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Hecken schützen

Das Einfamilienhaus als Weltmodell: Bernhard Kathan schreibt die Mentalitätsgeschichte eines Landstrichs. Mit 168 Abbildungen (s. unten)

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Viele der in den fünfziger Jahren errichteten Einfamilienhäuser sind längst abgerissen oder so umgebaut worden, dass das ursprüngliche Bauwerk nur mehr schwer zu erkennen ist. Bereits in wenigen Jahrzehnten wird man Mühe haben, ein Einfamilienhaus aus den siebziger Jahren zu finden, das unverändert erhalten geblieben ist. Während die moderne Zweckarchitektur in sehr kurzen Zeiträumen denkt, wird für das Einfamilienhaus von seinen Erbauern eine Bestandsdauer angenommen, die weit über das eigene Leben hinausreicht. Das Häusl lebt vom Versprechen, für die eigene Familie eine sichere Behausung – und zwar über Generationen hinaus – zu schaffen. Wer sich ein Häusl baut, tut dies im Wissen, dass die letzten Schulden erst in Jahrzehnten abbezahlt sein werden.

Tatsächlich steht die Realität in einem krassen Widerspruch zu solchen Vorstellungen. Häusln altern schnell. Der in den fünfziger Jahren verlegte Stragula war bald abgetreten, Spannteppiche wurden durch Parkettböden verdrängt, die Kunststeinfliesen, die damals in keinem Stiegenhaus fehlen durften, galten bald als hässlich, die Waschbetonplatten oder Waschbetontröge auf Terrassen nicht weniger.

Im Häuslbau werden den Unwägbarkeiten des Lebens (wie gesellschaftlichen Veränderungen) die Behauptungen von Küche, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Keller, Dachboden und offenem Kamin entgegengesetzt. Der offene Kamin verspricht zeitlose Gesellig- und Behaglichkeit. Die Erfahrung zeigt aber, dass solche Feuerstellen nur selten benutzt werden, dass sich davor nur selten Menschen zu einem gemütlichen Beisammensein einfinden. Alexander Mitscherlich schreibt angesichts von Rundbögen, vorkragenden Blumenfenstern, mosaikumrandeten Entrées, getriebenen kupfernen Dachrinnen und schmiedeeiserner Künstlichkeit, dem Bauherrn sei es gestattet, seine Wunschträume mit seiner Identität zu verwechseln. Ein teuer bezahlter Irrtum. Umbauten sind notwendig, soll die eigene Wunschproduktion nicht ins Wanken geraten.

Zu den beliebtesten Motiven an den Wänden von Einfamilienhäusern zählt das Familienwappen. Nicht zufällig fand das Wappen – dass es sich durchwegs um Fantasiewappen handelt, muss nicht eigens erwähnt werden – in den sechziger Jahren Eingang in die Repräsentationsbebilderung des Einfamilienhauses. Geschichte wird immer behauptet, wenn ihre Tradierung zu erodieren beginnt, Familiengeschichte dann, wenn sich familiäre Bindungen aufzulösen beginnen. Was lange währt, wird lange halten. Tatsächlich sagt das auf die Hauswand gemalte Wappen das Gegenteil. Ironischerweise zeigen solche Wappen oft eiserne Harnische mit engen Sehschlitzen, die eine buchstäblich eingeengte Sicht auf die Welt erlauben. Das Wappen behauptet Geschichte, ist aber nichts als eine Konstruktion gegen den drohenden Verlust von Geschichte. Müllers und Meiers sind nicht die Nachfahren von Rittern. Vielmehr haben sie sich Attitüden und Zeichen Privilegierter zu Eigen gemacht, ohne jedoch zu den Privilegierten der Gesellschaft zu zählen. Sie leben weder in einem Schloss noch in einer Villa. Sie bewohnen ein Häusl. Würde man Bewohner eines Häusls nach dem unter dem Wappen angeführten 12. Oktober 1435 fragen, sie wüssten nicht, wer damals Kaiser war, noch weniger, dass an diesem Tag Agnes Bernauer in der Donau ertränkt wurde.

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Das Familienwappen an der Wand verspricht Geschichte, tatsächlich ist das Häusl vor allem eine Behauptung gegen die Geschichte. Dass das Häusl in der Nachkriegszeit zum Prototyp neuen Wohnens wurde, ist neben ökonomischen Voraussetzungen vor allem seiner ideologischen Aufladung zu verdanken. Die nationale Idee schrumpfte buchstäblich auf Häuslformat zusammen. In den fünfziger Jahren wurde das Häusl, mochte es noch so bescheiden sein, zum Inbegriff der Vorstellung von Heimat, die undenkbar gewesen wäre ohne die freiwillige oder erzwungene Mobilität während der NS-Zeit und in den Folgejahren – unter den Häuslbauern fanden sich Optanten und Vertriebene. „Daheim“, „Waldheimat“ oder ähnliche Aufschriften zeugen davon.

Dolf Sternberger merkte bereits in den fünfziger Jahren an, dass die Vorstellung von Heimat untrennbar mit Mobilität verbunden sei. Bezeichnenderweise wurden in der Nachkriegszeit die ersten Häusln vornehmlich im Einzugsgebiet von Bahnhöfen errichtet. Nicht zufällig zählt zu den prominentesten Motiven damaliger Wandmalereien der Blick in die (nahe) Ferne, vor allem in die Gebirgslandschaft. Ob Serles oder Tschirgant, der Gebirgsstock versprach im Gegensatz zu den Unwägbarkeiten des Lebens Stabilität. Wir neigen dazu, damalige Wandmalereien, die etwa röhrende Hirsche oder balzende Auerhähne zeigen, oder die in den Vorgärten platzierten Gartenzwerge dem Kitsch zuzuordnen. Der Kitsch beginnt jedoch beim Häusl selbst. Birgit R. Erdle spricht über Kitsch von einem tief greifenden Vergessen, welches sich im Sprechen, nicht im Schweigen vollziehe. Häuslbau ist ein Akt des Sprechens. Kitsch, so Erdle, lösche die Dimensionen des nicht-harmonisierbaren Anderen aus – und damit das Vorhandensein jeglicher Antinomien, Kitsch verschmelze „komplexe Realität in ein Bild, in dem alle Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit gelöscht“ sei. „Häusl“ meint nicht nur Einfamilienhaus, sondern auch Abort, also das in der Natur frei stehende Häuschen, welches der Ausscheidung dient. Metaphorisch ist das Häusl buchstäblich zum Abort der Geschichte geworden.

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„Sie wurden beim Fotografieren beobachtet.“ – „Ist es verboten, Häusln zu fotografieren, die ihre Bewohner als schön betrachten?“ – „Nein, aber Sie haben sich verdächtig gemacht. Die Menschen in der Siedlung sind misstrauisch geworden.“

Das Einfamilienhaus, ist es einmal errichtet, verspricht Sicherheit, einen paradiesähnlichen Zustand in einer Welt, die so nicht ist. „Paradies“ leitet sich aus dem Altiranischen „pairi-dae’za“ ab, was so viel wie „Umwallung“ bedeutet. Das Häusl ist weniger über seinen Baukörper als über Demarkationslinien zu begreifen. Einhegungen, gleichgültig, ob es sich um Zäune, Mauern oder beschnittene Hecken handelt, belegen deutlich, dass das Häusl in Abgrenzung zur Nachbarschaft gedacht wird. Das „Geviert“, von dem Martin Heidegger in seinem 1952 vor Architekten gehaltenen Vortrag Bauen Wohnen Denken spricht, endet für die Häuslbauer an den eigenen Grundstücksgrenzen, obwohl das von ihnen errichtete Gebäude zwangsläufig über diese Grenzen hinaus wirkt. Überblickt man die Geschichte des Häuslbaus der letzten fünf Jahrzehnte, dann fällt auf, dass die Einhegungen zunehmend hermetischer geworden sind. Während in den fünfziger Jahren Zäune dazu dienten, das Grundstück (oft nur symbolisch) abzugrenzen, dienen lebende Zäune, die an die Stelle von Maschendraht oder schmiedeeisernen Gittern getreten sind, dazu, die eigene Welt von der Außenwelt buchstäblich abzuschirmen.

Loben Häuslbauer den freien Blick, dann meinen sie den Blick in die Ferne. Das Gebäude des Nachbarn wird zur Störung wie das eigene zur Störung für diesen wird. Sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Der Blick in die Ferne wird zur projektiven Fläche. Man beklagt den Lärm von Rasenmähern oder anderer Geräte, ohne daran zu denken, dass der eigene Rasenmäher für andere gleichfalls zur Störung werden kann. Mitscherlich schreibt, so entstehe ein Zustand der Gereiztheit, in dem alle möglichen Verstimmungen vom bösen Nachbarn hergeleitet würden, obgleich sie ganz andere Ursachen hätten.

In Baumärkten finden sich zahllose Angebote, die dazu dienen, der als unangenehm erlebten Nähe anderer entgegenzuwirken. Dazu zählen auch Alarmanlagen. Steht das Haus leer, lässt sich mit Hilfe von Lichtsystemen die Anwesenheit von Bewohnern simulieren. Bewegungsmelder lassen Lampen aufleuchten, nähert sich jemand dem Haus. Das Klima in Häuslsiedlungen ist von Misstrauen geprägt. Man sieht zwar nur selten Menschen, fühlt sich aber ständig beobachtet. Verdächtig ist bereits der Unbekannte, der fotografiert. Auch in entlegenen Siedlungen ist die Polizei erstaunlich schnell zur Stelle. Die Bewohner phantasieren, man würde ihre Häuser auskundschaften, um dann wiederzukehren und einzubrechen. Dass sich kein Einbrecher so verhält, zählt dabei wenig. Ein Polizist meint, in der Siedlung, in der ich fotografiert habe, sei schon öfters eingebrochen worden, das Misstrauen der Menschen sei verständlich. Tatsächlich nehmen aber die meisten Gewaltdelikte in Häusln ihren Ausgang im Inneren.

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Die Häusln der Nachkriegszeit waren kompakte, einfache Baukörper. Meist hatten sie ein Steildach. Sie wurden nach Standardgrundrissen errichtet. Kühlschränke und Waschmaschinen fehlten, dafür verfügten sie über Keller und Wirtschaftsräume. Eingeschnittene Balkone, Blumenfenster und Naturstein-Terrassen bestimmten den Häuslbau der sechziger Jahre. Flache Satteldächer lösten das Steildach ab. An die Stelle der als schmutzig geltenden Beheizung des Hauses mit Holz oder Kohlen trat die „saubere“ Ölheizung. Nicht länger wurden im Garten Kartoffeln, Kraut oder Erbsen angepflanzt, Hühner und Kaninchen gehalten, um den Eiweißbedarf zu decken. Der Nutzgarten wandelte sich zum Ziergarten, der vor allem über eine Rasenfläche verfügen musste. Wer es sich leisten konnte, hatte einen Swimmingpool. Eine Hollywood-Schaukel durfte nicht fehlen. Es war die Zeit der ersten Baumärkte, deren Angebote den Charakter der Einfamilienhäuser ebenso zu bestimmen begannen wie Bilder vom neuen Wohnen, welche Film und Fernsehen lieferten. Heutige Häuslsiedlungen sind, sofern örtliche Baubehörden nicht restriktiv durch Auflagen den Gestaltungswünschen von Häuslbauern entgegentreten, Ansammlungen von höchst unterschiedlichen Hausformen. Dies macht deutlich, dass es heute so gut wie keine einheitliche Vorstellung von einem „schönen“ Haus mehr gibt. Im Häuslbau spiegelt sich die Zersplitterung und Individualisierung unserer Gesellschaft in beklemmender Weise. All diese Siedlungen sind keine wirklichen Orte. Wir haben es mit einer Ansammlung von Gebäuden zu tun, mit einem Gefüge von Menschen, die mehr oder weniger zufällig in höchst disparate Nachbarschaften geraten sind. All diese Siedlungen sind nicht organisch, sondern seriell organisiert. Spätestens hier verkehrt sich das Versprechen des Häusls, nämlich Heimat zu sein, endgültig in sein Gegenteil. Statt Heimat bestenfalls Enklaven in einer als feindlich, zumindest als störend erlebten Umwelt.

Mögen die Häuslbauer viele Wünsche und Erfahrungen teilen, Siedlungen im Umfeld urbaner Zentren sind Agglomerate, die äußerst dissoziierend auf nachbarschaftliche Kontakte wirken. Die Menschen finden etwa nur dann zusammen, wenn es gilt, Lärmschutzwände zu fordern, wenn sie sich von außen bedroht fühlen. Dies ist nicht zuletzt Folge des Mangels an öffentlich zugänglichen Einrichtungen, überhaupt an öffentlichem Raum. Das traditionell bäuerliche Dorf kannte im Gegensatz zu heutigen Siedlungen den öffentlichen wie halböffentlichen Raum, unscharfe Übergänge zwischen dem Haus und der Straße, zwischen dem eigenen Haus und dem des Nachbarn. Mochten die Grenzziehungen zwischen den einzelnen Häusern auch argwöhnisch beobachtet werden, die Übergänge zum Straßenbereich waren äußerst unscharf. Hier wurde gearbeitet, getratscht, immer war sichtbar, womit andere gerade beschäftigt waren. Noch finden sich in manchen Tiroler Dörfern Beispiele dafür, kann man Alte sehen, die völlig unabgeschirmt durch Hecken vor dem Haus auf einer Bank sitzen und das Treiben auf der Straße beobachten. Trotz allen Futterneids waren sich die Menschen bewusst, unter ähnlichen Bedingungen zu leben, aufeinander angewiesen zu sein. Nicht zufällig wurde der öffentliche Raum in den traditionellen Dörfern zu jenem Zeitpunkt neu definiert, als die ersten Bauern zu Fabriksarbeitern wurden oder in anderen Bereichen ihren Lebensunterhalt verdienten. Wurden Straßen geteert, sprach man davon, die Wege „staubfrei“ zu machen. Tatsächlich wurde das soziale Gefüge des Dorfes neu definiert, strikt zwischen öffentlichem und privatem Raum, Eigenem und Fremdem geschieden.

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Überblickt man den Häuslbau der letzten Jahrzehnte, dann wird schnell deutlich, dass all diese Objekte dem Geschmack und den Moden ihrer Zeit unterliegen. Darin ist auch der entscheidende Grund zu sehen, warum die meisten dieser Bauwerke bereits nach wenigen Jahren alt erscheinen, als habe man es mit abgetragenen Kleidern zu tun. Kleider lassen sich leichter wechseln als Gebäude. Die Mode kommt – wie Georg Simmel schrieb – dem Bedürfnis nach „sozialer Anlehnung“ entgegen, dem Wunsch, in einer Gemeinschaft aufgehoben zu sein. Gleichzeitig befriedigt sie „das Unterscheidungsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sichabheben“. Darin liegt auch der Grund für die Kurzlebigkeit aller Moden. Silbertanne, Birke, Essigbaum oder Flieder, Modebäume der Nachkriegszeit, sind längst Opfer ihres Rufes geworden, nämlich abgestanden zu sein. Nicht zufällig sind im Häuslbau gerade die Repräsentationsflächen von Bedeutung. Ob Tapeten, blumengeschmückte Fenster oder Balkone, Malereien an der Hauswand, das eigene Heim wird durch die Augen anderer betrachtet. Ist das Neue zur Gewohnheit geworden, so ist es schnell entzaubert und dem Überholten zugeordnet. Der offene Kamin, einmal selbstverständlich geworden, eignet sich nicht länger dazu, sich von den anderen abzuheben.

Häuslbauer sind vor allem darum bemüht, ihrem Haus eine „persönliche Note“ zu verleihen, sich mit Hilfe seiner Gestaltung abzugrenzen, das Häusl buchstäblich zu „umschmacken“. Dies ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der sich jeder behaupten, letztlich selbst erfinden muss. Die „persönliche Note“ macht die Not zur Tugend, kaschiert das eigentliche Problem als produktive Leistung. Paradoxerweise hat das Bemühen um Eigenart das Gegenteil zur Folge. Auf eigentümliche Art und Weise erscheinen die Häusln in Siedlungen als gleichförmig. Mag das Individuelle noch so sehr behauptet werden, so erweist sich alles als Manifestation von Geschmack, der durch eine breite Industrie bedient wird.

Wirkliche Differenz verdankt sich nicht der „persönlichen Note“, sondern der Einordnung in objektive Gegebenheiten oder dem Erleben des Eingebettetseins. So betrachtet hat das Misstrauen gegenüber einem Fotografen, der sich für Häusln interessiert, nicht allein mit der Angst zu tun, jemand könnte das Haus auskundschaften, um später einzubrechen. Es spiegelt auch tief sitzende Zweifel gegenüber dem, was als schön und als Ausdruck der Persönlichkeit behauptet wird. Warum gerade unser Haus? Vielleicht ist es von einer Art Aussatz befallen, den wir nicht sehen.
Es ist kein Zufall, dass wir Gebäude, deren Struktur sich jahrhundertelanger Erfahrung verdankt und die fast keine individuelle Ausgestaltung kennen, trotz ihrer Einfachheit schön finden. Dies gilt nicht nur für das von Adolf Loos, Martin Heidegger oder anderen bemühte Bauernhaus, sondern selbst für so einfache Gebäude wie sie etwa von Indianern in den Tiefen des Amazonasgebietes errichtet werden. Der Häuslbau macht auch deutlich, dass sich die Schönheit des Bauernhauses nicht dadurch tradieren lässt, wenn Zitate aus der bäuerlichen Architektur an die Wand gepappt werden. Auf Struktur und Funktionalität kommt es an, auf den Verzicht von allem Überflüssigen. Beim Häusl ist immer etwas zu viel. Der Mangel, auf den dieses Mehr verweist, bleibt unausgesprochen. Gäbe es eine Sprache für ihn, Häusln sähen anders aus, und zweifellos wären viele von ihnen auch dann noch schön, wären sie abgewohnt. Loos plädierte für die Verbannung allen unnützen Zierrats aus der Architektur. In seinen Schriften, die heute noch anregend zu lesen sind, geht er von einem breiten Architekturverständnis aus. Er dachte nicht allein an Gebäude und ihre Ausgestaltung. Er konnte sich auch mit Regenschirmständern, Unterwäsche, Schuhen oder Hüten beschäftigen. Loos dachte, ein Haus solle nicht auffallen, sondern nach außen schweigen und seinen Reichtum nur im Inneren offenbaren. Für Loos ist der modern gekleidet, der am wenigsten auffällt.

Angesichts von Siedlungen mit ihren oft hässlichen Häusln wünscht man sich mehr Einfamilienhäuser, die von Architekten geplant werden. Zweifellos bauen Architekten besser als Baumeister oder Häuslbauer. Dafür lassen sich auch gute Beispiele nennen. Allerdings steht zu befürchten, dass sich das Problem so nicht lösen lässt. Bezogen auf den Wunsch nach einem besonderen Haus haben wir es dabei oftmals nur mit einer Steigerungsform des Strebens nach Distinktion zu tun. Es ist weniger eine Frage der Architektur als der Gesellschaft. Gelingt es nicht, die Betonung des Baukörpers zugunsten jener Bereiche zu verschieben, die zwischen den einzelnen Häusln liegen, dann vermag auch die beste Architektur am Wesen solcher Siedlungen nichts zu ändern. Aber wie sollte das gelingen?

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In den fünfziger Jahren war es noch möglich, ein Häusl nahezu in Eigenregie zu bauen. Das Decken des Daches, Spenglerarbeiten bildeten wie die Herstellung von Fenstern und Türen eine der wenigen Ausnahmen. Inzwischen gibt es den Häuslbauer in dieser Form nicht mehr. Einfamilienhäuser sind nicht allein wesentlich aufwändiger geworden, es sind auch viele handwerkliche Fähigkeiten wie soziale Ressourcen verloren gegangen, über die die damalige Generation noch verfügte. Eigenleistungen beschränken sich heute weitgehend auf den Innenausbau oder den Garten. Die wenigsten verfügen heute noch über die nötige Zeit. Auch ist es billiger, sich ein Fertighaus zu kaufen. Das Häusl, einst eine Behauptung gegen alle Mobilität, ist selbst mobil geworden. Heutige Fertighäuser, oft an weit entfernten Orten hergestellt, lassen sich innerhalb weniger Tage errichten. Sie sind billiger, gewähren Kostensicherheit, machen den Häuslbauer zu einem Bauherrn. Heutige Fertighäuser – unter ihnen solche, die von besten Architekten entworfen wurden – sind hinsichtlich unterschiedlichster Ansprüche wie auch sich ändernder Wohnbedürfnisse höchst variabel.

Mag das Häusl nach wie vor ein Wunschtraum vieler sein, so ist doch anzunehmen, dass sich die Konjunktur des Eigenheims abzukühlen beginnt. Verglichen mit anderen Wohnformen ist ein Häusl teuer, und dies selbst dann, wenn es mit sehr viel Eigenleistung errichtet wird. Bereits in absehbarer Zeit werden viele Häusln nur noch schwer zu verkaufen sein. Schon heute werden vielfach nicht mehr die Häuser verkauft, sondern die Grundstücke, auf denen sie errichtet wurden. Urbanes Wohnen hat gegenüber dem Leben in einer Siedlung an der Peripherie viele Vorzüge. Man kann eintauchen in die Anonymität, verfügt aber doch über Orte, die von Freunden oder Bekannten frequentiert werden. Zwangsläufig finden Kontakte in Siedlungen fast ausschließlich in privatem Umfeld statt. In der Stadt ist es möglich, ein Lokal wie ein ausgelagertes Wohnzimmer zu benutzen. In Siedlungen mangelt es an kulturellen Angeboten, Kinderbetreuungseinrichtungen, oft sogar an einem Lebensmittelgeschäft. Im besten Fall findet sich eine Arztpraxis, aber meist ist es nicht der Arzt, den man sich wünscht. Viele dieser Siedlungen sind Schlaforte. Wichtige Bereiche wie Arbeit oder Teilnahme am öffentlichen Leben finden an anderen Orten statt. Zudem ist man meist auf ein Auto angewiesen, entgegen allen Behauptungen von Häuslichkeit zur Mobilität gezwungen. Solche Siedlungen wurden zwar in der „Natur“ errichtet, aber von der Naturlandschaft ist oft nur noch wenig geblieben. Ironischerweise hat man in vielen Städten weniger Mühe, ins Grüne zu gelangen. Nicht selten sind solche Siedlungen von Gewerbegebieten und Industriezonen umgeben. Es handelt sich buchstäblich um Ab-Orte. Dazu kommt noch, dass heutige Lebensentwürfe den Festschreibungen des Häusls entgegenstehen. Dies ist nicht allein Frage einer gewollten oder erzwungenen Mobilität. Wer es sich leisten kann, passt die Wohnform den jeweiligen Bedürfnissen oder dem Alter an. Heutige Ehen werden vorbehaltlich geschlossen. Auch dies steht im Widerspruch zum traditionellen Häuslbau, der sich entscheidend familialen Konstrukten verdankt. Noch schwerer wiegen die Kosten, die von der öffentlichen Hand zu tragen sind, für die aber die Häuslbauer über kurz oder lang zu einem wesentlich größeren Teil aufkommen werden müssen.

Zweifellos werden weiterhin Häusln gebaut werden. Zweifellos wird es auch in Zukunft Menschen geben, die das Häusl mit dem Versprechen verknüpfen, mit der erbrachten Anstrengung und dem einmal errichteten Baukörper sei das Leben in eine sichere Form gegossen. Man müsste Führungen durch solche Siedlungen anbieten, von enttäuschten Hoffnungen ebenso erzählen wie von Schulden, Konkursen oder Familienkonflikten, man müsste von Menschen berichten, deren Lebenswerk verödet liegt, Häusln zeigen, in denen die erwachsen gewordenen Kinder nicht leben wollen oder die niemand kaufen will. Es sollen aber auch jene Geschichten nicht verschwiegen sein, in denen Menschen ihr Häusl als Inbegriff glücklichen Lebens erfahren. Ein guter Führer wüsste dies wohl oft bereits am Garten abzulesen.

 

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