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15 Fragen bis zur Million oder: Kennen Sie die Hauptstadt von Kiribati?

Hans Danner fuhr nach Köln und holte sich Geld. Jetzt gesteht er: „Ich war bei der Millionshow!“ – Ein Reisebericht mit Rampenlicht.

Frage eins: Wie viel Geld möchten Sie besitzen?

In der Kalscheurenerstraße 89 im Kölner Vorort Hürth/Effern hängen im ersten Stock am Gang hinter großformatigen Wechselrahmen Kinderzeichnungen. Sie alle stellen das gleiche Motiv dar: einen Pfeilschwanzlöwen. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob dieses Tier wirklich existiert. Während mir die Geschichte dieser vermeintlichen Raubkatze erzählt wird, bin ich nicht ganz bei der Sache. Mein Gesprächspartner im Übrigen auch nicht. Ich kenne noch nicht einmal seinen Namen. Wenige Herzschläge später werden er und ich gemeinsam mit acht anderen Frauen und Männern abgeholt und ein Stockwerk tiefer ins Studio 7 gebracht, zum ehemaligen Gendarmen und Schifahrer Armin Assinger und zur Aufzeichnung der 348. Ausgabe der Quizsendung „Millionenshow“.

Frage zwei: Wenn Sie in der Lage sein sollten, von Zinsen leben zu können: halten Sie sich deswegen nicht für einen Ausbeuter, weil Sie, obschon Sie von den Zinsen leben könnten, selber auch arbeiten?

Zu diesem Zeitpunkt lag bereits einiges hinter mir, eineinhalb Tage war ich schon unterwegs: von Innsbruck mit dem Zug nach Wien, dort mit dem Taxi nach Schwechat, Abendessen am Flughafen, Übernachtung im Hotel, am nächsten Morgen Flug nach Düsseldorf, Bustransfer nach Köln, Check-In im Hotel vor Ort, Bustransfer zu den Studios der Produktionsfirma NOB, Briefing durch eine Mitarbeiterin des ORF, Jause, Briefing durch eine Mitarbeiterin von Endemol, Probe im Studio, Abendessen. Und da stand ich nun vor den Pfeilschwanzlöwen. Und wartete.

Seit Armin Assinger Barbara Stöckl als Moderator der „Millionenshow“ abgelöst hat, entwickelte sich die Sendung zum Straßenfeger. Mehr als eine Million Menschen sitzen in Hochzeiten hierzulande jeden Montag, Freitag und Samstag vor den Geräten und fiebern mit. Meine Mutter gehört auch dazu. Sie war es auch, die mich so lange gedrängt hat, bis ich es getan habe. Ja, ich habe es getan: Ich war bei der „Millionenshow“.

Frage drei: Haben Sie schon gestohlen:
a.   Bargeld?
b.   Gegenstände (ein Taschenbuch am Kiosk, Blumen aus einem fremden Garten, Kugelschreiber, die umherliegen, Handtücher im Hotel usw.)?
c.   Eine Idee?

Am Tag nach der Ausstrahlung der Sendung werden die Kandidaten, ihre Antworten (ihr Wissen oder Nichtwissen) in Kantinen, Trafiken und an Wirtshaustischen bewertet. Es geht darum, „was man selber gewusst“ hätte, was „doch ganz logisch gewesen“ sei, oder wo „man falsch geraten“ hätte.
Eine Fernsehsendung als roter Faden für den Gesprächsstoff des Alltags. Das erinnert an frühere Rundfunkzeiten, FS1 und FS2: Montagmorgen, widerwillig nehme ich meine Volksschultasche auf den Rücken und trotte los. Schon von fern sehe ich meine Mitschüler im Schulhof in Gruppen zusammenstehen und diskutieren. Auch wenn ich nicht hören kann, was sie reden, weiß ich, worum es geht: „Wetten dass...?“ mit Frank Elstner. Ich schleiche mich still vorbei. Ich habe am Samstag zuvor wieder einmal bei meinen Großeltern übernachtet und da war Sendeschluss um 20.15 Uhr, nach der ARD-Tagesschau, die wir nur aufgrund der geographischen Nähe zur deutschen Grenze via Antenne empfangen konnten.
Heute stellt sich die Situation anders dar. In aufgeklärten Erwachsenenkreisen ist man oft sogar darauf bedacht, den abendlichen Fernsehkonsum zu verleugnen. Anlässlich meiner Teilnahme an der „Millionenshow“, hörte ich nach der Ausstrahlung der Sendung oft Ausflüchte in der Art von „Ich schaue ja sonst nie, aber zufällig...“. Man will doch nicht zu denen gehören, die abends nichts Besseres zu tun haben, als fern zu sehen.

Frage vier: Was kostet zur Zeit ein Pfund Butter?

Nach der Beantwortung der insgesamt sieben telefonischen Fragen (darunter die Schätzfrage: Wie viele Kinder wurden im vergangenen Jahr in Österreich auf den Namen Katharina getauft?) will die angenehme, aber bestimmte Frauenstimme am anderen Ende der Leitung noch „mehr über mich erfahren“. Was ich für ein Mensch sei. Wie meine Freizeit so aussehe. Wie ich mein Äußeres einem Blinden beschreiben würde. Ich zögere. Was bin ich für ein Mensch?
Und dann soll ich noch einen „Schwank aus meinem Leben“ erzählen, eine bemerkenswerte Begebenheit, „die das Fernsehpublikum interessieren könnte“. Und da ich nicht wage, wieder zu zögern, fabuliere ich einfach drauflos und variiere eine wüste Geschichte, bei der ich jedes Mal, wenn ich sie erzähle, nur ungläubig fragende Blicke ernte. „Haben Sie schon einmal mit einem Arzt darüber gesprochen?“ Die Ernsthaftigkeit der Frage bringt mich nun doch aus dem Konzept.

Frage fünf: Möchten Sie eine reiche Frau?

Spaß, Spannung und Schokolade. Die „Millionenshow“ funktioniert wie ein riesiges Überraschungsei, für jeden hat sie etwas parat. Die Fragen sind so verschieden, dass ein abgeschlossenes Universitätsstudium nicht unbedingt über jahrelange Sportnachmittagserfahrung zu stellen ist. Profanes Wissen jenseits des Bildungsolymps lässt Intellektuelle straucheln. Und irgendwie hat man dann doch ein schlechtes Gewissen, wenn man nicht weiß, dass Gwyneth Paltrows Tochter Apple heißt.
Die nach der Notwendigkeit oder Wichtigkeit von Bildung lässt sich auch angesichts der „Millionenshow“ nicht zwingend beantworten.

Das ist wie mit der Pfeilschwanzlöwensache. Ganz Deutschland, sofern diese Formulierung überhaupt zulässig ist, weiß um die Existenz oder Nichtexistenz des seltsamen Tiers, seit der Moderator Günther Jauch im Rahmen von „Wer wird Millionär?“, der deutschen Ausgabe der „Millionenshow“, danach gefragt hat. Und ganz Österreich kennt inzwischen den bürgerlichen Namen von Tony Curtis.
Aber wem nützt das?
Es ist nun einmal eher nicht wichtig zu wissen, wer bei den olympischen Winterspielen in Innsbruck 1976 im Abfahrtsrennen der Herren den dritten Rang belegt hat. Es sei denn, man sitzt in Studio 7, steht bei einer Gewinnsumme von 150.000 Euro und Armin Assinger fragt danach.

Frage sechs: Haben Sie einmal eine Banknote mit dem Porträt eines großen Dichters oder eines großen Feldherrn, dessen Würde von Hand zu Hand geht, angezündet mit einem Feuerzeug und sich angesichts der Asche gefragt, wo jetzt der verbürgte Wert bleibt?

Ich muss ein wenig lächeln, als ich auf der Hinfahrt am Wiener Westbahnhof von einem Taxler abgeholt werde, der ein Schild mit meinem Namen in die kühle Februarluft hält. „Liegt in Innsbruck mehr Schnee als hier?“ Ich antworte knapp, und auch die restliche Fahrt durch die Nacht verläuft von meiner Seite aus einsilbig, mir ist nicht nach Reden zumute nach fünfeinhalb Zugstunden im stickigen Abteil. „Is eh ein gutes Hotel...“ meint mein Chauffeur gerade, als die Dunkelheit von einem gleißenden Lichtermeer zerrissen wird: das OMV-Gelände. Ich staune, wie eindrucksvoll der nächtliche Blick auf ein stinkendes Industriegebiet sein kann und denke mir eine Quizfrage zur Erdölverarbeitung aus.

Frage sieben: Fürchten Sie sich vor den Armen?

Der Taxler hat nicht zu viel versprochen. Vom Dreimannzelt in die Businesslounge: Eigentlich bin ich es gewohnt, auf Campingplätzen oder in Jugendherbergen zu übernachten. Mein schäbiger Mantel spiegelt sich im roten Glas der Wandverkleidung. „Die zwei neben mir an der zehn Meter langen Rezeption… Könnten die nicht auch?“ Woran erkennt man einen Kandidaten? Unsicher nehme ich die Keycard für das Hotelzimmer entgegen, bedanke mich und werfe den beiden, die jetzt ihrerseits mit der Rezeptionistin sprechen, auf dem Weg zum Lift noch einen letzten Blick zu. Lost in translation. Die Zimmertür fällt hinter mir ins Schloss. „Was machst du eigentlich hier?“, frage ich mich laut von außen und trotz der guten Matratze liege ich noch lange wach.

Frage acht: Warum nicht?

„Hallo erst mal. Ich bin Murat und darf Sie im Namen von Endemol hier in Düsseldorf sehr herzlich willkommen heißen. Ich habe hier eine Liste mit Ihren Namen, die werde ich jetzt vorlesen...“
Zugig ist es am Vorplatz des Flughafens Düsseldorf International, Nieselregen. Die Anzeigetafel in der Halle ist voll gefüllt mit Destinationen, die Sonne und Sand versprechen. Ich tauche kurz ab in einen Tagtraum. „War ich schon dran...?!“
Hin und wieder Gelächter in der Gruppe, wenn Österreichisches falsch ausgesprochen wird: „Frau Musiel?“ So heißen also meine Mitstreiter.

Im Bus auf dem Weg ins Hotel erläutert Heiko, unser Fahrer, sehr routiniert die Unterschiede zwischen Düsseldorf und Köln: „Altbier gehört, wie der Name schon sagt, auf den Sondermüll!“ Viele lachen, manche hören Musik oder dösen. Der Student in der Reihe neben mir schmökert in einem kleinen roten Büchlein, einem Wissenskompendium, wie mir ein nicht ganz unauffälliger Blick eröffnet. Im Übrigen wird kaum gelesen, vielleicht will man sich nicht verraten durch seine Lektüre. Ich schaue durchs Busfenster, auf dem der Regen seine Gesichter malt, ins Grau des späten Vormittags. Da, irgendwo hinter den Autobahnwällen, muss das Filmgelände der „Lindenstraße“ liegen.
Heiko zeigt uns, wo die Stars wohnen. Die Kneipe der Hella von Sinnen, die Metzgerei der Eltern von Stefan Raab.

Frage neun: Kennen Sie ein freies Land, wo die Reichen nicht in der Minderheit sind, und wie erklären Sie sich, dass die Mehrheit in solchen Ländern glaubt, sie sei an der Macht?

Eine Frau an einer Supermarkt-Kasse braucht rund 800 Jahre, um das Jahreseinkommen des Leiters der Deutschen Bank zu erarbeiten, ein Sozialhilfeempfänger muss dafür rund 1400 Jahre Sozialhilfe beziehen. „Das hier ist die einzige Chance in meinem Leben, reich zu werden“, wird die spätere Millionengewinnerin Elfriede Awadalla im Zuge der Show erklären.
Für eine Million Euro, soviel verdient Herr Ackermann ungefähr im Monat, lassen sich in Anlehnung an das Supermarktprospekt, das neben mir am Küchentisch liegt, 1.449.275 Liter Milch kaufen. Oder 3.875.969 Kilogramm speckige Kartoffeln.

Frage zehn: Was tun Sie für Geld nicht?

Studio 7 ist nicht so geräumig, wie es uns das Fernsehbild glauben macht. Die Stühle abgewetzt, die High-Tech-Monitore aus gebürstetem Aluminium in Wahrheit nur Bildschirme hinter einer Plastikverkleidung. Bei der Probe am Nachmittag geht der „Einheizer“, ein Mann um die vierzig mit gelb-schwarz-gestreiften Hosen, mit uns noch einmal den Ablauf der Sendung durch, schärft uns die Kamerapositionen ein und ermuntert zu einem Lächeln. „Dies hier ist nicht Ihre Hinrichtung!“ Am Ende wird eine Auswahlaufgabe gestellt, jeder darf mitmachen und die Spielkonsole ausprobieren. „Ordnen Sie folgende Währungen den jeweiligen Ländern zu …“ Ein Kandidat schafft das in 3,2 Sekunden. Nachher im Stiegenhaus erklärt er seine ungeheuerliche Geschwindigkeit mit einer Kopie der Originalkonsole, die er zu Trainingszwecken selbst entwickelt und gebaut hat. Er zieht das Ding aus der Tasche und wird sogleich von den anderen Kandidaten umringt.

Frage elf: Was missfällt Ihnen an einem Neureichen?
a.   dass er ohne Heraldik auskommt?
b.   dass er vom Geld spricht
c.   dass er nicht von Ihnen abhängig ist?

Das verspätete Mittagessen wird zum Stehimbiss am Gang, es ist nicht genug Platz für alle im Aufenthaltsraum. Ich bin trotzdem hungrig, und als Herr Assinger kurz darauf durch den Gang huscht, sehe ich ihn nur von hinten. Ich nehme einen Schluck Orangensaft und lasse mir das Gespräch, dessen Zeuge ich vor der Generalprobe in der Garderobe war, noch einmal durch den Kopf gehen. „Hauptstädte kenne ich alle, die habe ich gelernt …“ „Und die Hauptstadt von Kiribati?“ „Ist Vaiaku!“ „Nein, Bairiki!“ „Oder Tuarabu?“ So oder umgekehrt war das. Und ich bin daneben gestanden. Inzwischen kenne ich die richtige Antwort und weiß noch viel mehr. Dass die Hauptstadt von Kiritimati London heißt, zum Beispiel.

Frage zwölf: Haben Sie schon ohne Bargeld leben müssen?

Nach dem Essen bringe ich das schmutzige Geschirr zurück und schlendere unschlüssig durch den Gang, bis ich vor einer Anzahl von Kinderzeichnungen stehen bleibe. Pfeilschwanzlöwen, genau.

Der Einlauf ins Studio erinnert dann auch an antike Vorbilder, der Weg führt unter den Tribünen vorbei, Klatschen und Gejohle der vom Einheizer präparierten Zuschauer inklusive. Morituri te salutant. Und dann wird alles plötzlich ganz unspektakulär. Armin Assinger begrüßt die Kandidaten, stellt die erste Auswahlaufgabe und mit kaum vier Sekunden ist der Konsolenbastler wirklich am schnellsten mit seiner Antwort.

Frage dreizehn: Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?

Ich bin dann später auch noch „in die Mitte“ gekommen, viel langsamer, freilich. Dort war ich überrascht, wie schnell aus der großen Aufregung ein Spiel werden kann, bei dem der Geldbetrag, der zur Debatte steht, in den Hintergrund tritt. Das war es dann. Und schon saß ich wieder hinter der Bühne auf dem Sofa und sah mir die Aufzeichnung der nächsten Show im Fernsehen an.

Im Bus zwischen Studio und Hotel war die Stimmung gelöst, Elfriede Awadalla hatte in der Show nach mir die Millionenfrage richtig beantwortet. Ich ließ die feiernde Menge an der Hotelbar zurück und versuchte mich noch einmal am nächtlichen Köln. Das Türkis der Kölnisch-Wasser-Reklame in den schwarzen Pfützen; nach vier Kölsch fiel ich müde ins Bett.

Frage vierzehn: Sind sie ein Sparer?

Am nächsten Morgen, am Flughafen Schwechat, gab es Probleme mit der ORF-Taxireservierung, ein Wagen fehlte, und so fuhr ich gemeinsam mit einem anderen Kandidaten zurück in die Stadt. Unglücklich über sein Abschneiden bei der Show, führte er mehrere Telefongespräche, in denen er ein geplantes Fest absagte und sich schließlich lautstark über eine der siegreichen Kandidatinnen beschwerte, die nichts gewusst und ihm seinen Platz weggenommen hätte und außerdem… Und dann, nach einem Blick auf mich, hielt er inne. Die Situation erinnerte mich unwillkürlich an eine Episode aus der amerikanischen Fernsehserie „Friends“. Der angehende TV-Star Joey bereitet sich auf die Verleihung eines Fernsehpreises vor: Vor dem Spiegel übt er überraschte Blicke und sucht nach dem richtigen Ausdruck für seine Dankesrede. Rachel, die inzwischen unbemerkt den Raum betreten hat, weist ihn nach einem kurzen Moment der Peinlichkeit darauf hin, dass er sich auch für den Fall einer möglichen Niederlage etwas überlegen müsse. Widerwillig probiert Joey zurückhaltend gönnerhaftes Klatschen. Bei der tatsächlichen Verleihung bekommt den Preis jemand anderer, Joey wird ausfällig, beschimpft den Ausgezeichneten und merkt zu spät, dass die Kamera auf ihn gerichtet ist. Als er endlich seine eingeübte Pose einnimmt, ist bereits alles vorbei.

Inzwischen hatte sich mein Mitreisender wieder in der Hand: „Ist ja wahr, oder?“

Frage fünfzehn: Was fehlt Ihnen zum Glück?

Während ich mir die drei Tage „Millionenshow“ ins Gedächtnis rufe, blättere ich in Max Frischs zweitem Tagebuch und ordne anhand seiner Fragebögen mein Leben.

 

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