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Holzabfall, Nummer 44014090

Ein in Kalifornien aufgewachsener Künstler österreichischer Herkunft zwischen Waldbränden, Beatnik-Poeten, Corona-Beschränkungen, Tiroler Moderne und historischen Bauernstuben. Ein Tagebuch und Making-of der im Tiroler Volkskunstmuseum gezeigten Ausstellung „Im Schein von Rauch und Flammen“. Von Florian Raditsch

Mein Tagebuch beginnt gegen Ende eines sehr merkwürdigen, beispiellosen Jahres. Der erste Eintrag, akribisch datiert mit dem 20. November 2020, ist eine schnörkellose Beschreibung des Tages, konkret:

„Ateliertag. Den ganzen Tag damit verbracht, den Himmel auf dem Sequoia-Bild zu zeichnen. Kurze Unterbrechung, um alle Stifte zu spitzen – keine Mittagspause. Lange über die zwei Gespräche nachgedacht, die ich gestern hatte. Viel zum Überlegen.“

Dieser Eintrag ist erklärungsbedürftig, wie alles, was ich jetzt erzählen werde. Lassen Sie mich daher etwas früher beginnen und schildern, wie alles gekommen ist, bis zu diesem Augenblick, da ich in einer Wohnung in Florenz mit Blick auf den Arno diese Zeilen schreibe.

Vor einigen Jahren wurde mir eine Ausstellung meiner Arbeiten in den Tiroler Landesmuseen angeboten, genauer gesagt, in ihrem wirklich einzigartigen Haus, dem historischen Tiroler Volkskunstmuseum im Herzen von Innsbruck. Es dauerte dann mehrere Jahre, bis das Projekt bestätigt und dann noch einmal bestätigt wurde; es gab Komplikationen im Museum, unter anderem die Bestellung eines neuen Direktors und noch einiges, auf das ich hier nicht eingehen muss. Nachdem so viel Zeit vergangen war, kamen mir Zweifel, ob die Ausstellung überhaupt stattfinden würde, und ich konzentrierte mich mehr auf andere Projekte. Und dann wurde ich eines Tages völlig unerwartet (ich hatte das Projekt schon fast vergessen) wieder nach Innsbruck eingeladen, zu einer „endgültigen“ Bestätigung und ersten Besprechung – und damit ging’s los!

Das ist der Zeitpunkt des obigen Eintrags auf der ersten Seite meines Ateliertagebuchs, einem kleinen Notizbuch mit schwarzem Ledereinband, auf dem das elegante Falcon-Heavy-Logo von SpaceX eingeprägt ist.

Zurück von der erwähnten Besprechung wieder in meinem Atelier in Wien stellte ich alles andere zurück und stürzte mich kopfüber in die Vorbereitungen für die Ausstellung in Tirol. Die erste Arbeit, und wahrscheinlich die wichtigste für das Projekt, war die am 20. November erwähnte Kohlezeichnung.

Vier Tage später notierte ich den nächsten bedeutsamen Schritt: Mein Freund, der Künstler Terrance Reimer in Kalifornien, erklärte sich nach mehreren Videotelefonaten über Signal bereit, mir etwas Spezielles für die Ausstellung zu besorgen. Das verheerende Creek Fire in Kalifornien, das im September 2020 ausbrach (Terrance hatte Glück, das Feuer verschonte sein Haus nur knapp), verbrannte fast 153.000 Hektar Land in der Sierra Nevada und ihren Ausläufern. Ich wollte ein Relikt dieses Ereignisses haben, und Terrance machte es möglich. Er baute eine Transportkiste, fuhr nach Shaver Lake und suchte an dem Hang, wo früher der Cressman’s Store stand, mehrere schöne, große, verkohlte Rindenstücke von Ponderosakiefern zusammen. Diese Stücke habe ich, als sie dann endlich in Wien ankamen, zu Masken verarbeitet, die aus mehreren Gründen in der Ausstellung von Bedeutung sind. Erstens sind sie, wie erwähnt, Relikte eines großen historischen Ereignisses, und zweitens werden sie – wie sie die Betrachtenden aus leeren Augenhöhlen anstarren – auch als eine Art Memento Mori fungieren. Die verkohlte Rinde aus Kalifornien steht auch in einem unheimlichen Kontrast zu den historischen Holzstuben in Innsbruck, wo die Masken präsentiert werden, und projiziert so eine Situation von Dürre und Naturkatastrophen – eine Art Vorahnung, wenn man so will – nach Tirol, an einen Ort, an dem so etwas noch immer unmöglich scheint.

Am 25. November verweist mein Tagebucheintrag auf den Stand meiner Zeichnung, erwähnt weiteres Bleistiftspitzen und dass Rosanna Dematté, die Kuratorin der Ausstellung, mehrere Treffen arrangiert hat, unter anderem mit einem Professor der Universität Innsbruck im Archiv für Baukunst, mit dem ich diskutieren und mehr Einblick in die Architektur der Tiroler Moderne erhalten könnte. Am 27. November notierte ich neben einigen banaleren Einträgen einen Satz, den jemand von einem Gespräch mit Slavoj Žižek referiert hatte: „Masken können mehr über dich verraten als dein wahres Gesicht“.

Drei Tage später war die Kiste aus Kalifornien mit der Kiefernrinde immer noch nicht abgeschickt worden. In dieser ganzen Zeit befand ich mich, wie das übrige Österreich, im Lockdown. Die Aufhebung dieser Sperre, zumindest in Teilen des Landes, war für die erste Dezemberwoche geplant. Für mich war das zwar nur deswegen von Bedeutung, weil ich hoffte, zu Besprechungen nach Innsbruck fahren zu können. Ich war tagein, tagaus im Atelier und konnte mich so von den befremdlichen Covid-Vorgängen ablenken, obwohl ich jeden Tag die Nachrichten verfolgte – sowohl für Österreich als auch für die USA.

Die folgenden Wochen sind meist von zweizeiligen Einträgen geprägt, wie zum Beispiel am 3. und 4. Dezember:

„Habe den ganzen Tag mit (Zeichnen der) Wolken verbracht. Es ist 19:48 und ich gehe nach Hause.“

„Heute den Hügel gezeichnet. Sehr langer Tag und so viele Striche.“

Am 11. Dezember hatte ich ein erstes Treffen mit der Tänzerin Magali Moreau, die sich zu einer Performance für die Ausstellung bereit erklärt hatte. Magali ist eine Freundin und professionelle Tänzerin, die unter anderem an der Oper Graz beschäftigt war. Wir sprachen über die Darstellung von Feuer im Tanz und die historischen Bezüge, die ich in ihre Performance einbringen wollte. Ihr Tanz soll eine hypnotisierende hologrammartige Projektion im Dunkel der ersten Stube am Anfang der Ausstellung sein. Der Tanz verweist nicht nur auf die Kunstgeschichte und die zackigen Bewegungen des Expressionismus, sondern ist auch als eine Art Danse macabre oder Totentanz zu verstehen und folgt dabei dem zeitlichen Ablauf eines Lauffeuers. Es beginnt mit einem Funken, der zu einem unkontrollierbar wütenden Brand wird, bis er sich endlich erschöpft und gelöscht ist, wobei Magali schwer atmend entschwindet und nichts zurücklässt als Dunkelheit und Totenstille.
Am nächsten Tag fuhr ich für eine Woche zu Meetings nach Innsbruck.

Innsbruck war ungewöhnlich ruhig und düster für die Adventszeit. Ohne die üblichen Touristenmassen war die Stadt bei meiner Ankunft grau, aber am Abend wurde die Nordkette sichtbar, und der schneebedeckte Gebirgskamm leuchtete in der blauen Dämmerung. In meinem Tagebuch wird der Sonnenuntergang eigens erwähnt. Ich war im Stadtteil Saggen in einer Wohnung mit großen Fenstern untergebracht, und der Blick auf die verschneite Nordkette, die im letzten Licht in einen goldenen Schein getaucht war, war spektakulär.

Der nächste neblige Morgen und die darauffolgenden Tage verschwammen in intensiven Diskussionen und Entscheidungen. Sie beinhalteten auch einen Besuch im Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen in Hall in Tirol. Ich war begeistert von den riesigen Sammlungen des Museums, wo ich Objekte, vor allem Gemälde, in ihrem Depot besichtigen konnte, darunter einige der größten Hits des Landesmuseums – gewaltige Werke von Albin Egger-Lienz und vielen anderen. Am selben Tag suchten Rosanna und ich eine nahe gelegene Tischlerei auf, wo ein Mann kurioserweise verriet, dass er die Frösche von Martin Kippenberger hergestellt hatte.

Die Moderne und die modernistische Architektur ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung, vor allem in Gegenüberstellung mit den Gegenentwürfen zur Moderne, wie dem „Authentischen“ und dem „Lokalen“. Das Tiroler Volkskunstmuseum, ein Produkt der 1920er Jahre, in denen das Lokale vor dem Internationalen favorisiert wurde, passt perfekt zu diesem Konzept einer konstruierten Authentizität. Es ging mir daher darum, diese Aspekte in der Ausstellung zu beleuchten, und ich griff dazu auf ein mir sehr vertrautes (architektonisches) Beispiel zurück, nämlich das Ahwahnee Hotel im Yosemite National Park in Kalifornien, und als Gegenpol im Alpenraum das Hotel Drei Zinnen in Südtirol.

Am 17. Dezember fuhren Rosanna und ich nach Italien, nach Sexten, um das besagte, 1929 fertiggestellte Hotel von Clemens Holzmeister zu besichtigen und den Geist dieser Art des Modernismus in den Alpen noch besser zu erfassen. Frau Watschinger, die Besitzerin, war sehr betrübt, dass ihr Hotel aufgrund der Covid-Beschränkungen geschlossen war, führte uns aber freundlicherweise durch das Gebäude. Sie hat zwei verschiedenfarbige Augen.

Ebenfalls ein wichtiger Teil unseres Ausflugs waren die Arbeiten des Sextener Künstlers Rudolf Stolz. Seine Bilder sind überall in der Stadt zu sehen, und um zur Kirche und zum Friedhof zu gelangen, muss man an seinen einzigartigen, schlaksigen Skeletten vorbei, die uns in dem Rundbau am oberen Ende der Treppe an unsere Sterblichkeit gemahnen. Der letzte Satz meines Tagebucheintrags von diesem Tag lautet: „Keine Probleme bei der Rückkehr nach Innsbruck. Grenze noch offen.“

Im Atelier notierte ich am letzten Tag des Jahres: „Kurzer Arbeitstag mit Zeichnen. Gutes Neues Jahr! Möge es ein besseres werden!“

Eine Woche später, am 7. Januar, steht in meinem Tagebuch nichts über Zeichnen oder Raumgestaltung oder Komposition, sondern etwas ganz anderes, nämlich „Letzte Nacht stürmten Pro-Trump-Idioten das Capi-
tol in DC! Das ist nicht mein Amerika! Was für eine Schande!“

Mehr als eine Woche und viele Kohlestriche später traf ich mich erneut mit Magali, um eine erste Choreografie ihres Tanzes auszuarbeiten, und schrieb zufrieden: „Sie versteht genau, worauf ich hinauswill – ich freue mich darauf, das weiter zu entwickeln.“ Am folgenden Abend, nach einem weiteren langen Tag im Atelier und genervt davon, wie lange die Fertigstellung des Bildes dauerte, schrieb ich auch: „Heute hat die österreichische Regierung verkündet, dass sie den derzeitigen Lockdown, der nächste Woche hätte enden sollen, verlängern wird. Jetzt sperren wir bis zum
7. Februar zu!“ Drei Tage später, am 20. Januar, steht hier der folgende wichtige Satz: „Joe Biden ist der neue Präsident der USA!“

Im Grau des 3. Februar, zu Beginn des deprimierendsten Monats in Wien, konnte ich in meinem Tagebuch erfreut festhalten, dass ich die im November begonnene Zeichnung fertiggestellt hatte. Etwa zu dieser Zeit begann ich eine Odyssee, um mit Gary Snyder, dem legendären Beat-Poeten, den Jack Kerouac in seinem Buch The Dharma Bums (auf Deutsch: Gammler, Zen und hohe Berge) als Japhy Ryder verewigte, in Kontakt zu treten. Der Grund für meinen Wunsch war, dass eine Zeile aus seinem Gedicht Smokey the Bear Sutra als Titel der Ausstellung in Innsbruck fungierte: with a halo of smoke and flame behind bzw. in der deutschen Version Im Schein von Rauch und Flamme. Dieses ganz besondere Gedicht aus dem Jahr 1969 stellt Smokey den Bären, das berühmte Brandschutzmaskottchen des National Park Service, als Buddha-ähnliches Wesen dar, das alle warnt, die die Erde durch Verschmutzung und Gier zu zerstören trachten. Die Beatniks begleiten mich seit meiner Jugend, und mit meinem Freund Terrance teile ich seit langem die Begeisterung für ihre spontan-emotionale Literatur. Terrance kannte auch den Dichter Lawrence Ferlinghetti, mit dem er sogar für Fotoportraits nach Italien reiste. Die Poesie der Beat Generation in die Ausstellung einzubeziehen war für mich absolut schlüssig, nicht nur wegen des inhärenten kraftvollen Geistes der Gegenkultur, sondern auch, im Falle von Gary Synders Werk, wegen seiner Naturverbundenheit und des tiefen Verständnisses für die natürliche Landschaft und die Umwelt.

Am 15. Februar machte ich mich wieder auf den Weg nach Innsbruck, allerdings nicht auf der üblichen Route über den deutschen Korridor durch Bayern, sondern über den langen Umweg über Bischofshofen, Kitzbühel und Wörgl, da es hieß, dass Deutschland einen strikten Lockdown verhängt habe und der Grenzübertritt schwierig, wenn nicht unmöglich sein würde. Auch dieser Besuch in Tirol war intensiv und fruchtbar, und ich sah zum ersten Mal das Filmstudio in Hall in Tirol, wo wir letztendlich Magalis Tanzperformance vor einer riesigen grünen Leinwand filmten. Dank Rosanna, die mich in die Olympia-Halle in Innsbruck begleitete, bekam ich meinen negativen Covid-Test, so dass ich auf dem kürzeren Weg über Deutschland nach Wien zurückkehren konnte. Am folgenden Tag notierte ich: „… wurde dreimal an den Grenzen angehalten, um meine Covid-Testergebnisse vorzuzeigen. Ich hatte keinen Pass, aber die Polizei war freundlich und ließ mich durchfahren – ich glaube, sie merkten, dass ich einfach nur dringend nach Hause wollte.“
„Heute immer noch keine Spur von der Kiste. Was ist da los?“ Terrance hatte die wertvolle Fracht Kiefernrinde in der ersten Februarwoche abgeschickt, doch bis zum 23. Februar hatte es außer der Meldung, dass sie sich in Memphis, Tennessee, und daraufhin in Köln befunden hatte, keine Nachricht über ihren Verbleib gegeben. Am 24. hieß es dann, die Kiste sei vom Zoll in Wien freigegeben, allerdings war unklar, wohin sie geliefert würde, ob zu mir nach Hause oder ins Museum nach Innsbruck. In der Zwischenzeit versuchte ich immer noch, neben intensiver Arbeit im Atelier, Gary Snyder in Kalifornien zu erreichen. Terrance meinte, dass eine gewisse Rita Bottoms helfen könnte, aber diese Spur führte nicht sehr weit. Am selben Tag stand in der New York Times die Nachricht, dass Lawrence Ferlinghetti im Alter von 101 Jahren in seinem Haus in San Francisco gestorben war.
1. März: „Die Kiste fehlt immer noch – wurde noch nicht zugestellt!“
2. März: „Kiste ist immer noch nicht da. Anscheinend hat sie den Zoll noch NICHT verlassen.“
Am 3. März immer noch keine Kiste. Nachdem ich in den letzten Tagen mehrere Stunden am Telefon mit österreichischen Zollbeamten verbracht hatte, schien ich jetzt voranzukommen und hatte eine Beschreibung und Zolltarifnummer für meine Sendung: Holzabfall, Nummer 44014090. In der Zwischenzeit beschäftigte ich mich intensiv mit meiner aktuellen Zeichnung, einer Komposition, die zwei Klapperschlangen zeigt, die hinter einem Mann durch ein Gewässer schwimmen.

Am 10. März wurde die Kiste endlich ausgeliefert, allerdings an das Museum in Innsbruck und nicht wie vereinbart an mich in Wien. Es dauerte bis zum 18. März, bis sie bei mir zu Hause war, und als ich den Deckel aufstemmte, empfing mich ein Geruch, wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte. Mein ganzes Atelier war in diesen Waldbrandgeruch getaucht, der erst nach mehr als drei Tagen langsam abklang.

Am 1. April, wie ein schlechter Aprilscherz, der nächste Lockdown. Verstimmt und besorgt schrieb ich an diesem Tag: „Die zweite Klapperschlange gezeichnet – es fühlt sich an wie ein Symbol oder Omen. Die Welt steht still, zumindest in Österreich. Was mache ich hier eigentlich?“

Hilary, in meiner Jugend in Kalifornien meine beste Freundin, hatte eine Idee, wie ich Gary Snyder erreichen könnte, und ich war überrascht, dass mir das nicht früher eingefallen war. Tom Killion, ein fantastischer Künstler, hatte mehrfach mit Snyder zusammengearbeitet und seine Gedichte in sehr schönen Büchern illustriert, und ich hatte in meiner Jugend in der Sierra Nevada im Florence-Lake-Laden (den Hilarys Familie besaß und betrieb) diese Bücher an Touristen und Wanderer verkauft. Sofort ging ich daran, Tom zu kontaktieren. In der Zwischenzeit, am 12. April, hatte ich notiert, dass ich am vorangegangenen Wochenende im Burgenland gewesen war, wo ich mit der fachkundigen Hilfe meines Großvaters aus der verkohlten Kiefernrinde aus Kalifornien sieben bedrohliche Waldbrandmasken gemacht hatte.

Am nächsten Tag kam die Antwort von Tom Killion. Zu meiner Bestürzung schrieb er: „Gary Snyder wird 91 Jahre alt und ist gesundheitlich nicht mehr in guter Verfassung.“ Ich hoffte immer noch, irgendwie seinen Segen für meine Ausstellung zu bekommen, und wollte ihm mitteilen, wie sehr er mich inspiriert hatte, und ihm meinen Dank aussprechen. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, ihn doch noch zu erreichen. Am nächsten Abend schrieb mir Tom wieder. Er hatte alle meine Nachrichten weitergeleitet und meinte, Gary würde vielleicht sogar antworten, wenn ihm danach war. Bis zum 22. April hatte ich immer noch nichts von Gary Snyder gehört, und ich muss leider sagen, dass alle Bemühungen, ihn zu erreichen, ergebnislos blieben. Ich stelle ihn mir vor, wie er sich in seinem Haus in den Bergen in der Nähe von Nevada City versteckt hält, heiter und gelassen, in seliger Abgeschiedenheit von der Welt und von Covid, unberührt von den Absonderlichkeiten dieses und des vergangenen Jahres.

Die Klapperschlangenzeichnung wurde am 5. Mai fertiggestellt, und in den folgenden Tagen und Wochen wechselte ich von Kohlezeichnungen zu Pastellarbeiten. Auch die Tanzperformance mit Magali schritt voran. Wir sprachen ausführlich über ihre Choreografie, und ich sprach über die Gewalt, mit der Waldbrände eskalieren und alles verwüsten. Am 12. Mai war ich erfreut zu hören, dass Vertreter der US-Botschaft sich für meine Ausstellung interessierten und einen Besuch in meinem Atelier planten. Ich hatte gehofft, ihre Unterstützung und hoffentlich auch einen finanziellen Zuschuss aus dem Austrian-American Partnership Fund zu erhalten, der (wie mich Rosanna vor kurzem erinnert hatte) dringend notwendig war, um einige wichtige Elemente der Ausstellung finanzieren zu können. Der Besuch von der Botschaft kam am 9. Juni, und ich hatte Tag und Nacht daran gearbeitet, ihnen so viel Ausstellungsmaterial wie möglich zu präsentieren. Eine Woche später bewilligte der Austrian-American Partnership Fund eine großzügige Summe für die Ausstellung, und ich war sehr dankbar und erleichtert. Am selben Tag traf sich Joe Biden zum ersten Mal (seit seinem Amtsantritt) mit Wladimir Putin in Genf.

Am Abend des 18. Juni schrieb ich über die Pastellzeichnung, die ich gerade fertiggestellt hatte, und dann: „Anscheinend stammt das Coronavirus doch aus einem Labor in Wuhan – wer hätte das gedacht? Ich bin müde und mit Pigmentstaub bedeckt – ich gehe nach Hause“.

Am 25. Juni begann ich mit der dritten und letzten Kohlezeichnung für die Ausstellung. Rosanna hatte mir am Telefon gesagt, dass es gut aussehe und alles für die Ausstellung vorbereitet sei. Sie hatte einen Termin für die ersten Aufnahmen von Magalis Tanz im Studio in Hall in Tirol vereinbart. Nach einem letzten Durchlauf mit Magali waren wir so weit, im Juli mit den Dreharbeiten beginnen zu können. Zur gleichen Zeit wurde die Lage in Kalifornien wieder einmal heiß und geriet außer Kontrolle; am 13. Juli steht in meinem Tagebuch:

„Vor ein paar Tagen brach in Kalifornien das River Fire aus und ist heute Morgen schon auf über 4.000 Hektar Größe angewachsen – Hilarys (Winter-)Ranch in Ahwahnee ist in großer Gefahr. Alle Bewohner von Bailey Flats wurden evakuiert, auch Hilarys Vater, der durch die Flammen den Acton Grade hinauffuhr. Wir beten, dass alle in Sicherheit sind und die Häuser und Tiere verschont bleiben. Hilary hat heute nicht geantwortet – ich hoffe, sie meldet sich bald und lässt mich wissen, was los ist.“

Am 16. Juli fuhren meine liebe Verlobte Anna, Magali und ich nach Innsbruck.

An einem grauen, regnerischen Morgen traf sich unsere kleine Truppe mit Rosanna in Hall, um Magali zu filmen. In Erwartung eines schwierigen Drehs war ich überrascht, wie mühelos die Aufnahmearbeiten verliefen. Magali gab natürlich eine umwerfende Vorstellung, die Kameras fingen alles ein, und ich saß da und war verblüfft, wie ein solches Unterfangen so reibungslos vonstattengehen konnte. Die Ereignisse des Tages wurden anschließend mit einem köstlichen Essen in einer Tiroler Zirbenstube gefeiert. Am nächsten Nachmittag kehrte Magali mit dem Zug nach Wien zurück, und ich verbrachte die folgenden Tage wieder in Meetings. Ich merkte, wie diese Besprechungen mir und auch Rosanna zu schaffen machten. Es war eine echte Erleichterung, als Rosanna und ich uns am Morgen des 21. in der Stille der Morgensonne im Tiroler Volkskunstmuseum zusammensetzten. Wir besprachen „Titel, Gedichte und die Brände in Kalifornien. Wir gingen auch eine Liste mit Dingen durch, die noch zu erledigen waren, bevor wir mit dem Aufbau der Ausstellung beginnen konnten.“ Nach fast neun Monaten näherten wir uns dem Ende der Vorbereitungsphase und ich fühlte mich erleichtert – und müde. Am Nachmittag, nachdem wir unsere Sachen im Schloss Büchsenhausen, wo wir wohnten, zusammengepackt hatten, verabschiedeten Anna und ich uns in der Weiherburggasse von Rosanna. Das nächste Mal, wenn ich am 23. August nach Innsbruck zurückkehre, ist dann das letzte Mal. Wir werden mit dem Aufbau der Ausstellung beginnen und hoffentlich rechtzeitig zur Eröffnung am 9. September fertig sein.

Coda

Und wie kam es, dass ich diese Zeilen in einer Wohnung in Florenz mit Blick auf den Arno schreibe? Nach monatelangen Vorbereitungen und natürlich etlichen Lockdowns haben Anna und ich die Gelegenheit ergriffen, Österreich zu verlassen und eine Auszeit in der Toskana zu nehmen. In dem knappen Zeitfenster, bevor die Vorbereitungen in Innsbruck beginnen, mit ein wenig „Bella Vita“ und in einer so inspirierenden Umgebung konnte ich mit Hilfe meines kleinen schwarzen Tagebuchs die Monate bis zu diesem Zeitpunkt Revue passieren lassen. Während die Sonne hinter dem Ponte Vecchio über dem Arno untergeht, drücke ich auf „Speichern“. Noch immer in die Erinnerungen an die vergangenen Monate versunken und gleichzeitig dankbar, in dieser wunderschönen, historischen Stadt zu sein, klappe ich den Laptop zu und mache mich auf den Weg zum Abendessen.



(Übersetzung aus dem Englischen: Margit Pümpel)

 

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