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Still Leben

Ernst Trawöger hat den Umschlag dieses Heftes und die acht Doppelseiten gestaltet. In seinen Arbeiten kehrt er das Blickverhältnis um: Nicht das Auge sucht und findet aktiv, das Gesehene blickt uns an. Von Thomas Trummer

„In Zeitläufen, in denen die Natur dem Menschen übermächtig gegenübertritt, ist für’s Naturschöne kein Raum“.1 So klagte einst Theodor W. Adorno, dessen geheimnisvolle mittlere Initiale „Wiesengrund“ bedeutet. Wie zufällig trug Adorno schon im Namen einen Hinweis für eine besondere Sichtweise der Natur. Er meinte eine natürliche Welt, die sich dem Menschen nicht ausliefert, sondern als Grund darbietet. Was wir in den Fotografien von Ernst Trawöger vorfinden, ist ein Einfangen der Natur in diesem Sinne. Natürliches erscheint in seinen Aufnahmen nicht übermächtig und gefährlich, aber auch nicht untertan oder gefügig. Allgemein kann man sagen, dass jedes Bild, sofern es Ausschnitt, Rahmen und Geometrie ist, bereits eine Gefährdung für das Abgebildete darstellt. Jedes Bild hebt sich vom Grund ab. Es domestiziert und zwingt das Sichtbare unter seine Regeln. Nicht nur das Rechteck des Rahmens unterwirft, schon allein im Stillstehen büßt das Abgebildete Leben ein. Adorno sah deshalb in der Unbeweglichkeit des Bildes eine Gefahr, in der Starre die Ursache für mögliche Entfremdung des Menschen. Gerahmt dienen Bilder als Instrumente, sie werden Prüfinstanz, Reflexionsmittel und Illustration. Solcherart tragen sie nicht zur Wahrnehmung bei, sondern wollen Erkenntnis und Ergebnis liefern. Es geht ihnen nicht um das Sosein des Natürlichen, sondern um einen bestimmten Zweck.

Bei Ernst Trawögers Fotos handelt es sich um Bilder ganz anderer Art. Es sind Bilder, die gegen das eigene Bildsein vorgehen. Sie verweigern Verwertung und Zurechtrückung, stattdessen bemühen sie sich um eine besondere Gegenwart. Am besten verständlich werden sie, wenn man sie nicht von ihrem Resultat her betrachtet, sondern von ihrer Entstehung. Ernst Trawögers Fotos vermitteln die Tätigkeit intensiven Schauens, weil sie sich aus Beobachtungen entwickeln. Das naturhafte Sujet wird dabei nicht aus seinem Kontext isoliert, bildhaft umfangen, eingeschweißt oder technologisch erschlossen. Vielmehr ist es Trawögers erkennbare Absicht, das Auge in der eigenen Aktivität erfahrbar zu machen. Es ist ihm ein Anliegen, dem Betrachter zu vermitteln, wie es sich um ein achtsames Vorgehen bemüht. Vorsicht, Herantasten und Empfindlichkeit scheinen die wichtigsten ästhetischen Vorgaben dieser Art der Naturschau.

Um dieses ästhetische Ziel, das keinen Zweck verfolgt, zu erringen, und das Naturschöne von seinem Grund her zu zeigen, bedarf es einer Haltung jenseits der bildsuchenden Einstellung. Gefordert ist eine besonders zurückhaltende Kultur des Wahrnehmens, einem Erwarten, einem Zustand der Empfänglichkeit ähnlich. Dazu gehört vor allem die Befähigung, sich ansprechen zu lassen. Trawöger kehrt das Blickverhältnis um. Das Gesehene blickt uns an. Nicht das Auge sucht und findet aktiv, sondern die Aufmerksamkeit möge so offen gehalten sein, dass das Gesehene ihr entgegen tritt und sich so offen legt. Diese bedachtsame Weise der Annäherung wird in besonderer Qualität in den Pflanzenfotografien nachweisbar. Ein Gewächs streckt seine Verzweigungen zart und zerbrechlich dem Sehen entgegen. Es hebt sich hervor, bringt sich selbst zur Anschauung, so als könne es den fotografierenden Sucher auffordern, es zu finden. Eine solche Blickweise bedarf der Konzentration und der Schulung. Er habe viel vom Schauen selbst gelernt, sagt Trawöger, denn nur „wenn man genau und geübt beobachtet, sieht man die Dinge“2.

Um diesen Umschlag des Wahrnehmens von aktivem Interesse zu passiv horchender Suche sichtbar zu machen, nutzt Trawöger das Mittel der Bildschärfe. Schärfe und Unschärfe der Fotografie geben die vorsichtige Annäherung des Auges wieder. Der Fokus der Kamera hält fest und vermittelt uns glaubhaft den Akt des Anschauens. Er kreist ein, in dem er das Unbeachtete heraushebt und damit einen bestimmten Ort des Lebendigen fixiert, den Bio-Topos, der die eigentliche Kunst an diesen Werken ist.

Zwei Gruppen lassen sich unter diesen fotografischen Bildern unterscheiden. Die einen zeigen Verzweigungen, Verästelungen, pflanzliche Äderungen, – also lebendige Natur im Dickicht. Die anderen blicken auf Steinformationen, suchen Blockhaftes, monumentale und skulpturale Formen, – unlebendige Natur, jedoch in selber Nahaufnahme und Konzentration. Worin sich beide Genres ähnlich werden, ist der Versuch, das Momenthafte, Transitorische ins Bild zu bringen. Die Natur ist veränderlich und vergänglich, das wissen wir, aber auch der Blick, der sie wahrnimmt, ist von Kurzlebigkeit, Stimmung und Augenblicklichkeit geprägt. Trawöger legt besonderen Wert auf diese Bedingungen. Wahrnehmung ist für ihn Vollzug und Bildbetrachtung Zeugnis eines Geschehens. Am deutlichsten nachvollziehbar wird die Zeitlichkeit des Beobachtens an einer Fotoserie mit Vögeln. Sie bilden die dritte Gruppe. Diese Bilder zeigen höhere lebendige Natur, nämlich Tiere, und zwar solche, die mehr noch als die Menschen, einen Blick von oben auf den Grund, den Wiesengrund, werfen können. So sehr sie in der Hierarchie des Lebendigen über Steinen und Pflanzen stehen, so erscheinen sie in den Bildern Trawögers aber im Zusammentreffen und in der Begegnung: Die rundlichen Singvögel sitzen wie kleine Tonskulpturen in den grafischen Verzweigungen des Geästes. Die Bilder, die dabei entstehen, wirken zufällig. Noch stärker als in den Dickichtaufnahmen des Bodens wird das Sujet von seinem Bildsein entkoppelt. Es wird weder zentriert noch platziert. Die Vögel befinden sich dort, wo sie der Blick einfängt, am Rande, zwischen den Linien, versteckt unter Zeilen, einsam und als Silhouette vor blankem Himmel. Zufälligkeit, Kontingenz und ephemerer Moment sind abermals die Ursachen für diese Wirkung, in der nicht das Bild sondern der Blick und das Sehen zum Thema werden.

Um anzuzeigen, dass es sich hierbei um Forschungen handelt, in denen die Kunst zum Partner der Wissenschaft wird, vermehrt Trawöger seine Fotos um Zeichnungen. Die Natur ist erneut die Lehrmeisterin. Im Unterschied zu den Fotos sind diese Studien jedoch durchaus komponiert. Komposition bedeutet aber nicht unbedingt Nachahmung. Der legendäre Maler Zeuxis konnte in der Antike die Vögel noch täuschen, die an seinem Bild die Trauben pickten. Doch die Illusion ist Trawögers Sache nicht. Der Augentrug wäre nur die perfekte Kunst, die sich der Natur bemächtigt. Eher verhält es sich in seinen Bleistiftwerken umgekehrt, so als ob der Künstler das Unbekannte der Natur bewahren könnte, um das Bild, das aus ihr gemacht wird, zu irritieren. Das Bild täuscht sich an den Vögeln, nicht umgekehrt. Trawöger nennt diesen Vorgang „topologische Transformation“. Wie in einer seismografischen Bild-Bearbeitung wird das aus den Fotos Gefilterte in ein komprimiertes Schema übertragen. Trawöger reduziert und bereinigt, aber er bannt nicht. Er selbst bezeichnet diese Aufzeichnungen als „Strukturen“, mit Recht, denn er verwendet geometrische Motive, die – würde man sie nicht in Nachbarschaft zu den Naturfotografien sehen – , man notgedrungen als Beitrag zur konstruktivistischen Bildforschung lesen würde.

Tatsächlich aber sind es Untersuchungen zu visuellen Erscheinungen, welche aus der Naturbeobachtung stammen, aber auch physikalische Bestandsaufnahmen. Manche Phänomene, die wiederkehren, machen den Eindruck, als hätten sie durch die Übersetzung in die Bleistiftzeichnung ihren Aggregatzustand gewechselt. Heraus gegriffen werden überlappende Kreise, Geraden, Strichlagen, Raster und Punkte. Das, was diese Gruppe an Handzeichnungen so einprägsam macht, ist ihre sorgsame Anmutung und die Tatsache, dass sie die Poetik der fotografischen Naturbilder bewahren. Das 19. Jahrhundert liebte kleine Aquarellstudien von fliehenden Wolken. Es war die Bewunderung für das malerische Festhalten eines beweglichen Flecks am Himmel. Trawöger versucht Ähnliches, jedoch nicht um malerische Beherrschung, Handschrift und Höhenflüge zu zeigen, vielmehr um anzudeuten, dass die Bildwerdung, das Fassen von Erscheinungen der Natur, Bodenhaftung und Nähe nötig machen. Seine Zeichnungen greifen Motive auf, aber nicht in sie ein. Sie sind genauso achtsam, wie die Beobachtungen, die ihnen vorausgehen. Zugleich sind sie deren Fortsetzungen und Fortschreibungen. Trawögers Strukturen erstarren nämlich nicht, sondern werden so vorgetragen, dass sie – wie die Fotografien, die ihnen beigestellt sind –, durch ihre Bildwerdung nicht zur toten Natur (nature morte) herabkommen, dafür umso mehr stilles Leben darstellen, eben Stillleben im wörtlichen Sinne. Sie setzen eine Natur ins Bild, die nicht übermächtig dem Menschen gegenübertritt, aber sich auch nicht untertänig fügt, sondern greifbar wird in ihrer unantastbaren Eigenart, das heißt verständlich zum Erscheinen kommt als bescheidene Gegenwart und lebendiger Grund.

1   Theodor W(iesengrund) Adorno: Ästhetische Theorie. Frankfurt am Main 1970, S. 102.
2   Ernst Trawöger in einem Gespräch vom 19. April 2005.

 

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