, die man sich auf dem hindernisreichen Weg der Glückssuche holt, es bringt ganz einfach Wohlbefinden über Nacht: „Die Intelligenz, das Geheimnis und die archaische Kraft großer Bäume in einem kleinen Fußpflaster – 40 Behandlungen nur 339,90 Euro: Kinotakara Wellness Pflaster“, lese ich in einer Anzeige, die mir Regeneration im Schlaf anpreist. Vor allem braucht man die stoische Gelassenheit eines Baumes, um für ein derart teures Pflaster seine Haut hinzuhalten. Für mich kommt es aber ohnedies nicht in Frage, denn bei der Suche nach Wohlbefinden und Glück, auf die ich mich nun endlich entschlossen begebe, muss man im Kopf ansetzen und nicht bei den Füßen, das empfehlen zumindest die meisten psychologischen und esoterischen Ratgeber, die in den letzten Jahren den Büchermarkt überschwemmt haben.

Die Ratgeber haben mich bislang nicht unbedingt glücklicher gemacht, aber das liegt vor allem an meinem mangelnden Engagement. Ich kann schöne Momente durchaus genießen, meistens gebe ich mich allerdings damit zufrieden, nicht unglücklich zu sein. Das ist ein Versäumnis in einer Zeit, in der uns nahe gelegt wird, das Optimum aus unserem Leben herauszuholen. Glück, suggerieren uns die Werbefachleute, ist das oberste Ziel, das es zu erreichen gilt. Vielleicht haben sie Recht. Was würde es schon nützen, wenn man alle Bedingungen eines gelungenen Lebens erfüllt sieht, aber darüber keine Freude empfinden kann. Hierin liegt auch ein Trost für zu kurz Gekommene: Die Fähigkeit, glücklich sein und die kleinen Freuden des Lebens genießen zu können, wiegt viele Mängel auf, vielleicht sogar jenen, nicht unbedingt vom Glück begünstigt zu werden.

Leider nehmen wir das Glück oft nur in seiner Vergänglichkeit wahr. Bereits das Wort im Mund hält sich nicht lange; ein schnelles Antippen am Gaumen, ein kurzer überraschender Moment und schon rutscht es einem die Kehle hinunter. Zu Kauen hat man am Unglück weitaus mehr. Das kleine Glück, das wie eine Sternschnuppe verpufft, soll nicht Gegenstand meiner Suche sein; ebenso wenig will ich mich auf ein mir von außen zufallendes Glück verlassen. Das hieße ja im Grunde nur Warten und Hoffen. Lieber begebe ich mich auf die Suche nach einem verlässlicheren Glücksgefühl. Eines, von dem man keine Kopfschmerzen bekommt, sobald es im Abklingen ist, sonst bräuchte ich nur eine Glückspille zu schlucken. Zuviel Zeit sollte meine Glückssuche auch nicht in Anspruch nehmen, weil sie mir dann mehr Stress als Nutzen brächte. Ich gebärde mich also wie ein moderner Mensch und suche auf dem Weg zum Glück schon im ersten Teilabschnitt nach einer Abkürzung, obwohl ich ahne, dass der schnellste Weg in diesem Fall nicht der effizienteste ist.

Dass die Suche nach dem Glück vor allem eine Suche nach der richtigen inneren Einstellung sein muss, hat man uns ja schon immer gepredigt. Halten uns die Religionen seit jeher dazu an, um der Seligkeit im Jenseits willen mit Geduld und Zuversicht die Jammertäler des Diesseits zu durchschreiten, so winken die weltlichen Heilsversprecher mit schnellerer Belohnung. Ihre „Glaub an dich, dann schaffst du alles im Leben“ - Rhetorik wird allerdings in letzter Zeit zurückgedrängt von Empfehlungen, die sich pragmatisch an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen. „Ändere deine Sichtweise“, so heißt es jetzt, „und werde glücklich!“ Das klingt nach Gehirnwäsche, aber vielleicht hat ein auf funktionale Abläufe trainiertes Gehirn ja eine Wäsche nötig, um die wahren Werte im Leben wieder klar zu erkennen. Die Kunst des Glücklichseins zu erlernen ist nun einmal kein bescheidenes Ziel und verlangt wohl auch, über den eigenen Schatten zu springen.

Ich springe also über meinen Schatten und nehme Kontakt zu einer Glückstrainerin auf.

Im Verlauf meiner Recherchen bin ich auf das Angebot solcher „Glückstrainer“ gestoßen, die nach der Methode Ella Kensington arbeiten. Der Name ist ein Pseudonym für den Deutschen Bodo Deletz, der sich mit esoterischen Bestsellern in einschlägigen Kreisen einen Namen gemacht hat. Die Glückstrainer halten gut besuchte Seminare in Spanien ab, aber sie bieten auch einzelne Trainingsstunden an. Eine Stunde kostet 80 Euro, man muss mit einer Doppelstunde beginnen. Es seien nicht unbedingt weitere Trainingsstunden erforderlich, weil das Wichtigste bereits in dieser einen Doppelstunde erlernt werden könne, beruhigt mich die Trainerin per Mail.

Sie ist eine sympathische Frau um die Vierzig, die mir bei unserem Treffen gleich das Du anträgt. Auf meine Frage hin erfahre ich, dass sie früher NLP-Trainerin (NLP = Neuro-Linguistisches Programmieren) war und nun seit einem Jahr das Glückstraining nach Ella Kensington betreibt. Man stütze sich beim Glückstraining wie beim NLP auf die Erkenntnisse der Gehirnforschung, erklärt sie und fragt mich, ob ich ein Thema hätte, an dem ich arbeiten möchte. Mein Thema sei Glück, antworte ich wahrheitsgetreu. „Ich will ganz einfach glücklicher werden!“

Dann wird es spannend. Die Trainerin setzt mir einen Korb mit Bauklötzen vor, mit denen ansonsten kleine Kinder spielen. Ich soll mit den Klötzen die mir liebsten Menschen auf einen Tisch stellen, dann kommen die mir fast ebenso lieben Menschen, dann Freunde und Bekannte, dann erweitert sich der Kreis um zehn Arbeitskollegen und schließlich kommen noch fünf Menschen dazu, die ich überhaupt nicht mag. Ich gebe mir Mühe, meinen Personen die richtige Farbe, Form und Größe zuzuteilen, weil ich denke, dass es eine Bedeutung hat. Immer hat doch alles eine Bedeutung bei solchen Psycho-Spielen. Aber diesmal hat es keine Bedeutung, es geht einzig darum, fünfzig mir nahe stehende bzw. bekannte Personen vor mir auf dem Tisch zu versammeln und sie mir vorzustellen.

Ich kann mir nicht fünfzig Personen zugleich vergegenwärtigen, das ist völlig unmöglich. Wenn meine Glückssuche scheitert, dann scheitert sie wohl bereits an diesem Punkt, denn die Trainerin betont, es sei wichtig, all diese Leute vor meinem inneren Auge zu sehen. Dann muss ich mir noch zwei große Tore vorstellen: Das linke ist das Tor zur Urwelt und das rechte führt in unsere heutige zivilisierte Welt. Die Trainerin bittet mich, durch das linke Tor in die Urwelt zu treten und mir die fünfzig Personen vorzustellen, die mich mit den Worten: „Da bist du ja endlich!“ empfangen.

Sie fragt mich, wie ich mich jetzt fühle, worauf ich antworte: „Gut, sehr gut!“, denn ich habe mir ja vor allem meine eigene Familie vorgestellt, die mich begrüßt. Der Häuptling, den ich mir erwählen musste, ist mein Vater, ich bin also die Tochter des Häuptlings und die Gefährtin meines Liebsten, unsere Kinder und Freunde sind ebenfalls da, und mit den fünf unsympathischen Leuten, die abseits an einem schon etwas dürftigen Feuer sitzen, werden wir bestimmt fertig. Ich fühle mich demnach gut aufgehoben in diesem Stamm, umgeben von Wildnis.

Nun habe ich aber etwas falsch verstanden, denn der Ausruf „Da bist du ja endlich!“, hätte vorwurfsvoll klingen sollen. Mein Stamm begrüßt mich vorwurfsvoll, weil ich so lange ausgeblieben bin. Geht es mir jetzt noch immer gut? Ganz so gut vielleicht nicht mehr, aber schlecht geht es mir auch nicht. Das ist für das therapeutische Unterfangen jedoch nicht sehr nützlich, denn ich soll die existenziellen Ängste spüren, ich soll spüren, welche Bedrohung es bedeutet, von meinem eigenen Rudel ausgestoßen und in die Wildnis verbannt werden zu können. In dieses bedrohliche Gefühl muss ich mich immer wieder hineinbegeben, damit ich den Unterschied deutlich merke, wenn ich zwischendurch wieder durchs rechte Tor in die zivilisierte Welt eintrete. Den Thesen der Glückstrainer zufolge sind unsere Urinstinkte noch immer wirksam und hindern uns an einem entspannten, glücklichen Leben, indem sie in uns Ängste evozieren, die der zivilisierten Umwelt nicht mehr angepasst sind.

„Was kann uns heutzutage schon passieren, wenn wir von unseren Familien oder Freunden verstoßen werden?“, fragt die Glückstrainerin. Die Lösung heißt: Dann suchen wir uns eben neue Menschen, die zu uns passen. Sie rechnet mir aus, dass es im deutschsprachigen Raum ungefähr 25.000 für mich in Frage kommende Partner gibt, sollte zum Beispiel die Beziehung zu meinem Mann in die Brüche gehen. Das wirkt auf mich überhaupt nicht beruhigend, aber ich unterlasse es, das kundzutun, die Glückstrainerin hat ohnedies schon herausgefunden, dass ich ein misstrauischer Mensch bin und mein vorrangiger Urinstinkt vermutlich die Angst ist, unterbuttert zu werden. Ein Machtproblem, das ich mir schenken kann. Ich brauche keine Angst zu haben, in der Hierarchie nach unten zu fallen, meint sie, weil es im Grunde gar keine Hierarchie gibt, jeder Mensch kann sich frei entscheiden, wie er leben will, und wenn ihm eine Bindung oder ein Arbeitsverhältnis nicht passt, kann er sich jederzeit daraus lösen. Ich verstehe: Fragen wie „Und wer zahlt dann meine Sozialversicherung?“ resultieren demnach ebenfalls aus diesen übertriebenen Urängsten, obwohl sich die Urmenschen solche Fragen bekanntlich nicht zu stellen brauchten.

Ich bin der Meinung, dass man das Glück von grundlegenden Bedürfnissen nicht abtrennen kann, und dieser Meinung ist auch die Glückstrainerin, doch sie hält das soziale Netz für so stark, dass es auch bei einem drohenden Abstieg hält: „In unserer Gesellschaft stirbt niemand an Ausgrenzung!“, behauptet sie. Außerdem gehe es nicht darum, aus der Gesellschaft auszusteigen, sondern die mir gemäße Lebensweise herauszufinden. Sie gibt mir Tipps, wie ich die guten Gefühle noch verstärken kann: Die Tore bekommen Gitter, in denen die schlechten Gefühle und Ängste hängen bleiben.

„Unser Gehirn ist so aufgebaut, dass gute Gefühle automatisch die schlechten blockieren. Wir können also tatsächlich etwas tun, um unsere schlechten Gefühle loszuwerden: … Es ist ganz einfach: Gib deinen Instinkten einen Grund, dir Belohnungsgefühle zu machen! Und den hast du jeden Tag tausendfach! All deine Grundmotive sind erfüllt. Du brauchst in deinem Alltag nur nach Bestätigungen dafür zu schauen“, lese ich später in einem Buch der Glückstrainer nach.

Irgendwie kommt mir das alles bekannt vor. Die Thesen entsprechen der allgemein kursierenden „Happylogie“, die in zweckmäßig abgeänderten, manchmal vernünftigen, oft skurrilen, mitunter unverantwortlichen Ausprägungen die Runde macht, und deren Leitgedanke das positive Denken ist. Es liegt mir fern, dem positiven Denken das Positive abzusprechen, und womöglich hat der Trendforscher Matthias Horx ja Recht, wenn er behauptet, es sei noch nie so leicht gewesen wie heute, glücklich zu werden. Das ist immerhin erbauender als Freuds eher bescheidener Zugang zum Glück, der sich laut eigener Aussage darauf konzentrierte, neurotisches Elend in gemeines Elend umzuwandeln.

Ich glaube an die Macht der Gedanken, aber Aussagen der Glückstrainer wie: „Du erlebst, was du denkst“ oder „Du bist der Schöpfer deiner Realität“ verursachen mir ein leichtes Gruseln. In einem der Glückstrainer-Bücher flüstert solche Sätze ein höheres Wesen namens Ella einem NLP-Trainer ein, der in die Trance so locker hineingeht wie andere in einen Weinkeller. Ebenso locker weiß er gegenüber Ellas These seine anfänglichen Vorbehalte zu formulieren, die aber – wie könnte es auch anders sein - einer Energieblockade entspringen: „Ich war stinksauer, dass Ella mir einen derart bescheuerten Entwicklungsweg vorgeschlagen hatte.“

Na eben, aber da muss man wohl durch auf dem Weg zum Glück. Als ich zum wiederholten Mal ins Tor zur zivilisierten Welt schreiten soll, werde ich der Sache allmählich müde. Ich finde die Ansätze des Trainings ein bisschen dürftig und frage mich, ob die Angebote, die ich auf dem Weg zur Glückstrainerin in den Schaufenstern gesehen habe, eventuell attraktiver und aussagekräftiger gewesen wären: Antlitz-Analyse, Radix-Analyse, große Namensanalyse, Kombination Radix- und große Namensanalyse sowie Blütenberatung. Vielleicht sollte ich auch dem Förderverein für Engel beitreten, den ein Österreicher vor kurzem gegründet hat, in der Hoffnung, dass die Engel im Ausgleich dazu in einem Förderverein für Menschen unser aller Glück begünstigen.

Ich wünschte, die Glückstrainerin hätte zur Verstärkung der Suggestion ein wenig Hokuspokus parat, etwa ein kreisendes Pendel oder ein paar Blütenblätter für mein ungläubiges Haupt. Aber sie gibt sich bis zum Schluss seriös und am Ende liegt es wieder einmal bei mir, ob ich bereit bin, der Lehre zu folgen, meine Energieblockaden zu lösen, meine negative Sichtweise zu ändern und meinem Glück nicht mehr im Weg zu stehen.

In dem Ratgeber, den meine Trainerin mir empfiehlt, wird ein Buch aus der Ella-Kensington-Serie folgendermaßen angepriesen: „In diesem kleinen, aber feinen Büchlein, sind die zehn effektivsten und schönsten Methoden zusammengestellt, mit denen man sich Glücksgefühle reinschrauben kann, bis einem schwarz vor Augen wird.“ Das Büchlein heißt: „Glücksgefühle bis zum Abwinken.“

 

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