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Wesen der Landschaft

Der Bildhauer Franz Brunner baut Mauern, malt Panoramen, verfolgt Spuren und erfindet Gegenden. Milena Meller besuchte ihn in Thaur bei Innsbruck.

Steinhaut
Schaut man von Franz Brunners Atelier hinaus in den Garten, so sieht man große, dunkle, zerfurchte Skulpturen stehen: zwei Felsblöcke, eine Art Obelisk – an und für sich ja nicht ungewöhnlich für einen Bildhauer. Wären da nicht Durchblicke und Spalten, die erkennen lassen, dass die vermeintlich schweren Steinskulpturen nur Hüllen sind, perfekte Imita­tio­nen, innen hohl. Attrappen also.
Drinnen an den Wänden meint man, Fragmente antiker Bildhauerei hängen zu sehen. Auch das eine Irreführung: Sind es doch Kunststoffhäute, die wie schwerer Stein aussehen, wie archäologische Fund­stücke wirken. Auch kissenförmige Reliefs hängen da: barocke Steinpolster, irritierende Zitate, geschickte Täuschungsmanöver.

„Diesen Felsen mit dieser Struktur gibt es real. Davon mache ich zunächst eine Negativform aus Silikon, aus der ich dann eine Positivhaut aus Gummi anfertige, die die Struktur des Steines trägt und die ich span­nen und beliebig verformen kann. Es ergibt sich also eine Haut mit der Struktur von Stein.
Im Fall dieser ‚Kissen‘ da habe ich die Haut über Schaumstoff gespannt. Den endgültigen Abguss patiniere ich mit Farbe, damit die Struktur des Steines besser heraus kommt.
In der klassischen Bildhauerei kommen ja weiche Formen häufig vor, drapierte Stoffe zum Beispiel oder auch der menschliche Körper – nur sind die aus Stein gemeißelt! Sieht man etwa eine Skulptur aus weißem Marmor: Die könnte genauso gut aus Zucker sein! Eigentlich weiß man nur vom Kopf her, dass es sich um Marmor handelt. Der Stein vermittelt sich in diesem Fall also nur über das Material; hier bei meinen Arbeiten vermittelt er sich dagegen nur über die Struk­tur.“
Schon während seiner Studienzeit an der Akademie in Stuttgart beginnt Franz Brunner, Steinplatten, die er als Hirte und Senner auf der elterlichen Alm gesammelt hat, an Ort und Stelle zu Skulpturen zu schlich­ten. Es entstehen Arbeiten im Gelände.

„Bei der Arbeit ‚Vermessung‘ ging es um das Begreifen der Landschaft aus rein künstlerischer Sicht, darum, als Künstler diesen Berg erfahrbar zu machen, wichtige Orte für mich, der ich zu dieser Zeit da oben lebte, zu erschließen: markante Punkte und Formationen im Gelände ebenso wie etwa Quellen oder Schlaf­plätze der Kühe.
Die ersten Frottage-Arbeiten, bei denen es um die Oberflächenstruktur des Steins ging, entstanden dann bei einem Grafik-Symposion. (Frottage: grafisches Verfahren, bei dem Papier auf einen prägenden Untergrund gedrückt wird, um dessen Struktur sichtbar zu machen; Anm.) Ich hatte ein paar Steinplatten von der Alm mitgenommen und begann, sie abzufrottieren. Zunächst habe ich noch einzelne Steine, später dann ganze Felsen abfrottiert. Das ist so faszinierend an der Frottage oder der Abformung: Da kannst du einfach abends einen Felsen mit heim nehmen, auch eine ganze Felswand!
Mit der Verformbarkeit dieser Gummisteine eröffnen sich ganz neue Wege der ‚Steinbildhauerei‘! Auf die Spitze getrieben hab ich das, indem ich nur mehr eine Haut mit Steinstruktur habe flattern lassen! Große Gummisteine, die man irgendwo reinklemmt, wo sie sich dann verbiegen – solche Dinge zu machen reizt mich, dieses paradoxe Aneignen, Kultivieren und Imitieren von Natur!
Für einen Wettbewerb (Kunst im öffentlichen Raum, Umfahrung Strengen am Arlberg) habe ich eine riesige Säule aus drei spiralförmig sich windenden Felsbändern entworfen: in Beton gegossene Abformun­gen, repräsentativ für die drei Gesteinsarten, die in dieser Gegend zusammen kommen und sich im Kreisverkehr verwirbeln.
Für eine Ausstellung in Italien habe ich die Oberflächenstruktur von Steinformationen abgenommen und ihnen abgeformte Schremmspuren eines Bergbaustollens entgegengesetzt.
Auch meine Arbeit ‚Kulturschrammen‘ hat mit dieser Gegenüberstellung von künstlicher und natürlicher Struktur zu tun – in eine abgeformte Felsstruktur vom Gebirge über Innsbruck (Hafelekar) habe ich das Muster eines Reifenprofils eingedrückt, in Beton gegossen und dann wieder am Berg deponiert.“

Spurenlese
„Ich mache Dinge, die ich selber gerne finden würde: Artefakte, auf denen Menschen ihre Spuren hinterlassen haben. Bei den von mir hergestellten Strukturen, auf den Frottagen oder auf den Steinen, da hinterlasse ich ja meine Spuren – zumeist in Form von geometrischen Ornamenten. Das Ornament fasse ich als Gegensatz zur Naturstruktur auf. Ab dem Moment, wenn der Mensch, etwas Künstliches, ein Eingriff im Spiel ist, wird es für mich spannend.
Wie ich als Hirte gearbeitet habe, waren drei Sachen wichtig: gute Schuhe, ein Fernglas und Spuren lesen! Es ist so wichtig, wenn man irgendwo beispielsweise Tritte sieht, sagen zu können, wie alt sie sind … man erspart sich viel Arbeit, wenn man sehr aufmerksam durch die Gegend geht; man ist ja permanent auf der Suche und am Kontrollieren. Das ist natürlich eine Schulung der Wahrnehmung, des Schauens!
Es gibt Luftaufnahmen von der Steppe mit den Spuren von Tieren, die wie ein Netzwerk aussehen. Die Vegetation ist so karg, dass, wenn Tiere ein paar Mal den gleichen Weg gehen, schon eine Spur entsteht. Auch im Schnee passiert das. Man sieht, wie die Tiere flächig das Gebiet abgrasen, es erfassen. Dieses Wege­netz, das ähnelt einer meiner frühen Arbeiten:
Über einem Luftbild von der Alm habe ich jeden Tag meine Wanderungen auf Transparentpapier nachvollzogen. Dadurch ist auf dem Papier ein Netz entstanden, eine Struktur. Man erkennt zwar keinen Berg – aber, wer die Gegend genau kennt, weiß: Hier ist die Hütte, weil die Linien an dieser Stelle zusammenlaufen. Da gibt es bestimmte Steige, die man häufig geht, und dann gibt es Gebiete, wo man eigentlich überhaupt nie hinkommt, weil z. B. ein Zaun rundherum ist! Das sieht man auf dem Bild.“

Gehen auf Papier
Wandern ist bei Franz Brunner zentral, untrennbar und vielfältig mit der Arbeit verbunden. Auch feine grafische Arbeiten entstehen aus dieser Leidenschaft, Bleistiftzeichnungen imaginärer Landschaften, die sich aus abstrakten Linien entwickeln und in die Darstellung von Felsformationen kippen.

„Bei Zeichnungen wie diesen wandere ich mit dem Bleistift: Ich fange irgendwo an und weiß überhaupt nicht, was es wird. Ich verdichte es dann immer mehr. Das ist einfach drauflos erfunden, da gibt es dann immer wieder Schnittpunkte und in meinem Kopf entsteht dabei eine Berglandschaft. Ich ‚erwandere‘ Felsen, Täler, einfach Landschaft. Der eigentliche Prozess ist das Gehen auf dem Papier. Wenn ich es zu weit treibe, richtig zu zeichnen anfange, dann kann es sich tot laufen, ist nichts mehr offen.“

Bei der Arbeit an einem großen Panoramabild für den Tourismusverband Hall i. T. ist Brunner die Wege im Geiste nachgewandert, hat aber auch von der gegenüberliegenden Talseite aus Details der Landschaft gemalt, typische Plätze noch typischer herausgearbeitet und die Landschaft für Wanderer gleichsam präpariert:

„So ein Panoramabild ist ein Vorkauen, ein Vorverdauen der Landschaft – sonst könnte man ja einfach nur ein Foto machen! Die Bergkette im Vordergrund, die Hauptansicht ist frontal; die Berge dahinter sind jedoch höher dargestellt, quasi herausgeschoben.
Die Karte ist wirklich für Wanderer gedacht und steht an verschiedenen Orten.

Beim Malen gab es den Moment, da hatte ich das Gefühl: So funktioniert Malen, so könnte Malen Spaß machen, da könnte es weiter gehen!“

Problemruine
Subtile Spurensuche betreibt Franz Brunner auch, wenn es darum geht, tausende Jahre alte, menschlich bearbeitete Steine als solche zu erkennen. Seit Jahren sammelt er Fundstücke von archäologischer Bedeutung, er hat in seiner unmittelbaren Umgebung einige für die Urgeschichte wichtige Fundplätze entdeckt. Hunderte kleine Steine, Scherben und auch Knochen hat er in Schubladen verwahrt. Seit rund fünf Jahren arbeitet Franz Brunner mit dem Thaurer Verein für Dorfgeschichte „Chronos“ und dem Denkmalamt an der Sanierung der großen Burgruine oberhalb des Dorfes Thaur.

„Bei so einer Sanierung wird zunächst alles voll doku­mentiert, jeder Stein verzeichnet! Alles wird beschrieben, der Mörtel, alte und neue Ausflickungen, die alten Steine und die neuen, die dazukommen. Dazu wird zuerst ein entzerrtes Foto gemacht. Das muss im Maßstab stimmen, das heißt, wir setzen im Raster alle zwei Meter Punkte über die ganze Mauer, dann wird fotografiert. Anhand der Punkte wird das Ganze dann zusammengesetzt und entzerrt. Nur so bekommt man ein Foto, anhand dessen die Bau-Analyse gemacht werden kann. Man sollte jeden Stein schließlich auch im Detail erkennen. Wenn ich Teile einer Mauer neu aufbaue, kennzeichne ich das mit einem Rücksprung, damit man sieht, wo der alte Teil aufhört. Ich baue mit den Steinen, die bei Freilegungsarbeiten anfallen, hole aber auch große Blöcke aus der Umgebung, aus Bachbetten und spalte sie hier.
So etwas zu machen, das ist ein Jugendtraum von mir: archäologisch graben, aber auch Mauern, Bögen, Gewölbe bauen. Nur ist es jetzt sehr viel geworden. Wir hatten den Plan, die gesamte Ringmauer frei zu legen, damit man die Burg als Ganzes erfasst. Die Frage ist aber, ob man das überhaupt machen soll: denn eigentlich gräbt man die Probleme aus. Wenn man das alles im Boden lassen würde, würde den Mauern nichts passieren. Es ist ohnehin paradox: Wie soll man eine Ruine sanieren – man wird sowieso nie fertig! Und abgesehen davon lebt eine Ruine ja schließlich vom Verfall, sonst wäre es ja keine Rui­ne! Es ist zwiespältig. Für mich ist es auf jeden Fall wieder Spurensuche und Arbeit mit Strukturen.“

Mensch im Spiel
„Wenn man ein Ordnungsprinzip beherrschen würde, könnte man auch die Unordnung erkennen: Ein Geo­loge beispielsweise ist im Gelände unterwegs, um die Prinzipien der Natur zu verstehen. Ihm wird ein ‚fremder‘ Stein als Störfaktor in der natürlichen Ordnung auffallen. Ein Archäologe wiederum ist unterwegs, um Spuren von Künstlichkeit zu finden: Er wird den­selben Stein als in seine künstliche Ordnung passend erleben. Es geht mir darum, den Berg, die Landschaft zu begreifen: zu begreifen, wie der Berg funktioniert, warum er diese Form hat, was geologisch passiert ist und ab wann der Mensch ins Spiel kommt.“

Inzwischen sind die Felshüllen in Franz Brunners Garten massive schwarze Schemen geworden, während der Begehung des Burgareals ist die Dunkelheit gekommen, die tiefen Wolken über dem Tal haben vom Widerschein der Straßenbeleuchtung orange zu schimmern begonnen, ein junges Reh ist vor den Scheinwerfern davon gesprungen.
Fragmente und Spuren sind es, die Franz Brunner beharrlich aufspürt, sammelt, ordnet, die er freilegt und ergänzt. Und indem er selber Fragmente macht, seine Spuren hinterlässt, wenn er Fels und Stein abformt, nachahmt, bearbeitet und verwandelt, spielt er Wahrnehmungsspiele, führt uns hinters Licht, die wir der Oberfläche Gewicht und Härte glauben. Als Forscher an der Schnittstelle von Natur und Kultur ist er unermüdlich auf der Suche nach dem Wesen der Landschaft, erarbeitet und erfindet sie, im Gelände, auf dem Papier, gehend, malend, Linien ziehend.

 

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