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„Spielen wir wieder C-Dur, oder wie ist das?“

Leidensmienen, das dunkle Herz der Moderne und die Provokation als Dienstleistung im Entertainment: Helmut Jasbar traf den Komponisten Helmut Lachenmann. Ein Gespräch und einige Anmerkungen zur Unverdaulichkeit Neuer Musik.

Prolog
Für ein Interview zu Besuch bei einer winzigen Fernsehstation in New York State: Ich betrete das bescheidene, schlecht ausgeleuchtete Studio, in dem sich eine kleine Zahl älterer Herrschaften versammelt hat, die, wie mir gesagt worden war, verschiedene ehrenamtliche Funktionen im Bereich der Kultur und vor allem der zeitgenössischen Musik ausüben. Wir sitzen im Halbkreis um einen sichtlich erschöpften Moderator, einem Mann in den Siebzigern, dem man trotz Solariumsbräune das harte Geschäft des Fernsehmachens ansieht. Er kennt die Gäste (meine Person, den Musiker auf der Durchreise, ausgenommen), sie sind ein eingespieltes Team. Nach einem kurzen Blick auf sein Manuskript eröffnet er das Gespräch im Ton der Wohlgelauntheit eines Fernsehmenschen mit den Worten: „Ladies and Gentlemen, what will be the topic of the next 20 minutes?“ Er blickt mit einem abgeklärten Lächeln in die Kamera und sagt: „I guess I only have to say three words: „music, music, music!“ Seine immer noch animierende Moderatorenstimme bringt das Wort „music!“ hoch über unseren Köpfen zum Glitzern, dadurch verschärft er allerdings auch den Kontrast zu seinen Gästen, die wir nichts anderes als dürre Worte zu bieten haben. Seine Augen gleiten müde über uns hinweg, wir warten mit hängenden Schultern auf seine Fragen. „Music, music, music!“, wiederholt er zerstreut, vielleicht, um Zeit zu gewinnen.

… Auftritt Lachenmann …
Luigi Nono sagte zu mir: Wenn du einen Triller schreibst, dann benimmst du dich wie Francois Couperin. Musik, die dekorativ ist, nichts weiter als geistvolle Unterhaltung. Nichts gegen den Geist aber viel gegen die Unterhaltung … die Unterhaltung – das war es, was Nono ablehnte. Zumal nach zwei Weltkriegen diese bürgerliche Kunst als Ausdruck eines deutlich abgewirtschafteten und entlarvten Denkens überwunden werden musste.1

Seit den Zeiten, in denen Nono seine Utopien formulierte, hat sich die Welt der Musik bis zur Unkenntlichkeit verändert. Könnte es sein, dass wir, die wir uns für Neue Musik interessieren, in einer endlosen Schleife der gegenseitigen Beteuerungen festsitzen? In einer Art „Twilight Zone“ der Musik? Wir halten uns für innovativ, ideenreich und undogmatisch, in Wahrheit sind wir vielleicht altertümlichen Ideen verfallen2 – wie jener, dass das Schiff der Zivilisation ein Vorne und ein Hinten, ein Oben und ein Unten kenne. Dass es einen Fortschritt in der Musik gebe. Dass es etwas Neues in die Welt zu bringen gelte. Dass wir alle die Eingeweihten seien, die oben und vorne wären, unverstanden und daher einsam. Kennen Sie die „Musikalische Hölle“3 von Hieronymus Bosch? Eine in viele Teile zerfallende Welt ohne Raum, Zeit und Ort; Splitter, die sich niemals wieder zusammenfügen lassen.

Ich weiß nicht, ob man das so sehen kann … worüber ich mich hingegen mehr und mehr ärgere, sind die Schlaumeier. Da gibt es diesen Supermarkt der Faszinosa in der sogenannten Avantgarde, dazu gehören bestimmte klangliche Requisiten – ob das nun Geräuschhaftes oder Virtuoses oder sonstwas ist –, dazu gehört auch das „Strukturelle“ – als Tugend … und da kann man sich dann natürlich bedienen!

… Grenzen, brüchig …
Hören wir auf die ratlose Wohlgesonnenheit interessierter Zuhörer und hochspezialisierter Kritiker nach ihren alljährlichen Donaueschingen- und Darmstadt-Pflichtfahrten, wo sie immer wieder verwechselbare, unter Innovationszwang stehende Geräuschkonfigurationen als „neu“ vorgesetzt bekommen, begleitet von Programmtexten voll kryptischer Wortkaskaden, in denen erbarmungslos und seit Jahrzehnten von „Grenzüberschreitungen“ die Rede ist.4 Sprechen wir von der Einschüchterung durch Modernität. Wer es noch nicht bemerkt hat: All die Untugenden der Schwarzpädagogik5 haben durch die Hintertüre längst wieder Eingang gefunden in die Welt der Neuen Musik: Bildungsdünkel, autoritäre Strukturen, verqueres Elitedenken6, kleinliche Intoleranz gegenüber sog. Gebrauchsmusik.7 Die Vokabeln der Sechziger Jahre sind mittlerweile nichts weiter als Bedeutungskitsch des ewig „Brüchigen, Unversöhnlichen, Intransingenten, Unerbittlichen, Verweigernden, Unnachgiebigen“. Zum zigmillionsten Mal mit diesen Worhülsen konfrontiert8, möchte ich aufspringen und rufen: „Es ist uns längst schon allen schlecht und auch langweilig genug, ihr könnt jetzt damit aufhören!“

… Fragment, Schein …
Ich bin ja nach Meinung mancher Kollegen der letzte Saurier der Avantgarde, nämlich einer, der auf die Beobachtung des musikalischen Materials Wert legt. Das meiste in der Postmoderne interessiert mich überhaupt nicht. Was für mich zählt, ist die Moderne in ihren verschiedenen Aggregatzuständen. Und was wir Postmoderne nennen, ist eine Moderne, in der die Verweigerung verweigert wird.

Wer wissen will, was damit gemeint ist, muss zuerst verstehen, was die erste Moderne will oder wollte. Dieses „Verstehen“ würde aber voraussetzen, dass der historische Abstand zu ihr bereits groß genug ist, um sinnvolle Aussagen über deren Wesen treffen zu können.9 Wie schwierig das auch immer sein mag, diese Auseinandersetzung ist unumgänglich, denn die Tabus der abgewohnten Moderne schwelen noch und beeinträchtigen unseren Blick.

Die Modernen? Sie sprachen sehr deutlich über die Probleme, man kann sie immer wieder mit Gewinn befragen. Aber die Erkenntnisse stammen zum großen Teil aus einer Zeit, als sie noch nicht im Erbsenzählzwang der Epigonen erstickt wurden. Hier z.B. die Legitimation des in der Neuen Musik üppig zelebrierten Hanges zum „Fragment“: „Das geschlossene Kunstwerk erkannte nicht, sondern ließ in sich Erkenntnis verschwinden. Es machte sich zum Gegenstand bloßer ‚Anschauung‘ und verhüllte alle die Brüche, durch welche Denken der unmittelbaren Gegebenheit des ästhetischen Objekts entweichen könnte. (...) Die Anschaulichkeit der Kunst selber ist ihr Schein.“10

… ungehört, ohne Echo …
Theodor W. Adornos Schriften führen uns ohne Umwege in das dunkle Herz der Moderne, das die Kunst für so viele Jahrzehnte geprägt hat.

„Die Schocks des Unverständlichen (...) schlagen um. Sie erhellen die sinnlose Welt. Dem opfert sich die Neue Musik. Alle Dunkelheit und Schuld hat sie auf sich genommen. All ihr Glück hat sie daran, ihr Unglück zu erkennen; all ihre Schönheit, dem Schein des Schönen sich zu versagen.“11 – Die Musik wird zu einer Ersatzreligion mit Adorno als oberstem Priester degradiert. Und als würde das nicht reichen, legt der Meister noch etwas nach: „Keiner will mit (der Neuen Musik) etwas zu tun haben … Sie verhallt ungehört, ohne Echo.“

Ich habe mich nie mit Adornos Auslegung identifizieren können. Das Beklagen des schlechten Weltlaufs durch asinnliche, frustlüsterne Klänge und Provokation durch hässliche Musik … diesen Schuh habe ich mir nie angezogen. Das setzt ja einfach das alte Denken fort! Die Welt ist schlecht, also kratzen wir mit dem Bogen hinter dem Steg. Das würde aber bedeuten, wenn die Welt gut ist, dann spielen wir wieder C-Dur, oder wie ist das?

So wird einiges klar. Jedes Rätseln über mögliche Gründe, warum Neue Musik keinerlei soziale oder öffentliche Bedeutung hat, wird überflüssig: Neue Musik will leiden.

… Notwehr, schutzlos …
Und was nun, oh!, ihr Jungen, die ihr ein so unerträglich leichtes, so wohlbehütetes Leben führen dürft? Ihr, die ihr eure Zeit genießt ohne die Schrecken der Kriege und des Mordens am eigenen Leib erfahren zu müssen, was nun, ihr alle, die ihr keine Celans, Adornos und Nonos seid?

Es gibt heute eine Generation der Designer … Die Komponisten der jüngeren Zeit haben sich gewissermaßen in ein gemachtes Bett gelegt, eine ganz schwierige Herausforderung für die, zu arbeiten in einer Zeit, wo das Rebellieren schon zum Volkssport geworden ist. Mich beschäftigt der Begriff der „Schutzlosigkeit“. Provokation ist längst ein Markenartikel geworden, Sie können auf der Bühne die schlimmsten Sachen verrichten, das ist dann „Provokation“ und man lacht. Irgendein Tabu wird halt ein wenig angekratzt und man findet das dann mutig. Man findet es „geil, ein Arschloch zu sein“, wie es in einem sehr schönen Schlager lautet. In unserer heutigen Situation ist provozieren auch nichts anderes als eine Dienstleistung im Entertainment. Also: Was bleibt übrig? Ich sage: Schutzlosigkeit. So zu sein, wie man ist.

Kunst ist Streit nur insofern, als sie zur Befeuerung der Inspiration dient, sie ist weder Vehikel für Ideologie noch Krieg gegen abweichende Meinung. Aber Streit fehlt! Den Vertretern der Postmoderne12, zu denen auch ich selbst mich – in Ermangelung einer Alternative – rechne, wird ja des öfteren Diskursverweigerung unterstellt, eine Gelegenheit, sich mit folgender Behauptung einmal so richtig unbeliebt zu machen: Postmoderne ist Notwehr! Ich empfinde die Sprache der Moderne als eine historische und als eine unter vielen (wie jene der Klassik oder des Barock). Spezialeffekte für Instrumente sind das, was sie sind: Spezialeffekte für Instrumente. Weiters kommt ihnen keine besondere Bedeutung zu. Musik ist Musik ist Musik. Lasst endlich die ideologische Luft aus der Musik heraus! Die Kunst stirbt sonst unter schrecklichen Winden!

Ich sehe ein großes Problem in der sogenannten „Vitalität“. Die Neue Musik ist oft eine Ansammlung von Ausdruckshülsen. Da ein gerissener Gitarrenklang und dort – auch bei mir (äfft typische Neue Musik-Geräusche nach) irgendwo – eine völlig leere Form der Vitalität. Donaueschingen ist manchmal ein Friedhof der Vitalisten. Alle sind vital. Wozu eigentlich? Sie haben Angst, sich einfach mal so zu zeigen, wie man eben ist. Der gemeinsame Nenner lautet: „Es muss was abgehen!“

… Stahlbad, Andacht …
Neue Musik ist immer bedeutsam. Das Problem mit der Bedeutsamkeit besteht darin, dass – selbst wenn der Komponist versuchen sollte, seine Musik zu „entladen“ – damit nur das Gegenteil erreicht werden kann. Ein Kind, das seine Augen verbirgt, weil es glaubt, dadurch unsichtbar zu sein, wird dennoch gesehen; seine Haltung unterstreicht sogar seine Absicht. Die Bedeutsamkeit liegt weder in der Musik, noch im Interpreten oder gar im Zuhörer, es ist das Spannungsfeld des Rituals, das Bedeutsamkeit produziert. Die Symptome dieser säkularisierten Andacht in und um Neue Musik werden umso deutlicher, je mehr das eingespielte Team (bestehend aus Komponisten, Interpreten, professionellen Zuhörern und Kuratoren) unter sich ist.

Mein Misstrauen [gegenüber dem Musikbetrieb] kam im Grunde in den späten 60er Jahren. Die Gesellschaft war reich genug und konnte sich Neue Musik leisten und in einem staatlich subventionierten Ghetto stattfinden lassen und da ging man dann hin … Nach Donaueschingen, um eine Art Stahlbad zu nehmen, und danach hat man sich in Salzburg Mozart auf der Zunge zergehen lassen.

… Leidensmiene, Gegenwart …
Hört zischende Schlagzeugrhythmen über große Kopfhörer bei einem Vortrag über Nonos Musik! Stülpt Boulez eine braune Tüte über den Kopf, auf dem seine Brahms-Dirigenten-Abendgage geschrieben steht! Spielt Wolfgang Rihm mit Zirkusdirektoren-Zylinder auf dem Kopf! Lest Zeitung in Lachenmann-Konzerten! Vatermord tut gut! Und, wer weiß, vielleicht passiert das Unerwartete: Vielleicht brechen sie in schallendes Gelächter aus, die Solitäre der Neuen Musik, die Lachenmanns, Henzes, Stockhausens und Rihms, steigen herab von ihrem Podest, auf dasihre Apostel sie verbannt haben, und klopfen sich den Staub von den Hosen! Und danach sperren wir gemeinsam dieses deutsch-österreichische Wachskabinett der Leidensmienen zu, das wir solange mit der Musik der Gegenwart verwechselt und um jeden Preis verteidigt haben. Später, am Abend erreichen wir gemeinsam das Freie, und – ja, betrachten gemeinsam den Mond, bergen unsere Köpfe in unseren Händen und dann … ja und dann vielleicht …

Die Utopie ist eigentlich die: Freiheit und Angstlosigkeit.

Epilog: Kleine Fibel für Komponisten auf dem langen Weg zur Unsterblichkeit auf Lebenszeit
1. Sie können in zusammenhängenden, verständlichen Sätzen reden? Verunstalten sie diese durch lange Nachdenkpausen und gleichsam dekonstruktivistische Wortgebilde.
2. Schreiben Sie niemals leicht spiel- oder hörbar, die auf Neue Musik spezialisierten Musiker sind unspielbare Partituren gewöhnt und mögen es nicht, wenn man ihre Anstrengungen und die Gesten ihrer Selbstaufopferung unterläuft.
3. Werkpräsentationen für Juroren: Komponieren Sie hochkomplexe Instrumentalmusik mit fraktalen Klangvorkommnissen für großes Orchester samt einer erklecklichen Anzahl an Schlaginstrumenten und vereinzelten grafischen Strecken, die Sie als „events“ bezeichnen. Vermeiden Sie gleiche Notenwerte bei nebeneinander stehenden Noten! Zerhacken Sie Ihre Quint- und Septolen mit winzigen Pausen, bevorzugt im schnellen Tempo. Die Juroren schreiben selber solche Sachen und sind froh, wenn sie nicht die einzigen sind. Und sollte das Werk evtl. zur Aufführung kommen: Die Musiker sind unspielbare Partituren gewohnt (s.o.) und spielen (weil kein Geld vorhanden) nach zu wenigen Proben ohnehin was sie wollen.
4. Unbedingt viel Elektronik anbieten! Was Sie damit machen, ist unerheblich. Sie können auch einfach eine CD laufen lassen. Verlegen Sie mehr Kabel als notwendig und räumen sie so viele Keyboards und Monitore wie möglich auf die Bühne. Unverzichtbar: Der VJ!13 Dessen Videokreationen sollen in keinem Zusammenhang mit der Musik stehen, das erreichen Sie am leichtesten, indem Sie ihn nur über die Länge Ihres Werks informieren und ansonsten keine weiteren Informationen liefern. Vertrösten Sie ihn und treffen Sie ihn nicht vor dem ersten Konzertabend. Entschuldigen Sie sich mit Terminschwierigkeiten, sagen Sie, Sie wären mit der Partitur erst gestern fertig geworden.
5. Kleiden Sie sich wie die Leute auf den FM4-Werbeplakaten und sagen Sie in Interviews Dinge wie: „Ich steh’ ziemlich auf die White Stripes.“ Lesen Sie Wallpaper.
6. Sofern Sie aus Österreich, Deutschland, der Schweiz oder aus den USA stammen, verachten Sie Ihr Herkunftsland, verachten Sie die dort jeweils Regierenden, verachten Sie die Opernhäuser (wenn Sie alt sind, werden Sie dort ohnehin RICHTIGE Musik dirigieren dürfen). Verachten Sie Ihr Publikum. Verachten Sie sich selbst, sonst tun das die Musiker, für die Sie schreiben.
7. Als Werktitel eignen sich weit hergeholte Vokabeln aus dem Altgriechischen oder dem Lateinischen (Pneumos, Marodiaikion II, Ploteusfragmente, Orbit Hyperstringenzium), auch drei Pünktchen in Kombination mit dem Wort „verlöschend“ sind zu empfehlen. Wie etwa in: „… verlöschend bis zum Selbstverlust …“

1   Alle folgenden (kursiv gesetzten) Zitate stammen aus meinem Interview mit dem Komponisten Helmut Lachenmann anlässlich seiner Werkschau in Tirol bei den „Klangspuren Schwaz“ im September 2005.
2   Was bedeutet „Fortschritt“ in der Musik? Bedeutende Köpfe der Philosophie und der Kunst meinen: Keine Epoche der Geschichte hat jemals ein Ende gefunden, sowie: keine Epoche, sei sie auch noch so ferne, hat sich weiter von uns entfernt als eine andere. Damit ist ein großer Gedanke aufgetaucht: Die Geschichte ist nicht eine lange Reihe von Ereignissen, die am Horizont unserer Zeitrechnung verschwinden, vielmehr wirkt jedes Geschehen immer noch in uns, wie der Nachklang des „Big Bang“ immer noch als Hintergrundstrahlung im Universum nachweisbar ist. Dem bis Ende des 19. Jahrhunderts gepflegten europäischen Zeitbegriff eines Hürdenlaufs über eine unaufhaltsam auf uns eindrängende Zeit ist die Kugelform entgegengesetzt worden. Die Geschichte umgibt uns wie eine Kugel, mit unserem Bewusstsein im Mittelpunkt.
3   Eine von Boschs bekanntesten Darstellungen der Unterwelt, ihr Titel „Musikalische Hölle“ rührt daher, dass ein unübersehbarer Schwerpunkt auf Musikinstrumente gelegt ist, die als Folterwerkzeuge gegen wehrlose Menschen eingesetzt werden.
4   Mittlerweile gibt es schon mehr dieser „Überschreitungen“ als Grenzen. Der Innovationszwang Anfang des 21. Jahrhunderts besteht scheinbar vor allem darin, immer neue „Grenzen“ zu konstruieren.
5   vgl. Alice Miller, Am Anfang war Erziehung, Frankfurt am Main 1980
6   Luigi Nono warf in einer Probe einen seiner schweren Militärstiefel (!) auf die Stimmführerin der ersten Geigen, weil ihn etwas an ihrer Spielweise aufregte …
7   Zeitlebens betrachtete Theodor W. Adorno Jazz als Musikform, die „zum faschistischen Gebrauch gut sich schicken will“ wegen seiner „Wirksamkeit als Marschprinzip“. Zwischen „autoritärer Rebellion“ und „konformer Auflehnung“ war für Adorno Jazz nichts als ein „Stück schlechtes Kunstgewerbe“. Selbstverständlich wird diese Einschätzung von den meisten Vertretern der Neuen Musik nicht mehr geteilt.
8   Das pseudoreligiöse Gemurmel der „negativen Theologie“ in den Ghettos der „Neuen Musik“, in: Peter Sloterdijk, Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, Frankfurt am Main 1987
9   Einige Denker – wie Konrad Paul Liessmann in einem Podiumsgespräch über Ernst Krenek – widersprechen der Idee, die Moderne sei bereits zu Ende gegangen, und behaupten, sie dauere in Wahrheit noch an und die Idee einer Postmoderne sei reine Schimäre.
10   Theodor W. Adorno, Philosophie der Neuen Musik, Frankfurt am Main 1968
11   Die Schocks des Unverständlichen … überwältigten auch Herrn Dr. Theodor Wiesengrund Adorno, als er, ein „Freund großer Brüste“ (wie er anbiedernd vor seinen reichen, konservativ-bürgerlichen Freunden betonte), selbige von 68er–bewegten Studentinnen im Hörsaal präsentiert bekam. Der große Denker schritt erhobenen Hauptes an den Katheder um seine Vorlesung zu beginnen, als wäre nichts geschehen …
12   Ich folge Boris Groys: Hier wird unter der Postmoderne ein grundsätzlicher Zweifel an der Möglichkeit von geschichtlich Neuem verstanden; Postmoderne bedeutet dabei nicht das Ende oder die Überwindung der Moderne, sondern ihre Unmöglichkeit.
13   Visual Jockey … produziert Bilder auf eine „Video Wall“, meistens hinter den Musikern. Dessen natürlicher Lebensraum ist vor allem die Clubszene. Seit einiger Zeit auch in edlen Konzertsälen bei Uraufführungen unverzichtbar.
Der Konzertsaal ist nicht der natürliche Lebensraum des VJ, daher besitzt er dort auch keine natürlichen Feinde (außer mir) und vermehrt sich mit rasanter Geschwindigkeit.

 

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