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„Music is my only means of self-expression.“

Von der „Primadonna assoluta der Violine“ zur Tutti-Geigerin im Innsbrucker Städtischen Orchester: Die außergewöhnliche Karriere der Guila Bustabo. Von Franz Gratl

Sie wurde in einem Atemzug mit Heifetz und Menuhin genannt. Toscanini und Fritz Kreisler gehörten zu ihren Mentoren. Sie arbeitete mit den führenden Dirigenten ihrer Zeit zusammen, zum Beispiel mit Furtwängler und Mengelberg. Sie rührte Jean Sibelius zu Tränen, als sie dessen Violinkonzert in Anwesenheit des Komponisten spielte. Der Finne zollte ihr für ihre Interpretation höchsten Respekt: Niemand sei seinen Intentionen näher gekommen als sie. Die Künstlerin, von der hier die Rede ist, ist die amerikanische Geigerin Guila Bustabo1. Dass heute selbst in Fachkreisen kaum mehr jemand diesen Namen kennt, hat mit einem markanten Bruch in ihrer internationalen Karriere zu tun. Dass sich auch in Innsbruck nur mehr wenige an sie erinnern, ist Teil ihrer persönlichen Tragik, denn Guila Bustabo verbrachte in der Tiroler Landeshauptstadt mehrere Jahre: Sie unterrichtete am Konservatorium und spielte im Städtischen Symphonieorchester. Dieser Beitrag ist der Lebensgeschichte dieser außergewöhnlichen Musikerin gewidmet: Einer Geschichte, die exemplarisch zeigt, wie sehr Weltpolitik eine Künstlerinnenkarriere prägen kann – und wie fatal politische Naivität ist.

Alles beginnt eigentlich wie ein amerikanischer Traum: Das Mädchen vom Lande erweist sich als musikalisches Wunderkind, erregt Aufsehen und wird in die Welt geschickt, um sie mit ihrer Kunst zu erobern. So märchenhaft und einfach liest sich – oberflächlich betrachtet – der Beginn des musikalischen Werdeganges der Bustabo. Aber das reale Leben ist eben kein Märchen. Guila Bustabos Mutter Blanche (1895–1986) ist sehr dominant und ehrgeizig. Sie ist die graue Eminenz hinter der Geigerin – und bleibt es, bis die Tochter siebzig Jahre alt ist. Sie begleitet ihre Tochter auf ihre Tourneen, bleibt an ihrer Seite; selbst als Guila Bustabo selbst schon keine junge Frau mehr ist, sieht man sie nie ohne Blanche. Das musikalische Talent verdankt Guila freilich beiden Eltern: Ihr Vater Alexander James Bustabo (1888–1950), der italienische Wurzeln hat und in Luzern geboren wird, ist ein exzellenter Geiger, die Mutter Blanche beherrscht ebenfalls das Violinspiel. Im Alter erzählt Guila Bustabo eine Geschichte, die gewissermaßen ihren geigerischen Initiationsritus beschreibt: Ihr Vater bastelt ihr eine Spielzeuggeige aus einer Zigarrenschachtel. Sie wirft sie wutentbrannt zu Boden und verlangt so lange und intensiv nach einem echten Instrument, bis ihre Eltern nachgeben und der Zweijährigen eine Geige kaufen. Bald zeigt sich ihr herausragendes Talent. Die Bustabos übersiedeln von ihrer Heimatstadt Manitowoc (Wisconsin) ins nahe Chicago, damit Guila dort am Musical College studieren kann. Unter der Obhut des Ysay¨e-Schülers Leon Sametini (Rotterdam 1886 – Chicago 1944) reift sie zur Virtuosin heran. Mit Neun debütiert sie mit dem Chicago Symphony Orchestra. Sie kommt an die Juilliard School in New York, wo sich Louis Persinger (Rochester / Illinois 1887 – New York 1966), ein weiterer Schüler des belgischen Geigenstars Eugène Ysay¨e, ihrer annimmt. Persinger ist einer der renommiertesten Violinpädagogen; zu seinen Schülern zählen neben Guila Bustabo unter anderem Isaac Stern und Yehudi Menuhin. Ob Guila Bustabos geigerische Eigenart, ihr intensiver, von einem schnellen, niemals überbordenden Vibrato geprägter Ton unter Persingers Ägide gereift ist? Jedenfalls sind die Charakteristika ihres Spiels in allen, auch den frühesten bekannten Aufnahmen voll ausgeprägt. Mit ihrer Virtuosität, ihrem unverwechselbaren Ton und ihrer interpretatorischen Reife erregt Guila Bustabo bald Aufsehen in den höchsten musikalischen Kreisen New Yorks. Der Dirigent, Pianist und Komponist Ernest Schelling, der die „Young Peopole’s Concerts“ des New York Philharmonic Orchestra leitet, ermöglicht 1929 Guila Bustabos Carnegie-Hall-Debüt. In der Folge setzt er sich mit einem illustren, klingende Namen wie Arturo Toscanini, Fritz Kreisler und Ignacy Jan Paderewski umfassenden Kreis von Förderern dafür ein, dass der aufsehenerregenden jungen Geigerin eine Europatournee ermöglicht wird. 1934 ist es so weit: Guila Bustabo erobert die Konzertpodien Europas. In London begeistert die junge Musikerin mit ihrem Spiel die Mäzenin Lady Ravensdale (Mary Irene Curzon, 2. Baroness Ravensdale, 1896–1966), eine schillernde Zentralfigur des Kulturlebens der britischen Metropole (und eine Schwägerin des englischen Faschistenführers und Hitler-Sympathisanten Oswald Mosley). Die Gönnerin macht Guila Bustabo ein besonders kostbares Instrument zum Geschenk, eine Geige von Guarneri del Gesù, die nach einem Vorbesitzer den Beinamen „Muntz“ trägt (H. M. Muntz war ein bekannter Instrumentensammler des 19. Jahrhunderts mit Wohnsitz Birmingham). Die Guarneri von 1736 begleitet die Bustabo durch ihre gesamte musikalische Karriere. Das Instrument steht immer unter der besonderen Obhut von Blanche Bustabo, die ihrer Tochter die Geige nachträgt und sie mit Argusaugen bewacht. Heute (seit 1995) befindet sich die kostbare Violine in der Meistergeigen-Sammlung der Nippon Music Foundation in Tokyo, Japan2.
1938 tourt Guila Bustabo durch die Vereinigten Staaten und Australien. Beim Australien-Debüt der Bustabo am 25. August 1938 ist auch der 21-jährige Kunststudent Gough Withlam (Melbourne 1916 – Sydney 2014) anwesend, der später australischer Premierminister werden sollte und als einer der umstrittensten und schillerndsten Politiker seines Landes gilt3. Withlam ist nicht nur von Guila Bustabos Geigenspiel angetan, sondern noch mehr von ihrer mädchenhaften Erscheinung: Er besucht auch die folgenden Konzerte in Sydney und sucht den Kontakt mit der Amerikanerin – immer unter den strengen Augen der Mutter Blanche. Hätte deren dominantes Auftreten nicht den näheren Kontakt verhindert, so wären Guila Bustabo und Gough Withlam vielleicht ein Paar geworden. So aber wird aus der Romanze nichts und der Kontakt bricht ab, als die Stargeigerin Australien wieder in Richtung Amerika verlässt. Diese Episode aus dem Leben der Bustabo ist durch Withlam überliefert; Ähnliches hat sich auf den Tourneen der Bustabo vielleicht öfters abgespielt, aber nie konnte sich Guila aus der Umklammerung ihrer Mutter befreien. Später wird sie einen amerikanischen Militärmusiker heiraten, aber die Ehe wird geschieden.
1938 gehen Mutter und Tochter auf Anraten ihres Tourmanagers Marks Levine und des Mentors Ernest Schelling wieder auf Europatournee – eine fatale Entscheidung, wie sich zeigen soll. Sie erobern gerade die Konzertsäle Nazideutschlands, als der Zweite Weltkrieg ausbricht. Noch ist Guila Bustabo der Jubel des Publikums sicher; noch glauben Mutter und Tochter an eine nahtlose Fortsetzung des fulminanten Siegeszuges der jungen Virtuosin. Sie werden von renommierten Förderern bestärkt: Einer von ihnen ist der Komponist Hans Pfitzner, ein fanatischer Antisemit und Parteigänger der Nationalsozialisten. Er öffnet den Amerikanerinnen in Deutschland Tür und Tor – und sorgt wohl auch für gute Kontakte mit führenden Repräsentanten von Partei und Staat4. Pfitzner bearbeitet für die Bustabo einige seiner Lieder, lässt sie in Fassungen für Violine und Klavier in Druck erscheinen; Guila bewundert den schon hochbetagten Komponisten, der von den Nazis hofiert wird und sich gerne hofieren lässt.
1939 nimmt Guila Bustabo Kontakt mit einem weiteren arrivierten Komponisten auf: Sie schreibt an Ermanno Wolf-Ferrari in München, weil sie dessen Oper „La Dama Boba“ gehört hat und tief beeindruckt ist, insbesondere von einer bestimmten Melodie, von der sie eine Violintranskription erbittet. Es kommt zum persönlichen Kontakt zwischen dem 63-jährigen Komponisten, der übrigens kein Nazi-Sympathisant ist und trotzdem in Deutschland bleibt, und der 23-jährigen Geigerin. Wolf-Ferrari wird zum väterlichen Freund und Förderer; vielleicht entspinnt sich sogar – trotz des eklatanten Altersunterschiedes – eine Liebesbeziehung. Jedenfalls lädt der deutsch-italienische Komponist Blanche und Guila Bustabo ein, bei ihm in München zu wohnen; die amerikanischen Gönner unterstützen die Tournee längst nicht mehr und die Bustabos sind inzwischen ganz auf sich gestellt; umso bereitwilliger nehmen sie das Angebot des neuen Förderers und Bewunderers an, zumal Ermanno Wolf-Ferrari vor allem durch seine viel gespielten Bühnenwerke einer der renommiertesten Komponisten Deutschlands ist. Guila nimmt bei Wolf-Ferrari Unterricht und beide beschließen, in engster Zusammenarbeit ein Violinkonzert zu schreiben – mit dem Anspruch, dass es das „schönste Konzert der Violinliteratur“ werden soll. Das Ergebnis, das Konzert für Violine und Orchester in D-Dur op. 26, ist 1943 fertig. Guila Bustabo tourt in diesen Jahren durch die Städte des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiete; 1942 ist sie in einem von der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ veranstalteten, umjubelten Konzert erstmals in Innsbruck zu Gast5. Sie lässt sich schließlich im November 1943 in Paris nieder. Noch 1944, als der „totale Krieg“ schon mit grauenhafter Konsequenz voranschreitet, ist die Geigerin noch immer auf Konzertreise, um das Wolf-Ferrari-Konzert in Paris, Wien, Berlin und anderen Städten des taumelnden „Dritten Reiches“ mit großem Erfolg zu präsentieren. Erst im Sommer 1944 kommt das deutsche Kulturleben kriegsbedingt völlig zum Erliegen, die Theater und Konzertsäle werden geschlossen. Ihre „politische Zuverlässigkeit“ ermöglicht Guila Bustabo bis zuletzt eine intensive Konzerttätigkeit – und führt dazu, dass sie in Deutschland gleichsam gefangen ist, wie sie später schreibt. Sie wird vom US-Konsulat mehrfach aufgefordert, in die USA zurückzukehren, ignoriert diese Aufforderungen aber grundsätzlich. Später wird sie sich damit rechtfertigen, dass eine Überfahrt über den Atlantik kriegsbedingt zu gefährlich gewesen wäre. Zudem habe sie ja „ihr“ Violinkonzert in Deutschland und den unter deutscher Okkupation stehenden Ländern präsentieren müssen, denn „How could I let another violinist play the premieres of MY concerto?“
Bei der Befreiung von Paris 1944 sind die Bustabos gerade in der französischen Hauptstadt, ihrem Wohnsitz. Im August 1945 stellt ein führender Kommandant der amerikanischen Streitkräfte, Colonel Henry C. Ahalt, Guila Bustabo eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus und sie spielt fortan zur Unterhaltung der Besatzungssoldaten. Dann aber gerät sie ins Visier der Information Control Division (ICD), einer Organisation zur Redemokratisierung der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland mit Mitteln der Propaganda und Zensur6. Nach einem Verhör wird sie auf die Schwarze Liste der ICD gesetzt, erhält also striktes Aufführungsverbot für Deutschland. Es wird ihr vorgeworfen, dass sie der mehrfachen Aufforderung, Nazideutschland zu verlassen, nicht nachgekommen sei; weiters werden ihr enge Kontakte zu Nazi-Größen und zu Wehrmachts-Funktionären attestiert. Schließlich habe sie sogar noch nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor (7.12.1941) mit den Berliner Philharmonikern konzertiert7 und sei mit Sondererlaubnis des Reichspropagandaministeriums aufgetreten. Dass die Gestapo ihr politische Zuverlässigkeit attestiert habe, wird ebenso negativ vermerkt. In einem Artikel in der New York Times wird der Fall Bustabo öffentlich gemacht. Nun ist die Karriere der jungen Geigerin an einem tragischen Wendepunkt angelangt. An eine Fortsetzung ist nicht zu denken, solange ihr Name auf der Schwarzen Liste der ICD aufscheint. Guila Bustabo will sich damit nicht abfinden. Sie schreibt an die ICD eine seitenlange Rechtfertigung, ein hochinteressantes Dokument, in dem sich die Geigerin ausführlich verteidigt8. Bezeichnend für ihre Verteidigungsstrategie sind folgende Passagen aus diesem Schreiben:
Music is my only means of self-expression. I followed this ‘one silver thread’ and now at the end of it I find that Chaos has broken loose around me, condemnin[g] that, which in another century and under other circumstances, would be hailed with laurels. I have never had anything to do with politics in my life. My United States citizenship was always openly advertised and acknowledged at every concert. I have never signed membership with any musical organization. When it was suggested to Finneman that I become a member of the Reichsmusickkammer [!], we refused, which refusal endangered our presence in Germany. […]
Sir, in view of all these extenuating circumstances, I beg your consent to clear me, to take my name off the Black List. Otherwise my career, my dearly bought hard-earned career is ruined forever. My mother sacrificed her whole life for it. I worked every moment of my childhood and girlhood for it.

Ihre Rechtfertigung bringt nicht den erhofften Erfolg; ihr Name bleibt auf der Schwarzen Liste. In der Folge sieht sich Guila Bustabo gewungen, in ihre Heimat zurückzukehren, wo sie zunächst freundlich empfangen wird und wieder öffentlich auftritt, zunächst aber nur in ihrer Heimatstadt Manitowoc und in der Umgebung. Am 10. Jänner 1948 folgte sie einer Einladung zu einem Auftritt bei den Young People’s Concerts der New Yorker Philharmoniker. Dieses Konzert wird zum Skandal: Das American Veterans Committee interveniert beim Veranstalter und verweist auf die Schwarze Liste des ICD, auf der immer noch der Name Guila Bustabo zu finden ist. Auch der Artikel in der New York Times vom November 1945 wird zitiert. Wieder wird der Fall Guila Bustabo in der Öffentlichkeit diskutiert – und wieder ist an eine Fortsetzung der geigerischen Weltkarriere nicht zu denken. Guila Bustabo bleibt offenbar zunächst in Amerika. Sie heiratet 1949 den Militärmusiker Edison C. Stieg (1916–2001), der aber schon in den 1960er Jahren nicht mehr an ihrer Seite ist; 1976 wird die Ehe geschieden. In den 1950er Jahren nimmt sie ihre internationale Konzerttätigkeit wieder auf, aber sie kann nie mehr wirklich an die Erfolge vor 1944 anschließen.

In Innsbruck tritt sie – erstmals nach dem bereits erwähnten Debütkonzert von 1942 – im Jahr 1961 gleich zweimal auf (mit den Konzerten von Beethoven und Sibelius). 1964 spielt sie hier das erste Schostakowitsch-Violinkonzert. Das Innsbrucker Publikum feiert die Geigerin; angeblich ist es die „Sympathie, die ihr entgegenschlug“, die Guila Bustabo dazu bewegt, sich 1964 in Innsbruck niederzulassen – mit Blanche selbstverständlich an ihrer Seite. Vielleicht ist es aber auch die kulturelle Atmosphäre in der Tiroler Landeshauptstadt, die für eine öffentlich als NS-Sympathisantin gebrandmarkte Künstlerin günstig ist? In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts sind noch viele Ex-Nazis an führenden Stellen zu finden. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, übernimmt Guila Bustabo am Konservatorium der Stadt Innsbruck eine Violinklasse. Als Lehrerin ist sie nach übereinstimmenden Berichten ihrer Schüler denkbar ungeeignet9. Sie verfügt über keinerlei methodisches Instrumentarium, gibt ihren Schülern viel zu schwere Stücke in die Hand und kann nicht verstehen, dass man sie nicht auf Anhieb spielen kann. Ihre Unterrichtsmethode beruht auf dem Prinzip, dass sie vorspielt und der Schüler das nachzumachen hat – ohne dass er Hinweise dazu erhält, wie er das technisch oder interpretatorisch bewältigen kann. Obwohl sie ihren Geigenlehrerkollegen (Roland Wisata, Franz Bruckbauer und André Gredler) künstlerisch weit überlegen ist, muss sie zur Fortsetzung ihrer Unterrichtstätigkeit eine Prüfung bei ihrem Kollegen Roland Wisata, dem zweiten Konzertmeister des Innsbrucker Städtischen Orchesters, ablegen. Sie weigert sich, gewisse theoretische Fächer zu absolvieren, und erhält nur ein „Gut“. Als sie 1976 in Innsbruck „ihr“ Wolf-Ferrari-Konzert spielt, nimmt der Rezensent darauf Bezug:
Man vergaß auf die Spekulationen, ob die Bustabo noch auf ihrer kostbaren Violine spielt oder mit einer anderen vorliebnehmen muß, sie würde auch auf einem Zigarrenkistel mit vier Saiten bespannt, wie es ein Musikerkollege sehr treffend ausdrückte, wie ein Engerl spielen. Dabei erhielt sie bei der Reifeprüfung für Geige in unserem Konservatorium nur ein „Gut“. Glückliches Innsbruck, wie müssen erst jene Virtuosen spielen, die mit einem „Sehr Gut“ abschlossen!10

Guila Bustabo spielt auch im Innsbrucker Symphonieorchester, als Stimmführerin der Zweiten Geigen. Dabei ist sie es seit Jahrzehnten gewohnt, als Solistin zu brillieren. Als Tutti-Geigerin ist sie ebenso ungeeignet und überfordert wie als Lehrerin. Sie ist nicht darauf trainiert, Takte zu zählen, will sich nicht unterordnen und sorgt regelmäßig bei den Proben für komische, für sie aber höchst demütigende Situationen. 1970 beendet sie ihre Unterrichtstätigkeit aus Krankheitsgründen: Eine bipolare Störung, die schon 1946 erstmals aktenkundig ist, zwingt sie dazu. Sie tritt zwar noch 1970, 1974 und 1976 als Solistin in Innsbruck auf und wird gefeiert, aber 1976 geht sie endgültig nach Amerika zurück, lässt sich in Birmingham / Alabama nieder und lebt dort zurückgezogen. Sie spielt dort im Alabama Symphony Orchestra. 1986 stirbt ihre „Über-Mutter“ Blanche. Guila Bustabo selbst stirbt 2001 verarmt und vereinsamt in Birmingham.

1  Dieser Beitrag fußt auf Recherchen zu Guila Bustabo in Zusammenhang mit der Ausstellung „Stereo-Typen. Gegen eine musikalische Monokultur“, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 27. April – 28. Oktober 2018. Siehe Franz Gratl, „‚Ich habe in meinem Leben nie Takte gezählt, ich habe immer nur Musik gemacht‘: Auf den Spuren der Stargeigerin Guila Bustabo“, in: Stereo-Typen. Gegen eine musikalische Mono-Kultur, Katalog zur Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 27. April – 28. Oktober 2018, Innsbruck 2018, S. 120–131.
2    www.nmf.or.jp/instruments/eng.html (Zugriff 16.5.2018).
3    Jenny Hocking, Gough Withlam, the Biograpy. A Moment in History, vol. 1, Carlton (Victoria) 2008, S. 68–69.
4    „Für Deutschland entdeckte sie gleichsam Hans Pfitzner, der als ihr Partner mehrere Soloabende in deutschen Großstädten durchführte“; Zitat aus: Ehrentraut Straffner, Ankündigung des Konzertes von Guila Bustabo am 2. Dezember 1942, Innsbrucker Nachrichten, 26.11.1942, S. 4.
5    Vgl. Karl Senn: [Besprechung des Konzertes von Guila Bustabo in Innsbruck am 2. Dezember 1942], in: Innsbrucker Nachrichten, 5.12.1942, S. 5.
6    Vgl. Erwin Wartenkin, The History of U. S. Information Control in Post-War Germany: The Past Imperfect, Cambridge 2016, S. 177–180.
7    Am 11. / 12. / 13. Jänner 1942 spielt sie unter Wilhelm Furtwängler das Bruch-Konzert und am 9. April 1943 unter Eugen Jochum das Sibelius-Konzert. Franziska Gulde-Druet von der Stiftung Berliner Philharmoniker an Karlheinz Siessl, Innsbruck.
8    Brief von Guila Bustabo an George S. Patton, den kommandierenden General der dritten US-Armee, aus Paris, 12. April 1946, zitiert nach einer Abschrift im Archiv des New York Philharmonic Orchestra.
9    Diese Angaben beruhen auf Interviews mit den Bustabo-Schülern Mag. Siegfried Singer und D. Magnus Roth sowie
Dr. Heinz Kofler, der in dieser Zeit am Städtischen Konservatorium Geigenunterricht erhielt.
10    N. C., Rezension in der Tiroler Tageszeitung,
Nr. 287, 11.12.1976, S. 25.

 

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