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Fließtext*
Von Ann Cotten1

Muren
Murren
Murˇen
無женњ

schen. zhen.


In der Evolution der Sprachen wird oft r zu s oder umgekehrt, es wird verschliffen, oder es wechseln passive und aktive Perspektive. D macht dieses Geräusch vom tschechischen rˇ, wenn sie auf einem Bürostuhl oder Rollstuhl durchs Zimmer gleitet auf einer unfug-related Mission, wie dieser Satz von Joseph Conrad „like a she-goat on some unholy mission“, also wenn dieser Buchstabe im Raum erklingt, weißt du, es ist was los, jetzt geht was, jetzt geht was ab, eine neue Idee wird angegangen, etc. Nu. Wirst du gezogen, oder wirst du geschoben, schiebst du gar? Murrst du, oder zögerst du? Das hängt davon ab, ob du die Hände an den Kontrollen hast, oder eher mitgerissen wirst von etwas, zu dem du dir erst im Fall, im Fallen eine Meinung bildest.
Der Einfluss einer Person kann sehr stark werden, ist vielleicht vergleichbar mit dem weichen Teil eines Käsekuchens, der auf dünnen Boden einer seriösen Künstlerpersönlichkeit fällt. Mich interessieren aber Murenschutzmaßnahmen. Auch Asphalt. Irrwitzige Asphaltierungen, zusammengehalten durch riesige Schraubzwingen. There are several incredible positions. Es wird tief in die Erde oder den Stein gebohrt, und irgendwann ist wahrscheinlich tief genug, um ein Gegengewicht zur Gelegenheit zu binden.
Erfahrungswerte treffen auf Messwerte, die einander bestätigen, oder korrigieren.
Interessant ist es, wenn man unten vorbeigeht an diesen riesigen Zurückhaltungsmaßnahmen, die auch im Alltag nicht weiter auffallen, wenn man damit aufgewachsen ist. Eine Frage, sind sie erkletterbar? Also sind sie so designt, dass sie dem Tritt helfen zu klimmen? Oder ist das keine Überlegung gewesen. Sind sie dauerhaft? Oder nur auf Zeit?
Ganze Städte sind ja eigentlich auch unglaubliche Abdeckungsmaßnahmen, zum Teil, fragile Zufallsträgheiten, Bitumenteppiche. Darunter wird der Boden weggewaschen. Tote Ratten leben da. In Räumen zwischen soll und ist. Hallen. Palästen.
Die Farbe von Muren ist bewunderungswürdig. So etwas Cremiges, Schweres, gut Durchmischtes. Schwarzer Sesampudding erinnert daran.
Muren und Lawinen. Wie Milch und Kaffee. Lawinen sind auch oft sehr dreckig. In Miniatur zu beobachten an den Straßenrändern. Kleine Schulen der Physik. Yung Murn. Um auf die Kunst zurückzukommen. Eins führt zum anderen, eine gute Arbeit, ein glücksgeküsster Einfall, und man wird zum Maskottchen der Szene, die anderen wollen auch eine, die ökonomischen Dynamiken des Kunstmarkts führen dazu, dass Aufbau von Künstlernnnie2 wie der Vorbereitung von winning streaks dient, wie das Bauen von Hürden für Downhill-Biker, während sie parallel an ihren Skills feilen, sodass wenn die Chance kommt, es geht immer bergab, und da will man im richtigen Moment am richtigen Ende des Bergs sein. Aber dann bleibt es kurz darauf wieder stecken, wie auf der Rodel in zu tiefem Schnee, bei zu wenig steilem Gefälle. Du kannst keine schlechter bezahlten Aufträge mehr annehmen, du darfst keine Bilder mehr um 500 Euro verkaufen. Auf der Schattenseite des Bergs ist nur gut fläzen, wenn man Sonne im Herzen hat und Eltern am Konto. Altsein steigert sich in einen Feedbackknäuel. Daher braucht man Musen, um das auszubügeln, schwere, auf einen drauf fallende.
Sprache ist Messer. Zacken. Man tritt falsch drauf und sie fährt einem ins Gesicht.
Abschweifen zu anderen Unglücksfällen.
Ohne Absätze ist es unmöglich zu schreiben, es ist ohne Skepsis auch eine Frage der fehlenden Motivation, Ekel zu überwinden, ich muss immer stehenbleiben, um zu kotzen, scheiß Buchstaben, dann geht es wieder weiter. Es gibt aber null Motivation, den Ekel vor schlechter oder sinnloser Textproduktion zu überwinden, null. Es wäre so, egal, begraben mich 1000 Tonnen Schnee, macht nichts, gute Nacht. Wer vor Entsetzen aber auch Reuegefühlen, Gefühlen der Peinlichkeit, die gegen alle Beruhiger und Beschwichtiger – nein, das Klima erwärmt sich nicht, nein, die, die dich nicht unendlich begehren, haben nicht Gründe dazu, sind Idioten, nein, deine Beschwichtiger sind nicht Abhängige, die dich in Watte hüllen, Yes-Men, die nicht einmal drauf lauern, dass du ihnen einen Platz unter der warmen Decke gibst, die nur aus Gewohnheit und aus demselben Narzissmus wie du ihrer Umgebung immer das Gefühl geben, charmant zu sein, auch wenn sie plump und ungeschickt ist, sind, ja, nein, nein.
So auf die Nase gefallen also, und wartend auf die rettende Lawine, mitten im Sommer, es kommen nur trockentrainierende Skispringer eines physikalischen Experiments, die sich auf dich draufstapeln wie kleine Bleifiguren, Mikadostäbe, wo Mikado doch so etwas wie Prinzenanwärter war, Prinzenanwärter, ja warum nicht, any way the wind blows. Sollen sie kommen, Prinzenanwärter, Surfer auf dem Sprachunterschied.
Nochmal umgefallen also, in die offenen Tore der Online-Auskünfte hinein, immer unschuldig wie ne Hummel-Figur, born yesterday, der Weg der Mandarine, ach, wieviel Kitsch-Quatsch blieb denn wohl noch von asiatischen Monarchien? Mikan, süße Zitrusfrüchte purzeln in Visionen durch heilige, wohl rote Tore, begraben mich, bitte, wie die Kugeln der Kinderbetreuungsanlagen, wie die heiligen Hallen von Pachinko, ich ein einziger Korb, ein Wäschekorb voller Geld, glückliche Fälle, glückliche Falle, der umfallende, umwerfende Zufall von Freunden von Freunden, von nichts anderem möchte ich begraben werden.
Pinball Wizard. Das Glück, es schmeichelt dir, du könntest leben, du würdest gemocht. Du weißt, du bist von der Gunst des Glücks abhängig, auch in deinen Fähigkeiten. So leicht könnte alles plötzlich in 2D sein. Plötzlich könnte dich niemand verstehen. Du könntest plötzlich alt sein, alles, was du anfasst, irgendwie aus der Mode, deine Freunde mit anderem beschäftigt, und zu ängstlich, mit dir gesehen zu werden, es könnte ihre Karriere ruinieren, und sie gehen vorbei, und du willst sie stoßen wie Max Frisch, die Treppe hinunter, willst ihnen Worte zischen, die sie auch unsicher machen, die den Fluch weitergeben, aber du tust es nicht, du bist eine Mauer, die das Unglück staut. Du bist nicht mit Unglück assoziiert. Erst wenn dein Leben so aufquillt, dass es den Asphalt sprengt, die Schrauben aus dem schon nicht mehr Stein zu nennenden Material springen, und sich der ganze Inhalt des Bergs auf das blöde glückliche Dorf ergießt, sehen sie, wovor du sie die ganze Zeit bewahrt hast.
Eine mechanische Schreibmaschine läuft mit ihrer Schwere gegen eine nicht loszulassende Kontrolle, die daher kommt, dass nichts sich von selbst kontrolliert, aber die Schwerkraft ist verlässlich. Wer sich gegen sie in den Tag stemmt, trainiert ganz ohne Absicht.
Die Trägheit, meinerseits, ist die der Luft, hier wächst nichts, nur vom Boden herauf. Weil hier in der Luft, hier kann.

— * Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird.
— Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.

1 In diesem Fall hat die Autorin auf Absätze als Maßnahmen zur Innehaltung bestanden. Als Begründung gibt sie an, dass sie auch als Skifahrerin immer wieder auf Buckeln kurz innehält, um sich zu orientieren und den Rausch der Abfahrt kognitiv transluzenter zu machen.
2   polnisches Gendering: alle für alle Geschlechter notwendigen Buchstaben in gefälliger Reihenfolge ans Wortende

 

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