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Wer gute Laune hat, ist dumm

Sehen Sie nicht die Zeichen der Zeit, spüren Sie nicht das Gewicht der Welt? Sind Sie nicht leidensfähig? Eine Polemik von Wolfgang Sebastian Baur

Die Welt, in der wir leben, ist etwas Unzusammenhängendes, auf dessen Kruste unterschiedliche Zeitkammern koexistieren, in welchen Disparates geschieht. In Wirklichkeit wissen wir wenig voneinander, auch wenn eine rasende Informationsmaschine­­rie uns tagtäglich das Gegenteil weismachen möchte.
Es lebt und stirbt sich in dieser Welt auf unterschiedlichem Niveau, und als einzige ewig Überlebende triumphiert eine davon völlig unbeeindruckte Natur, die gut auch ohne Menschen zurechtkommt.

„Die Welt ist groß genug, dass wir alle miteinander drauf unrecht haben können“, sagt Arno Schmidt. Und ich finde, er hat recht. Wir wären mit uns im Reinen. Und wir könnten mit unserer eigenen Meinung glücklich werden, heiter, gelassen und gut gelaunt. Durch unser Urteil wäre keiner verurteilt und schon gar nicht vorverurteilt. Denn wir würden nicht zu richten brauchen, hätten wir doch von vornherein alle nicht recht. Doch leider ist dem nicht so. Die Sicht auf unsere Welt und ihre Erkenntnis ist verstellt durch ein Gestrüpp von Vorurteilen.

Wer aber sind ihre Träger und Urheber? Da sind zunächst die professionellen Warner, die davon gut leben, den Teufel an die Wand zu malen. Ihre Hauptabnehmer sind die Bedenkenträger und Befürchter, die sich durch die inzestuöse Verbindung mit den Warnern bestätigt fühlen und in Energieaustausch mit ihnen stehen. Man sollte beide gemeinsam auf den Mars schießen.

Dann gibt es die Selbstankläger, die geistigen Flagellanten und Vulkantänzer, die sich nach der endzeitlichen Rache, nach dem befreienden Gewitter, nach dem dicken Ende sehnen. Und danach, dass allen anderen das unbotmäßige Lachen vergehe.
Wer sich also den Luxus guter Laune leistet, riskiert gesellschaftliche Ächtung. Denn ein Vorurteil, das sich immer noch am hartnäckigsten hält, ist jenes, wonach einer, der angesichts des Zustandes unserer Welt guter Laune ist, eo ipso jure auch dumm sein müsse, oder umgekehrt.
Was aber ist eigentlich mit „dumm“ gemeint und was zeichnet den Dummen aus? Sieht er nicht die Zeichen der Zeit, spürt er nicht das Gewicht der Welt? Ist er nicht leidensfähig? Ist seine gute Laune bloß Ausweis von Gefühllosigkeit und sozialer Inkompetenz? Und wäre demnach der naturgemäße Widerpart des Dummen der selbstgerechte Moralist oder gar der freudlose, durch Depression geadelte Neurotiker? Und die Anleitung zur Glücksuche lediglich ein Akt der Grausamkeit? Oder verbirgt sich hinter der Vorstellung von Dummheit vielleicht auch nur der Wunsch, dumm zu sein und somit arglos und rein wie ein Kind im Stand der göttlichen Gnade? Fragen über Fragen. Ich gebe drei Exempel zu bedenken.

Erstes Exempel: Wem dreimal täglich essen gute Laune macht, ist dumm

Menschenfresser mögen keine Zuspeis,

es sei denn sie hat Hand oder Fuß …

H.C. Artmann.


Die Menschenfresserin steht in der Küche und bereitet das Essen. Schon kommen der große Menschenfresser aus dem Büro und die kleinen Menschenfresser aus der Schule. Sie bringen einen Mordshunger mit. Gemeinsam spricht man das Tischgebet und widmet sich dann dem Essen. Hei, wie das Menscherne mundet! Und hinterher sind alle glücklich und guter Laune. Man ist satt und denkt nichts dabei. Die Menschenfresser freuen sich des Lebens. Bei der gewaltig großen Weltbevölkerung muss sich die Menschenfresserin auch keine Sorgen machen, wo ihre nächste Mahlzeit herwächst.

Aus dem Blickwinkel des Kolonisators ist der indigene Primitive kein Mensch. Er lebt im Kreislauf von Beutebeschaffung und Beuteverzehr. Für Ess-Kultur ist da kein Platz. In der Art der Nahrungsaufnahme unterscheidet sich der Primitive nicht vom Tier. Hat er sich erst den Bauch mit Affen- und Gürteltierfleisch vollgeschlagen, so ist er gut gelaunt und zufrieden. Analog dazu hat einer, der sich in unseren Breiten der bloßen Nahrungsaufnahme freut, kein Mensch, sondern ein primitiver Dummkopf zu sein. Oder ein Tier. Oder allenfalls ein gut gelaunter Menschenfresser.
Lebensmittelkonzerne wie Knorr, Oetker und andere Sattmacher haben bisher von der täglichen Peristaltik ihrer Kunden gut gelebt. Die Tugend der Kunden hat bislang darin bestanden, nichts vom Essen verstehen zu müssen, aber dennoch perfekt und schnell zu kochen; ungeschickt sein zu dürfen und trotzdem erfolgreich zu genießen, in aller Dummheit und ohne Risiko.

Unterdessen hat sich der Blickwinkel geändert: um Mensch zu sein, befleißigt man sich nun der Esskultur. Televisive Profi-Vorkocher zeigen, wo’s lang geht. Jedoch kaum einer ihrer Bewunderer vermag ihnen nachzukochen. Wer’s trotzdem versucht, muss sich dumm vorkommen. Dumm trotz Esskultur. Oder vielleicht gar deswegen?

Der Elsässer Gastrophilosoph Alfred Walterspiel, langjähriger Chef des Münchner Hotels „Vier Jahreszeiten“, gab als sein Lieblingsessen eine Scheibe herzhaften Schwarzbrots mit Butter, ein paar Nüsse und ein Glas Rotwein an. Er würde sich heute angesichts der sich gegenseitig übertrumpfenden Gastro-Shows ausnehmen wie ein Primitiver. Aber nicht wie ein Dummer. So was geht. Sogar zusammen.

Zweites Exempel: Gut gelaunt ist dumm und ergo politisch unkorrekt

Auf der Internetseite des Mahnmals für die ermorde­ten Juden wird dem Architekten Peter Eisenman attes­tiert, sein auf der zentralen Holocaust-Gedenkstätte Deutschlands befindliches Stelenfeld „verzichte auf jegliche Symbolik“. Eine kühne Behauptung angesichts der Tatsache, dass Eisenmans Anlage symbolische Deutungen geradezu herausfordert. Seien die Stelen nun Grabsteine, ein Irrgarten deutschen Unwesens, eine miniaturisierte Großstadt aus wolkenkratzerartigen Grabsteinen oder was auch immer: Die definitorische Halbherzigkeit rächt sich. Die Krux der Mahnmalmacher scheint sich darin zu äußern, dass die Gedenkstätte bei angeblicher Abwesenheit jeglicher Symbolik dennoch den Besucher in Trauerstimmung versetzen und eine Ahnung deutscher Kollektivschuld erzeugen soll. Dass dieses Vorhaben nicht aufging, zeigten die ersten Pannen bei der Übergabe der Anlage an die Öffentlichkeit. Da wurde klar, dass die Anordnung der unterschiedlich hohen Betonquader auf welligem Untergrund den Spieltrieb der Besucher geradezu herausfordert. Entsetzt registrierte eine kritische Öffentlichkeit, dass Besucher zwischen den Stelen Versteck und Fangen spielten, auf den niederen Betonquadern lagerten oder auch in luftiger Höhe von einer Stele zur anderen sprangen.

Hinzu kam die als pikant empfundene Tatsache, dass Eisenman (noch dazu als Jude, wie die Presse irritiert anmerkte) die Oberflächenversiegelung der Betonstelen ausgerechnet beim einstigen Zyklon-B-Gaslieferanten bestellt hatte, der als einziger einen tauglichen Schutz vor erwarteten Neonazischmierereien gewährleistete. Mögliche Schande sollte dadurch abwaschbar werden.

Umgehend erfolgte die Unterbindung des Besucherspieltriebs; Wachpersonal wurde aufgestellt, um dem Treiben Einhalt zu gebieten. Dies Einschreiten evozierte ungute Bilder aus der Vergangenheit und widerlegte zudem die Behauptung der Symbollosigkeit; unversehens war aus dem vorgeblich bedeutungslosen Stelenfeld ein durch Schändung bedrohter Friedhof geworden. Dabei liegen keine toten Juden im Erdreich, wohl aber der Bunker von Goebbels’ Dienstvilla.

Das rigorose Beharren auf der Ernsthaftigkeit einer Denkmalanlage, die weder ein Symbol noch ein veritabler Friedhof ist, stellte die Ernsthaftigkeitsansprüche der Macher in Frage. Die Idee von Aufpassern passte nicht zum pazifistisch-versöhnlichen Ges­tus der Anlage. Daher erfolgte die umgehende Un­terbindung der Unterbindung des Besucherspieltriebs.

Unter dem Druck der paradoxen Situation haben die verunsicherten, schaumgebremsten Aufpasser unterdessen zu gutmütig-väterlichem Gehaben gefunden. Sie üben auftragsgemäß Nachsicht, wo sie doch eigentlich für Ordnung sorgen möchten. Indem sie ihren Auftrag verraten, erfüllen sie ihn und befinden sich so in der paradoxen Lage von nachsichtigen Animateuren, die ihr Publikum zum folgenlosen Gebrauch einer behauptetermaßen nicht symbolischen, also bedeutungslosen, Mahnmalanlage anhalten müssen, indem sie es nicht vertreiben. Wo sie vorher befahlen, werben sie jetzt eigentlich um Verständnis für die eigene Dienstpflicht. So wird die Rolle der Aufpasser quasi durch undisziplinierte, heitere, verspielte Besucher zur Mitmenschlichkeit korrumpiert. Die seit sechs Jahrzehnten kollektiv noch nicht erfolgte Trauerarbeit erhält also eine zaghafte Chance durch politisch unkorrekte Stelenhüpfer.

In der Tat genießen viele der Mahnmaltouristen als Nachgeborene den Freibrief der von Kohl reklamierten „Gnade der späten Geburt“; und sie gehören Nationalitäten an, die an der Judenermordung nicht beteiligt waren. Sie tragen keine Schuld. Darf ihre gutgelaunte Gedankenlosigkeit und politische Unkorrektheit, die ja unter Begleitschutz behaupteter Symbollosigkeit steht, unter solchen Umständen dumm genannt werden?

Drittes Exempel: Der Ernst des Lebens

Als ich ein kleiner Junge war, erzählte mir meine Groß­mutter oft vom Ernst des Lebens und dass er nun bald kommen werde. Diese Ankündigung traf mich stets bei ausgelassenster Heiterkeit und Lebensfreude. Die Meldung drohte den Zustand meiner seligen Unbeschwertheit jäh zu beenden.
Es lag mir fern, den Einbruch der sogenannten Wirklichkeit symbolisch, metaphorisch oder als chiffrierte Botschaft aufzufassen. Unter dem Ernst des Lebens stellte ich mir vielmehr einen unangenehmen Jungen meines Alters vor, der nun bald bei uns einziehen und meinen Tagesablauf bestimmen würde; einen, der mich aus der Gunst der Großmutter zu verdrängen gedachte, um meinen Platz einzunehmen. Ich hasste diesen Ernst bereits, ehe ich ihn zu sehen und zu spüren bekam.

Ich sah ihn schon vor mir: er trug einen Anzug, ein sauberes Hemd und sogar ein Krawatte. Sein Haar war gewaschen und gescheitelt. Er hatte saubere, geschnittene Fingernägel, und seine geputzten Schuhe glänzten. Er hatte eine blinkende Brille auf, die ihn klug aussehen ließ. Um seinen schmalen Mund war ein entschlossener Zug. Wenn Ernst allenfalls höflich lächelte, blieben seine Augen davon unberührt. Sie wirkten leblos, die Stimme war flach und etwas gequetscht und klang, als käme sie aus einer Kartonschachtel heraus. Sicher mag er keine Tiere, dachte ich, weil sie riechen und ihm vielleicht die Bügelfalten ruinieren könnten. Er wusste anscheinend immer, was sich gehört. Er verstand keinen Spaß. Er war der vollkommene Spielverderber.

Dieser Ernst mit dem komischen Beinamen Deslebens (den man als Bildungsbeflissener durchaus auch französisch korrekt Delöbañ aussprechen könnte), lebt noch immer fort. Und sein Herrschaftsbereich dehnt sich ständig aus. Aus dem blöden kleinen Ernstl ist ein großer staatstragender Ernst, ein amtlich bestallter Spielverderber geworden. Er spricht warm und kalt aus einem Munde. Als Regierungssprecher verkündigt er beschlossene Grausamkeiten. Als Wirtschaftssprecher kündigt er einschneidende Maßnahmen an. Als Präsident des Industriellenverbandes droht er mit Abwanderung ins Billiglohnland. Als Gewerkschaftsboss mit dem Rücken an der Wand mahnt er, in den sauren Apfel zu beißen. Als Aufsichtsrat der Katastrophenbergbahn weist er alle Verantwortung von sich. Als Blutbankdirektor kann er sich nicht vorstellen, wie die HIV-verseuchte Charge in Umlauf gelangt ist. Als Umweltminister erklärt er, dass bei der Panne im Atommeiler zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden hat.

Mit dezent plissierter Stirn versteht er es, jede Situation zu meistern, jeden Ton zu treffen und jeden Einwand als Problem des Einwendenden zu identifizieren. Er ist ein Routinier der Betroffenheit, ein Terrorist der politischen Korrektheit. Zu seinem Geschäft gehört es, die eigenen Gefühle in Schach zu halten, denn Ablesbarkeit bedeutet Kontrollverlust. Dem Dandytum von einst mit seiner stilvollen witzigen Unerschütterlichkeit und Nonchalance steht in der globalisierten Welt nun das neue Ideal gesellschaftlich genehmigter Gefühllosigkeit und rücksichtsloser Ausbeutung gegenüber. All jene, die angesichts des Zustands unseres Planeten nichts zu lachen haben, bilden nun die massenhafte Zielgruppe einer Fröhlichkeitsindustrie, die mit grimmiger Entschlossenheit und großem Ernst eine Palette von Wellnessangeboten und Selbstbeglückungstechniken propagiert, um auf die frustrierten Gesichter der Arbeitslosen und anderer Globalisierungsopfer den Abglanz inneren Friedens und guter Laune zu zaubern. So will es nun fast scheinen, die Titelthese bewahrheite sich am Ende doch noch: dann wäre der gut Gelaunte wirklich der Dumme.

Allerdings nicht, wenn er Josef Ackermann heißt.

 

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