zurück zur Startseite

„Aussicht, Aussicht, Aussicht!“

In nur 20 Minuten vom Stadtzentrum in hochalpines Gelände“, versprechen die Innsbrucker Nordkettenbahnen. Die Architekten Hermann Kaufmann und Wolfgang Pöschl* steigen ein und auf: Ihr Ziel ist die auf 
1905 m ü.d.M. gelegene Seegrube. Ihr Gesprächsthema: Bauen über der Baumgrenze.

Wir gleiten mit der Fahrtreppe hinunter in die Talstation beim Congress Innsbruck. Sind wir hier gleich beim 
Thema gelandet, nur unter umgekehrten Vorzeichen? Bauen unter der Baumgrenze mit den Formen von ganz
oben?

Wolfgang Pöschl: Gibt es so etwas wie eine untere Baumgrenze?

Hermann Kaufmann: Keine Ahnung …

P.: Herunten ist es einfach, der Baum wird zur Hütte und der Transportweg für das Holz führt abwärts.
Über der Baumgrenze ist das Bauen sicher schwieriger.

K.: Früher haben sie über der Baumgrenze mit Steinen gebaut, die kamen auch von oben, das war dasselbe wie mit den Bäumen unterhalb der Baumgrenze.

P.: Die Olpererhütte im Zillertal, die du neu gebaut hast, war ja auch eine Steinhütte?

K.: Ja, die ursprüngliche Hütte hatte einen Kern, so eine ganz kleine Hütte aus Stein.

P.: Und woraus war das Dach?

K.: Das weiß ich nicht sicher. Vermutlich waren es Dachschindeln aus Holz. Obwohl die Steine ja da waren, war es sicher einfacher, die Holzschindeln hinauf zu schleppen, als ein Steindach zu machen.

P.: Die meisten dieser Hütten sind nach deutschen Städten benannt, die Magdeburger Hütte zum Beispiel. Sind diese Hütten eigentlich von Deutschen gebaut worden?

K.: Die Österreicher hatten damals zu wenige Kapazitäten, um dem Run der Deutschen auf die Berge gerecht zu werden. Darum haben sich die deutschen Alpenvereine Plätze gesucht und mit den Österreichern vereinbart, dass sie die Hütten bauen und betreiben dürfen.

P.: Eigentlich waren das Wegbereiter des Tourismus!

K.: Ja.

P.: Mein Großvater, ein Schafhirt, hat gesagt: Nur die blödesten Schafe gehen auf den Berg hinauf.

K.: Es ist ja interessant, dass die Entdeckungen und Erstbesteigungen nie die Einheimischen gemacht haben. Das waren immer die Fremden; die wichtigsten Schweizer Gipfel etwa haben die Engländer bestiegen. Die Schweizer selbst hat das nicht interessiert.

P.: Waren die Einheimischen nicht trotzdem schon vorher oben – auf die meisten Gipfel kann man ja einfach hinaufgehen?

K.: Wahrscheinlich schon … aber ob sie auf dem Matterhorn waren?

P.: Ich weiß nicht wie das beim Matterhorn ist … bei manchen Bergen gehen ja auf der einen Seite die Kühe hinauf, während auf der anderen die Menschen Kopf und Kragen riskieren.

K.: Beim Matterhorn ist das nicht der Fall. Kühe habe ich dort noch nie gesehen.

P.: Ist es eigentlich ein Urbedürfnis des Menschen, einen Berg zu besteigen und hinunterzuschauen?

K.: Jedenfalls merke ich in München eines ganz deutlich: Die Aussicht ist ein ständiges Thema, meine Studenten reden dauernd von der Aussicht. Das muss ein starkes Bedürfnis der Münchner sein. Ich weiß nicht, wo das herkommt: Aussicht, Aussicht, Aussicht!

P.: Dort sieht man die Berge eben nur von der Ferne ...

K.: Die sind ja wahnsinnig weit weg, nur bei Föhn sind sie dann wirklich da.

P.: Das Bauen über der Baumgrenze war ja ursprünglich kein Thema. Das hat sich erst mit dem Tourismus geändert.

K.: Das sehe ich auch so. Bei uns in Vorarlberg sind die ältesten Gebäude die Zollhäuschen. Das Vieh ist natürlich über der Baumgrenze gewesen, aber da hat es damals nur ganz mickrige Unterstände gegeben. Die großen Almhütten sind erst später entstanden und sie liegen meistens unter 2000 Meter.

Die Bahn bremst und wir fahren in die von Zaha Hadid entworfene Haltestelle beim Löwenhaus ein, die sich ein Geschoss über der Innpromenade befindet.

P.: Da, schau! Das teuerste Flugdach aller Zeiten … Wo kommen denn die Gläser her?

K.: Aus China!

Es geht weiter über die Brücke und hinein in den Tun-nel, der steil nach oben zieht. Schon nach kurzer Zeit tauchen wir wieder aus dem Untergrund auf und halten 50 Meter weiter oben in luftiger Höhe in der Station Alpenzoo.

P.: Du gehst ja selbst viel auf die Berge, warum eigentlich?

K.: Ich gehe hauptsächlich im Winter, da ich ein leidenschaftlicher Schifahrer, oder besser: Schitourengeher bin.

P.: Kennst du dich mit Lawinen aus? Und was fasziniert dich am Bergsteigen?

K.: Was die Lawinen betrifft, so bringen 30 Jahre Erfahrung am Berg doch einiges an Wissen mit sich. Mich fasziniert das Wegkommen, das Distanz-Bekommen von der Ebene unten, das Abheben, das Freiwerden …


Wir erreichen die Hungerburg, verlassen die Standseilbahn, gehen eine Rampe hinauf zum Ausgang und dann weiter vor zur Betonbrüstung der Aussichtsplattform.

K.: Eine Bilbao-Station; zwei Dächer, eines überdeckt die Bahn, eines den Aufgang …

P.: Jetzt kommen wir zur Gegenthese des Franz Baumann … (Anm.: Wenige Schritte oberhalb der ebenfalls von Hadid errichteten Hungerburg-Station befindet sich die Talstation der Nordkettenbahn, die der Tiroler Architekt Franz Baumann in den Jahren 1927/28 erbaute und in die K. und P. nun einsteigen.)

K.: Wobei einige Architekten auch damals schon organische Formen aufgegriffen haben. Der Baumann nicht unbedingt, aber der Lois Welzenbacher.

P.: Liftstationen stellen auf alle Fälle beim Thema Bauen über der Baumgrenze ein wichtiges Kapitel dar.

K.: Ja, und diese Architekur wird jetzt auch immer exotischer. Früher waren es Almhütten, dann irgendwelche Hüllen aus Wellblech und jetzt wird alles technoider, mit Stahl und Glas und allem Möglichen.

P.: Es gibt doch auch eine schwache Tendenz zur schlichten, sachlichen Maschine mit einer einfachen, zweckdienlichen Verkleidung.

K.: Die finde ich tadellos!

P.: Hast du schon einmal eine Liftstation gebaut?

K.: Wir haben einen Gondelbahnhof gebaut. Das war auf ca. 1200 m Seehöhe, also unter der Baumgrenze. Es existierte bereits eine Liftstation und wir haben daneben ein einfaches Gebäude mit Flachdach errichtet, mit einem umlaufenden Oberlichtband, sodass das Dach zu schweben schien.

P.: Dort werden die Gondeln in der Nacht geparkt?

K.: Das ist fast so wie ein landwirtschaftliches Gebäude, in dem der Traktor steht. Außerdem haben wir eine Talstation gebaut, die Sonnenkopfbahn vor dem Arlbergtunnel. Und aktuell habe ich den Auftrag, im Kleinwalsertal eine Bergstation zu bauen, knapp über der Baumgrenze. Wir versuchen, den Bau in die Topographie zu integrieren. Das ist ein ganz spezieller Ort da oben, und es ist wichtig, nicht einfach ein Pfauenrad zu schlagen, sondern zu versuchen, die neue Architektur möglichst in die Landschaft einzubetten. Ich habe erst eine grobe Idee skizziert. Bis zur Realisierung ist es noch ein weiter Weg.

P.: Das heißt, du versuchst dich am Ort zu orientieren, auf das Vorgegebene einzugehen?

K.: Letztens war ich an einem Vorentwurf für eine Gipfelstation beteiligt. Eine Bahn fährt auf einen Bergkamm 
hinauf, der von Teilen des Tales gut einzusehen ist. Ich habe die Entscheidungsträger davon überzeugt, dass man die Station über den Kamm ein bisschen zurückschiebt, damit sie nicht da oben sitzt wie ein Leuchtfeuer. Das ist eher meine Art, solche Dinge zu lösen …

P.: Die Seegrubenbahn wurde ja in den 1920er Jahren von der Stadt Innsbruck gebaut, zeitgleich mit der Patscherkofelbahn, die von der Stadt Schwaz finanziert wurde. Was wäre, wenn jemand heute auf die Idee käme, so eine Bahn von Hall i. T. auf den Bettelwurf zu bauen? Wäre das heute noch möglich?

K.: Ich glaube schon. Heute gibt es natürlich mehr konkurrenzierende Projekte, aber die Seegrubenbahn würde auch jetzt wieder gebaut werden.

P.: Wäre das beim aktuellen Stand des Naturschutzes denkbar?

K.: Das wäre nur eine Frage der Dichte solcher Bauten. Es gibt außer in Tirol auch in Vorarlberg Diskussionen um die Erschließung der alpinen Gebiete. Und die Vorarlberger sind wahrscheinlich noch restriktiver als die Tiroler.

Wir kommen auf der Seegrube an und gehen ins Restaurant.

K.: Das sind noch die Originalmöbel vom Baumann!

P.: Auch die Lampen!

K.: Und die breiten Bodenbretter, die sind in der Mitte verleimt. Solche Details erinnern mich immer an Ernst Hiesmayr.

P.: Du hast ja bei ihm gearbeitet.

K.: Viele Facetten seiner architektonischen Sprache hat er als Tiroler von hier mitgenommen, vor allem das Kräftige, Markante. Ich halte das nach wie vor für eine adäquate Position, wenn man hier heroben baut. Da hat man Bergschuhe an, da ist man anders unterwegs …

P.: Und das hast du ja bei der Olpererhütte auch berücksichtigt, indem du alles so massiv gemacht hast.

K.: Die Olpererhütte war ja eine Gegenreaktion auf das Schiestlhaus, das zu der Zeit so eine Art ein Fanal in Österreich war: das Haus der Zukunft, das erste Passivhaus der Alpen! Da haben sie Sonnenkollektoren, Lüftungsgeräte und was weiß ich noch alles hinauftransportiert und eine künstlich belüftete Berghütte erzeugt, eine bewohnbare Maschine. Das kann es ja nicht sein! Wenn man in die Berge geht, reduziert man sich ja, man nimmt nur das Notwendigste mit und erwartet sich doch nicht eine hochtechnisierte Umgebung!

P.: Es gab eine ähnliche Haltung in den 1960er Jahren, als man Objekte auf die Berge stellte, die an Raumkapseln erinnerten.

K.: Manche Bereiche der Architekturausbildung erziehen die Studenten genau in diesem Geist der 60er Jahre. Da kommen dann futuristische Aluminiumgestelle heraus, wahnsinnig designt, minimal space, minimal living und wie die Schlagworte alle heißen; und weil man von Nachhaltigkeit auch schon etwas gehört hat, wird das Ganze noch mit ein paar Solarkollektoren versehen und auf irgendeinen Gletscher geflogen … Das ist mir vollkommen zuwider!

P.: Daraus spricht die Haltung: Oberhalb der Baumgrenze beginnt das Weltall.

K.: Ja, genau. Und für meine Begriffe fängt das Weltall dann doch ein bisschen zu früh an.

P.: Die Tiroler Bergsteiger haben mit ihren Himalaya-Unternehmungen ohne Sauerstoffflaschen auch stets beweisen wollen: Freunde, hier ist noch nicht das Weltall!

K.: Davor haben die Himalaya-Bergsteiger ausgeschaut wie Astronauten.

P.: Statt Aluminium-Kabinen werden jetzt fertige, leichte Holzteile auf den Berg geflogen, so war das auch bei deiner Olpererhütte. Wie glaubst du haben die da auf der Seegrube gebaut? Haben die den Rohstoff auch noch aus der Umgebung entnommen?

K.: Ich glaube teilweise schon.

P.: Die werden nur den Zement herauftransportiert haben!

K.: Das Holz sicher auch, da hat es bestimmt eine Materialseilbahn gegeben. Kennst du Aiguille du Midi in Chamonix? Diese Wahnsinns-Bergstation auf 3000 m, die ist so richtig auf einem Spitz, auf einem Zacken gebaut, und da fährt eine wirklich beeindruckende Bahn hinauf. Es gibt sogar Filme darüber. Unglaublich! Die haben da in den 20er und 30er Jahren alles hinaufgeschleppt: Beton, Beton, Beton. Und das nur mit Materialseilbahnen! Eine Wahnsinnsleistung für diese Zeit. Es sind auch viele dabei umgekommen.

P.: Das waren die Fitzcarraldos der Alpen … Gehen wir auf die Terrasse? – Das Panorama muss schon beeindruckend sein für einen Engländer! … In Innsbruck gibt es ein Sushi-Lokal, das ein Nepalese betreibt. Der war vor kurzem in seinem Heimatdorf, das sozusagen im Angesicht des Annapurna liegt. In seinen Erzählungen hat er freundlicherweise nicht von „richtigen“ Bergen im Vergleich zu unseren gesprochen, aber seine Augen haben ihn verraten …

K.: Ich kenne das gut, ich war einmal dort. Diese Landschaft hat unwahrscheinliche Dimensionen! Das Interessante ist, je weiter du oben bist, desto näher erscheint dir alles, aber eigentlich ist es irrsinnig weit weg. In der Wüste gibt es das umgekehrte Phänomen. Du siehst einen Berg und denkst: Da werde ich bestimmt eine Stunde hinaufgehen! Und dann bist du in zwanzig oder zehn Minuten oben.

P.: Was war der höchste Punkt, auf dem überhaupt warst?

K.: In Nepal, auf ca. 5800 m.

P.: Das ist ja eine Höhe, wo man leicht höhenkrank werden kann.

K.: Wir wollten gegenüber vom Annapurna auf einen Sechstausender gehen und oben übernachten. Am Abend ist mir schlecht geworden. Und um zehn Uhr habe ich zu einem Kollegen gesagt: Ich gehe hinunter! Dann bin ich nachts abgestiegen, der Annapurna war vom Vollmond angeleuchtet, es waren ca. 1200 Höhenmeter bis zur Ortschaft hinunter … Ich wollte nicht sterben da drüben und die einzige Alternative war, hinunter zu gehen.

P.: Wenn ich so was höre, möchte ich dir vorschlagen: Fahren wir lieber auch wieder hinunter!

*   Hermann Kaufmann, 1955 in Reuthe, Bregenzerwald / Vorarlberg als Sohn einer alten Zimmermannsfamilie geboren. Mithilfe im elterlichen Betrieb, wo er die Faszinationen des Baustoffes Holz kennenlernt, aber auch die Art des handwerklichen Denkens, was seine Arbeit als Architekt wesentlich beeinflusste. Studium an der Technischen Hochschule Innsbruck und an der Technischen Universität Wien, wo er entscheidend von seinem Lehrer Prof. Ernst Hiesmayr geprägt wurde. Nach zweijähriger Mitarbeit in dessen Büro 1983 Gründung eines eigenen Architekturbüros mit Christian Lenz in Schwarzach. Zentrales Anliegen seiner Arbeiten ist die Suche nach umfassenden Antworten zum Thema Nachhaltigkeit des Bauens und das Ausloten der Möglichkeiten des modernen Holzbaus. Zahlreiche Hallen für Gewerbebetriebe zeugen von seinen zielgerichteten gestalterischen Konzepten für Holztragwerke, die für öffentliche Bauten architektonisch verfeinert ebenso wirksam sind. Neben Einfamilienhäusern ergänzen zurückhaltende Erneuerungen alter Bausubstanz in empfindlichen Dorfstrukturen die Werkliste. Seit 2002 Professor am Institut für Bautechnik und Entwerfen an der TU München, Fachgebiet Holzbau. Wolfgang Pöschl, mit seinem in Mils bei Hall i.T. angesiedelten Büro tatanka ideenvertriebsgmbh jüngst mit dem Österreichischen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet, fungiert als Fragensteller. 

 

im Heft weiterblättern


Email

registrieren

Ihre Email-Adresse wurde bei uns registriert und zur Liste der Newsletter-Abonnenten hinzugefügt.
Sie erhalten in Kürze ein Bestätigung per Email.