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Zeichnung und Installation

Herbert Hinteregger hat für diese Ausgabe von Quart das Cover entworfen und zeigt außerdem eine Bildstrecke auf den folgenden Doppelseiten. Vorab ein Text von Martin Prinzhorn:

Die Arbeiten, für die Herbert Hinteregger bekannt ist, sind einerseits Bilder mit Streifen oder Raster, oft aus Kugelschreibern angefertigt. Im Laufe der Zeit gehen sie auch immer weiter weg vom Tafelbild und von der Idee des autonomen Kunstwerks und werden immer installativer. Andererseits sind es Wandinstallationen aus leeren, blauen Kugelschreibern, die in einem interessanten Verhältnis zu den Bildern und deren Installationscharakter stehen. Die Arbeit des Künstlers beginnt also irgendwann bei der Idee des Tafelbilds und arbeitet sich dann schnell in Richtung Installation vor. Wir haben hier also keinen Künstler, der sich von Anfang an fest in die eine oder andere Richtung bewegt, sondern einen, der sich im Laufe seiner Karriere verändert. Irgendwann besetzen die Kugelschreiberinstallationen die Wände und die Kugelschreiberbilder nehmen den Boden ein – eine verkehrte Welt. Hinteregger hätte ja auch die Bilder als autonome Dinge weitermachen können und die übrig gebliebenen leeren Hüllen als Installation verwenden können. Hat er aber nicht.

Von Anfang an gibt es bei ihm eine sehr merkwürdige Mischung von Arbeiten, die sich nicht eindeutig hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Raum zuordnen lassen. Einerseits gibt es Gemälde, die sich ohne große Probleme nach der alten Greenberg’schen Idee eines autonomen Kunstwerks interpretieren lassen, das sich ohne Referenz auf seinen Raum etablieren kann. Der Raum selbst soll dann neutral sein und jenseits des Bildes oder der Skulptur stehen. Das glänzende Material und die Abstraktion geben genau diese Richtung vor.Wie sollen wir aber die Entscheidung verstehen, die Bilder aus der Tinte eines viel benutzten Schreibwerkzeugs herzustellen? Das Verfahren ist für die Betrachter ja auch immer nachvollziehbar. Ohne viel Phantasie können wir sofort entscheiden, wie die monochromen Flächen entstanden sind. Die Tinte des Kugelschreibers kriegt dann eine neue Bedeutung. Die Flächen und ihre Umrisse werden zur Schrift, die wiederum ganz klar einen Text schreibt, etwas Verankertes, etwas Performatives. In der Wahl des Materials steckt also schon ein ganz entscheidender Verweis auf den Installationscharakter der Bilder. Obwohl die Bilder als monochrome Kompositionen leicht in das Greenberg’sche Paradigma einordenbar sind, ist es doch die Tinte, die wir mit Schrift verbinden und die dem ganzen Werk einen anderen Anstrich gibt. In den neueren Bildern wird die Wirkung der Tinte nochmals verstärkt, da hier Rahmen und Hintergründe im Bild nochmals sichtbar werden und so den Charakter einer Installation wiederum verstärken.

Die Entscheidung, aus den leeren Kugelschreibern Arbeiten herzustellen, mag aus der Produktion der Bilder und ihren Resten gekommen sein. Aber der Anlass darf in diesem Fall nicht mit dem Konzept gleichgesetzt werden. Auch hier gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Verfahren, der Malerei und der Wandskulptur. Nicht nur, dass die beiden Techniken oft miteinander ausgestellt werden, sie sprechen auch oft dieselben Probleme an. In diesen Arbeiten adressiert Hinteregger oft die Farbdichte durch die unterschiedliche Nähe der Hüllen oder über die Frage, ob er die Hüllen auf Wänden oder Glas anbringt. Abgesehen davon, dass es sich hier ausschließlich um die Farbe blau handelt, ist die Behandlung von Farblichkeit also sehr ähnlich wie bei den Bildern. Der Unterschied liegt in der räumlichen Organisation. Bei den Arbeiten mit den Kugelschreiberhüllen gibt es keine bildnerische Option, das Werk kann nicht mehr oder weniger installativ sein, es ist installativ.

Die in Quart abgebildeten Arbeiten tragen verschiedene Eigenschaften in sich. Durch die Verwendung von Fotografie und Zeichnung tragen sie etwas Collagenhaftes in sich. Von ihrer Größe her scheinen sie Zeichnungen zu sein. Durch den Gegensatz von bäuerlicher Landschaft und Szenerie in den Fotos und strenger geometrischer Zeichnung werden die Arbeiten zu einer Auseinandersetzung zwischen alter Darstellung und moderner Form. Die schwarz-weißen Fotos und die leicht eingefärbten Formen verstärken diesen Eindruck nochmals. Nur manchmal wird die Fotografie nicht als eindeutiges Bild gesehen, sondern durch Verdrehung in die Komposition eingearbeitet. Die Balken, Kreise, Kurven und Quadrate schließen sich nicht wirklich an die Fotos an und nehmen eher eine übermalende Funktion ein. Gleichzeitig ist dieses Übermalen aber nicht wirklich aggressiv, es will keine alten Formen übertrumpfen. Es scheint sich parallel auf dem Papier zu befinden, nur manchmal sehen wir so etwas wie einen kurzen Zusammenhang aufleuchten. Was wir aber eigentlich sehen, ist der Gegensatz zwischen einer weichen Zeichnung aus der Fotografie und einer starren Geometrie im Vordergrund. Wir sehen auch die für frühe Schwarzweißfotografie typische weichzeichnerische Technik, die mit einer klaren Linienführung im Vordergrund alterniert. Die Ebenen versuchen miteinander zu sprechen und wir sind unentschlossen, ob sie das wirklich können. Immer wieder kommt man auf den Konflikt zurück, den das Abfeiern einer Vergangenheit und die Moderne einer künstlerischen Sprache auslösen. Auch hier glaube ich, dass die installative Technik aus Hintereggers anderen Werken eine sehr große Rolle spielt.

Heutzutage ist die Kunst in einem Stadium, das den Gedanken an das reine Kunstwerk, das jenseits seiner Umwelt existiert, als lächerlich erscheinen lässt. Die Verortung in verschiedenen institutionellen Räumen scheint eine ganz klare Geschichte zu sein, sodass man die Idee einer puren Kunst ohne Rahmen oft in die Nähe einer Verklärung rückt. Umgekehrt ist die Aufgabe des autonomen Kunstwerks auch eine Sache, die nicht völlig unproblematisch ist. Wenn etwas nur in einer Performance, durch eine Form der Theatralität erfassbar ist, kann die künstlerische Entscheidung dann wirklich eine so große Rolle spielen, dass das Bild völlig verändert und die Kunst wirklich neu beurteilt werden kann? Hier spielt die radikale Herangehensweise Hintereggers eine große Rolle. Er lässt das Bild nicht nur formal in den Raum wachsen, er baut seine Kunst so um, dass er die Frage seiner Definition von Kunst immer wieder in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung führt. Das Bild wird sozusagen auf dem Weg von der autonomen Größe hin zur Raumgröße begleitet. Die verschiedenen Arbeitsstrategien
machen das nochmals deutlich – es geht hier um eine Kunst, die diese Problematik immer in den Mittelpunkt stellt.

In den zeichnerischen Arbeiten ist es keine Erweiterung oder Entgrenzung des Bildes, die zu einer Raumbezogenheit führen. Es sind die beiden im Bild enthaltenen Pole, die nur selten und auch sehr schwer zusammenführbar sind, die eine ganz ähnliche Wirkung haben. Die Diskussion wird ins Bild getragen und nimmt dort mit dem Betrachter Kontakt auf. Der Betrachter wird so zum Teil des Prozesses und versucht, sich zwischen der einen und der anderen Lesart zu entscheiden. Das Theater wird hier ganz direkt in die Psyche der Zuseher transportiert. Die Beteiligung ist also auf die inhaltliche Frage reduziert, auf das, was den Widerspruch im Bild ausmacht. Sonnende Schifahrer, Täler, tanzende Leute, Kirchenbesucher nach dem Gottesdienst oder ein Kruzifix stehen in einem Gegensatz zur klaren Form der geometrischen Figuren. Wichtig für Hintereggers Strategie ist es auch, dass er die Bildunterschriften aus dem Buch nicht ausblendet, sondern als solche im Gegenüber der Abstraktion stehen lässt. Diese Abstraktion ist aber auch nicht wirklich begrenzt und scheint immer wieder aus dem Bildrand weiter nach außen zu gehen. Hier variiert der Künstler nochmals das Erweiterungsmotiv der installativen Malerei: Während das Foto ganz klar in seinem ursprünglichen Sinne begrenzt ist, ist dies bei der Zeichnung nicht so klar.

Man kann sich natürlich fragen, welche Rolle diese Konzentration auf künstlerische Fragen, die ja schon bei Stella eine wichtige Rolle gespielt hat, bei den neueren Arbeiten von Herbert Hinteregger spielt. Die vergangenen Jahrzehnte wurden immer wieder von der Frage bestimmt, was die Bedingungen für die Existenz eines Kunstwerks seien, die Bereiche zwischen Autonomie und Performanz wurden immer wieder neu vermessen. Dennoch ist die Position Hintereggers eine sehr wichtige. Er entscheidet sich nicht eindeutig für die eine oder andere Seite, er spielt immer mit beiden Positionen. Es geht bei ihm also gar nicht mehr um eine Grundsatzfrage, an der sich die weitere Karriere entscheidet. Seine gesamte Kunst lässt ein lockeres und entspanntes Verhältnis zur Frage vermuten, mit der er die Wichtigkeit des Ganzen auch in eine historische Ecke stellt.


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