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Landstreicher Nächte

Von Andrea Zanzotto

Ich denke mit Wehmut an die Jahre, als ich Kutschenund Pferdeverleiher war. Jetzt mache ich anderes, bin vielleicht aufgestiegen, wie man sagt; doch wo ist der riesige Hof geblieben, mit dem Pferdestall, dem Brunnen, aus dem der Stallknecht und ich in Eimern Wasser schöpften, um sauber zu machen? Mir scheint, dass damals fast immer die Sonne leuchtete. Dabei waren die Winter lang, vielleicht länger als heute, und ebenso die Regen. Ich hatte Kutsche, Wagen, eigene Pferde, ich fuhr aus auf dem Kutschbock, zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten, um Personen oder Güter zu befördern, die mir Geld einbrachten, das ich, im Falle von Kreditwürdigkeit, gegen gute Zinsen verlieh, und davon lebte ich. Meine Pferde waren alle sehr gepflegt, gestriegelt, dass sie wie geölt aussahen, stattlich und schlank; aber nie ist es mir gelungen, jenen Geruch von Leder, von Schweiß, von Stallmist ganz aus dem Inneren der Kutsche zu entfernen, obgleich sie angestrichen war. Es war mein Geruch, aber ich mochte ihn nicht.
Ich hatte gerade geheiratet, und meine Frau, ein wenig älter als ich, ich werde nicht sagen, dass sie besonders schön war, aber sie kam aus einer guten Familie; ihre Mitgift hatte ich für meinen Betrieb verwendet, für die Pferde. Und Alba war zufrieden, dass ihr Geld Früchte getragen hatte; sie verstand schnell, war voller Neugier, hatte kastanienbraunes und gelocktes Haar, einen ganzen Berg, zwei graue, äußerst wache Augen; groß und hager.
Mir gefiel sie, ich dachte nicht an andere. Ich schnaubte, wenn ich mitten in der Nacht aus dem Bett musste, weil ein Kunde einen Dienst verlangte; aber das gehörte zum Geschäft. Manch einen habe ich zuweilen abgewiesen; doch nie hätte ich mir ein solches Verhalten der Signora Zuanil gegenüber erlaubt, auch wenn ich gerade ihr die meisten meiner nächtlichen Störungen zu verdanken hatte, im Sommer meinetwegen, aber auch im schlimmsten Winter. Sie war so rücksichtsvoll, mich durch ihre Diener verständigen zu lassen, dass sie, sagen wir, um ein Uhr nachts vor ihrem Haustor stehen würde, bereit zur üblichen Rundfahrt. Aber öfter noch weckte sie mich; riss mich aus dem Schlaf mit ihrem Läuten, das lang aber schüchtern war, immer wieder einsetzend. Für gewöhnlich wollte sie, dass wir mit dem besten zur Verfügung stehenden Gespann das Tal bis zur Weggabelung hinauffuhren, wo sie sich, nicht ohne langes Abwägen, für die Straße nach Valne oder jene nach Risena entschied.
An regnerischen Abenden, oder verschneiten, wenn ich erreicht hatte, woran ich den ganzen Tag gedacht, nämlich mich mit Alba zurückzuziehen, und mich gerade tief im Schlaf befand, da hörte ich nach mir rufen, vernahm die Glocke, fast flehentlich, im Dunkel. Alba rüttelte mich wach. „Es ist die Signora. Die Signora!“ „Glaubst du?“, entgegnete ich fügsam und hörte, über die Leere des Hauses, das Prasseln des Regens oder das Pfeifen des Windes.
„Man muss sich beeilen, wer weiß, wie nass sie schon ist, vom Warten.“ Alba war mitfühlend, in solchen Momenten, sie dachte nicht ans Geld. Sie wusste, dass die Signora in jungen Jahren Witwe geworden war. Sie hatte eine einzige Tochter, und die war ihr gestorben, wie dazu bestimmt, der „Engel“ des Dorfes zu werden, den Himmeln in seiner lilienweißesten Tugend besonders lieb, und die Himmel, gierig, hatten sie mit sich genommen. Seit damals hatte die Signora ohne Ende geweint, sagte man. Und es schien unvorstellbar, dass dieser Reichtum mit Tränen befleckt, dieses stabile Haus, die Fußböden, die Möbel, der Goldschmuck (aber wer hatte ihn je gesehen?), dass dies alles in schändlicher Weise von Schmerz befleckt wurde. Und die Signora hatte die Trauer nie abgelegt. Allerdings klein: mit riesigen schwarzen Augen und einem harten gebieterischen Gesicht; ein großer Kopf, fast unverhältnismäßig für den Leib; und sie tat einem fast Leid bereits vor dem Unglück, wegen dieser besonderen Unverhältnismäßigkeit, dieses Gegensatzes zwischen Körper und Kopf: der einen starken Willen anzeigte, welcher dann zu nichts führte, sich gegen nichts durchsetzte. Es war traurig, an sie zu denken, dort im Regen und Wind.
Alba zündete mir die Lampe an, ich kleidete mich an und ging hinunter, lief fast, während es, in immer kürzeren Abständen, immer weiter klingelte. Ich öffnete und sie trat in die Küche, dankte mir, durchnässt, mit tropfendem Regenschirm. Oder ganz bestäubt von Schneekristallen. Ich bat sie, einen Augenblick zu warten, und bald waren Pferd und Landauer bereit, schwarze Schatten, stolz beinahe, in der Einfahrt des Schuppens.
Wir nahmen unsere Reiseroute. Ich durfte nie schnell fahren; Schritttempo musste es sein, bei jedem Wetter. Ich weiß eigentlich nicht, was die Signora tat. Schaute sie aus dem Fenster? Überließ sie sich dem Schlaf auf den roten Samtkissen, auf der Polsterung der Kutsche?
Ich, gehüllt in einen Umhang, der mich wahrlich schützte vor allen Unbilden des Wetters, oder befreit, in der guten Jahreszeit, die ganze Frische der Morgenstunden für mich zu haben, ließ mich fallen in den Genuss der Nacht, vergaß auf meinen Fahrgast, stellte mir nicht mehr vor, was sie fühlte, was sie dachte. Das Murmeln des Flusses, das bei Lichte der Unaufmerksamkeit aller monoton erscheinen mochte, trat hervor aus der Einebnung, in die der Tag es verbannte, trat hervor mit all seinen Stimmen, hatte feine, überraschende Hebungen. Bei jeder Kehre, jedem neuen Bergsporn, bei jedem Seitentälchen wechselte der Gesang, bald plötzlich, bald allmählich, wandelte sich ab, verwandelte sich dem Sommer oder Winter an. Es zogen hohe und schwarze Wolken zwischen den Sternen, oder Windstöße schnitten mir ins Gesicht, aus den Dunkelheiten hervorstürzend, oder Duftschleier aus dem Wald berührten meine Nasenlöcher, strömten in mich.
Hinunter nach Risena oder hinauf nach Valne: An der Gabelung musste ich vom Kutschbock springen, mich neben die Kutsche stellen, ans Fenster, und die Entscheidung der Signora abwarten. Manchmal verging eine halbe Stunde, bevor mir die Anweisung gegeben wurde, mit einem Handzeichen.
Die ganze Nacht verging, im Schritt, so dass die Schellen kaum geschüttelt wurden; wir kamen in der Dämmerung oder am frühen Morgen an, wenn der erste Schimmer (der von der Signora vielleicht immer aufs Neue gefürchtete, verwunschene) auf meine müden Lider schlug. Kaum am Ziel – fast immer wählte sie Risena – ließ sie mich vor dem Hotel Zur Giraffe halten. Und der Wirt, der in der Tür stand, als er meine Kutsche hoch droben auf dem letzten Hang, der zum Dorf hinunterführte, abbiegen sah, lief hastig, um der ganzen Dienerschaft Anordnungen zu erteilen. Die Signora, ehrerbietigst begrüßt, stieg aus, wies die jedes Mal angetragenen Hilfen von sich, hatte immer großen Hunger. Sie wollte ein großes Mahl, entschuldigte sich wegen der wenig angemessenen Uhrzeit und verlangte die Zusicherung, dass für sie keine außergewöhnlichen Anstalten getroffen würden. Aber sie ließ sich ablenken vom Duft des Bratens, der sich schon drehte, auf dem Spieß.
Welch vorzügliche, feine Speisen nahm die Signora Zuanil zu sich, bedient von zwei Kellnern in Jackett und Handschuhen! Und auch mir ließ sie es an nichts fehlen. An einem anderen Tisch, aber nicht weit entfernt von ihr, ließ sie mir eine Speisekarte vorlegen, die in einigen wenigen Gerichten von der ihrigen abwich; vielleicht wollte sie mir die ausgefallenen Speisen nicht servieren lassen, weil sie glaubte, sie würden mir nicht schmecken. Sie blickte mich nie an, während ihrer Mahlzeit. Sie aß mit ehrlichem Appetit, ohne zu übertreiben. Am Schluss aber packte sie sorgsam die Reste ein, in verschiedene Tüten, dann sammelte sie mit verstohlener Miene und mir komplizenhaft zublinzelnd, worauf ich schon gefasst war, alle Zahnstocher, leerte die Salz- und Pfefferschälchen, füllte weitere Tütchen damit und steckte sie ein, das schöne schwarze Kleid bauschte sich, während sie versuchte, die Sachen zu verstecken, indem sie drückte und glättete und glättete mit den Händen. Im nächsten Augenblick lud sie mich ein, gleiches zu tun, sie fühlte sich besser, wenn sie sah, dass auch ich ihr folgte, ihre Tat nachahmte. Der Gastwirt, von ihr nicht bemerkt, wohl aber von mir bemerkt, beobachtete erheitert jenes Treiben, das ihrer Überzeugung nach im Verborgenen geschah. Im Übrigen stritt sie um keinen Groschen bei der Rechnung, die ihr vorgelegt wurde, vergaß auch nicht den Zehner für jeden Kellner und bestand darauf, ihn jedem in die Hand zu drücken, seine Hand um das Geld zu schließen.
Zurück gings im Trab, am Abend wurde ich mit wundersamer Pünktlichkeit entlohnt. Der Diener brachte mir, in einem Beutelchen, eine Goldmünze, und fast immer einen Korb mit Äpfeln oder Nüssen, bisweilen ein Täubchen: Zuwendung einer Dame, die auf diese Weise vielleicht ihre vornehme Stellung unterstreichen wollte und treu blieb den edlen Gewohnheiten ihrer Vorfahren; aber Zeichen auch einer gewissen Dankbarkeit und, möchte ich sagen, einer gewissen Zuneigung.

Einmal aber, bei der Rückkehr, bat sie mich, sie in ihrem Haus zu besuchen, um ihr meine Frau vorzustellen, die sie nur flüchtig gesehen hatte, kaum wahrgenommen. Alba war nicht aus unserem Dorf, und sie wünschte, so sagte sie mir, sich persönlich ein Urteil zu bilden über den mit Alba getanen Erwerb seitens der örtlichen Bevölkerung: vielleicht empfand sie es, aufgrund ihrer Stellung, wie ihre Ahnen als Pflicht, über alle zu wachen, alle zu kennen. Ich war geschmeichelt von dieser Aufmerksamkeit, bereitete mich auf den Besuch vor, und insbesondere versuchte ich, meine Frau vorzubereiten, und brachte ihr in Erinnerung, wer die Signora war und aus welchem Geschlecht, und ihre Gewohnheiten.
Als wir uns zu ihrem Anwesen begaben, war es die Signora, die uns öffnete, wir schritten durch die zwei Salons und wurden in der Küche empfangen. Dort ließ sie uns, im Stehen, zwei Glas Wein servieren, ohne sich zu beteiligen, und beobachtete Alba, ohne das Gespräch allzu sehr anzuregen; aber man wusste, dass die Signora die Worte nicht besonders liebte. Das Schweigen erlaubte uns, uns umzuschauen, einen so intimen Ort im Hause meiner Kundin näher kennen zu lernen, einen Ort, zu dem nur wenige im Dorf behaupten konnten, vorgedrungen zu sein. Die Küche hatte nichts Außergewöhnliches an sich, aber hinter einer angelehnten Türe erschien das Innere einer Waschküche; meine Frau starrte unverwandt in jene Richtung, und da entdeckte auch ich, dass eine ganze Wand der Waschküche eingenommen wurde von langen, übereinander hängenden Reihen von Schöpflöffeln, Schöpflöffeln aller Art, aus Holz und Metall, in den wunderlichsten Formen und Größen. Sicher Hunderte.
„Aber Signora, was machen Sie mit all diesen Schöpfern?“, wollte Alba wissen. Und es war, als ob ein riesiger Tropfen sich langsam gebildet hätte und plötzlich, durch sein Eigengewicht, herabgefallen und am Boden zerplatzt wäre. Oder mir zwischen meinen Hals und Kragen gefallen wäre, eisig. Die Signora schien nicht verstanden zu haben, ihr Gesicht zeigte keine Regung, die Frage blieb ohne Antwort. Augenblicke später wurden wir verabschiedet, mit weniger offenkundiger Herzlichkeit als bei unserer Ankunft. Ich wollte mich noch einen Moment aufhalten und deutete meiner Frau, vorauszugehen.
„Signora, ich hoffe, Sie mögen entschuldigen … Meine Frau … Sehen Sie …“
„Ich wüsste nicht, Giuseppe, was ich Euch entschuldigen müsste. Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn“, machte sie, mich beinahe zur Tür hinausstoßend. Es gab kein Wiedersehen, ich wurde nicht mehr ins Haus Zuanil gerufen, hörte nicht mehr die Glocke, die von der Hand der ehrenwerten Dame gezogen wurde, in Sturmesnächten. Man sagte mir, viel später, dass sie immer trauriger und böser wurde. Sie zürnte den Bauern, zieh sie des Betrugs, versuchte sie zu kränken, und einmal, als sie sich in das Haus eines ihrer Pächter begeben hatte wegen eines Streits um die Ernte, hatte sie in einen Kochtopf uriniert.

 

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