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Brennergespräch (27): „Ränder und Zwischenzonen haben unglaubliche Potentiale.“

So viele Leute fahren über die Alpen. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause mit Gespräch. Folge 27: Andreas Hofer, Intendant der im Jahr 2027 in Stuttgart stattfindenden Internationalen Bauausstellung (IBA), im Interview mit Ingeborg Harms. Der Architekt und Städteplaner wurde mit dem genossenschaftlichen Stadtquartier „mehr als wohnen“ in Zürich international bekannt und ist ein Experte für partizipative Prozesse im Wohnungs- und Siedlungsbau. Andreas Hofer steht für kreative, gesellschaftlich reflektierte Bestandserweiterung, die Neunutzung vorhandener Industrie-Areale, Multifunktionalität, eine bunte Durchmischung der Bewohner, Erlebnisdichte und den Abschied vom Typ der Kleinfamilien-Entitäten.

Ingeborg Harms: Sind Sie aus Vernunft oder Leidenschaft Architekt geworden?

Andreas Hofer: Aus Resignation. Ich war als junger Mensch zwischen Philosophie und Architektur hin- und hergerissen. Dann kam die Einsicht, dass man sich schmutzig machen muss, wenn man die Welt retten will.

I. H.: Sie haben keine Karriere zum Star-Architekten eingeschlagen, sondern lieber den Bestand vorhandener Siedlungsstrukturen gesichtet. Ist der postmoderne Architekt der optisch starken Eindrücke ein Feindbild?

A. H.: Vielleicht war ich einfach zu wenig begabt. Ich bin mit Ihrem Begriff der Postmoderne auch nicht einverstanden. Viele aktuelle Herausforderungen, das Collagenhafte, das Eingehen auf den Bestand und das Akzeptieren der Heterogenität der Welt sind postmoderne Motive. In der Ausbildung war ich die letzte Generation der Hardcore-Modernisten. Deshalb war es für mich ein persönliches Drama, zu bemerken, dass eine Zeit zu Ende ging, aber die neue noch nicht greifbar war.

I. H.: Unter der Leitung Mies van der Rohes entstand 1927 in Stuttgart die Werkbund-Siedlung Weißenhof, die im Jahr der IBA ihren 100. Geburtstag feiert und als wesentliches Beispiel für das Konzept der experimentellen Wohnsiedlungen gilt. Sehen Sie sich in der Tradition?

A. H.: Weißenhof gilt als eine der bedeutendsten Architektursiedlungen der Neuzeit und ist keine gewachsene Siedlung, sondern das Resultat der Ausstellung „Die Wohnung“. Der Besuch dort war ein Schlüsselerlebnis für mich, ein großartiges Manifest des Aufbruchs … was da in einer kurzen Zeitspanne in den 1920er Jahren passierte! Ich unterscheide zwischen der ursprünglichen Vision des Weißenhofs, das Leben in den Städten zu verändern, und der monofunktionalen Einfamilienhaus-Siedlung, als die er sich heute präsentiert. Aber in der Haltung, dem Mut, der Geschwindigkeit, mit der das damals passiert ist, spürt man die aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrte Generation, die sich traumatisiert eine neue Welt aufbauen wollte. Da gibt’s gewisse Parallelen zu unserer Zeit jetzt. An der Moderne faszinierte mich das Rationale, dass man sagte: Wir sind kein Stil, wir sind Ausdruck einer Zeit. Daran anknüpfend frage ich mich: Können wir in den Herausforderungen heute auch eine neue Formensprache finden?

I. H.: Die Moderne entwarf viel auf dem Reißbrett. Walter Benjamin erklärte ihren radikalen Neuanfang mit der kulturellen Verarmung nach dem Krieg.

A. H.: So wie damals die Schwülstigkeit der wilhelminischen Bauweise provoziert hat, macht das heute Zaha-Hadid-Architektur oder der rapide Wohnflächenverbrauch oder die Größe von Autos. Das Reißbrett ist das eigentliche Problem. Bei Franz von Assisi hat die Armut eine religiöse Komponente, aber sie gehört auch zur Nachhaltigkeit. Die Leute von der Züricher Kalkbreite-Siedlung sprechen von „leichtem Wohnen“, von Verzicht und Armut nicht im Sinne der Selbstkasteiung, sondern der Befreiung. Das fast Mönchische öffnet den Raum.

I. H.: Gibt es eine Tendenz zum Flüchtigen, das nur für eine kurze Zeit Bestand hat? Das Internet entfremdet uns von der materiellen Wirklichkeit. Ist auch das Bauen heute ephemer?

A. H.: Stuttgart ist stark geprägt von der Gründerzeit mit ihren Zimmerfluchten, massiven Wänden und 3,30-Meter-Raumhöhen. Das System ist 150 Jahre alt und funktioniert perfekt. Dasselbe gilt für die Straßenräume und Plätze. Die Riesenschwäche der Moderne war: Sie hat keinen vernünftigen Städtebau zustande gebracht. Aber auch das Massive hat mit Nachhaltigkeit und der Mehrfachkodierung der Stadt zu tun, darüber nachzudenken ist zukünftig sicher ein Weg. Die alternativen Möglichkeiten liegen im Dynamischen, Leichten, Textilen, Veränderbaren. Stuttgart ist die Stadt dieses Widerspruchs. Wir hoffen, beides zusammenzubringen.

I. H.: Ihr Architekturbüro heißt „Archipel“. Steckt dahinter eine Philosophie?

A. H.: Wir waren wahnsinnig jung bei der Gründung. Uns hat die Inselgruppe interessiert, das Netzwerk. Wir wollten kein Büro, sondern eine Bewegung sein, neue Dinge ausprobieren, mit anderen zusammenarbeiten. Das hat nicht funktioniert, auch wirtschaftlich nicht. Wir waren zu früh. Heute sind solche Netzwerke normal, gerade bei komplexeren Projekten.

I. H.: Sie sprechen da vom Sündenfall der Moderne, vom Friedhof der Utopien. Was hat sie falsch gemacht?

A. H.: Ich bin Historiker genug, um Epochen nicht zu verdammen. Die sind Teil unserer Geschichte, und es gibt faszinierende Gründe für das, was gemacht wurde. Nur entbindet es uns nicht davon, mit den Resultaten kritisch umzugehen. Wir müssen neu darüber reden, welche Infrastruktur das moderne Paradigma der Funktionstrennung hervorgebracht hat, wir müssen über Straßen und Mobilität reden. Man pflegt die Monumente im Zentrum, was in Gewerbegebieten und Einfamilienhäusern passiert, ist anscheinend egal. Diese Ränder und Zwischenzonen haben unglaubliche Potentiale für die Stadt der Zukunft. Das Gewerbegebiet ist faszinierend!

I. H.: Weil da noch am meisten Platz ist.

A. H.: Genau. Und diese Gebiete liegen häufig zwischen historischen Kernen. Wenn wir diese Orte qualifizieren, können wir eine weitere Schicht in die Ballungsräume legen, die viel Freiheit ermöglicht und Distanzen verkürzt.

I. H.: Ein Fokus der IBA liegt auf dem Thema: Der Neckar als Lebensraum.

A. H.: Ich komme aus einer Fischerfamilie, Wasser spielt für uns eine große Rolle. Ich habe als Kind die Zerstörung der Schweizer Mittellandseen erlebt. In der longue durée betrachtet, haben wir auch mit dem Neckar noch eine Chance. Alles, was wir im Kopenhagener Hafen oder an den Harbour-Front-Entwicklungen so toll finden, sind ja postindustrielle Nachnutzungen. Und post-industriell gilt für Stuttgart eben nicht.

I. H.: Geht die Industrie dort nicht auch ein?

A. H.: Flächenmäßig nicht. Das war total überraschend für mich: Du hast eine gleichgroße Nachfrage nach Gewerbe- wie nach Wohnfläche. Die Industrie erfindet sich im Moment neu, gerade die Autoindustrie mit der Umstellung auf Elektrofahrzeuge. Da baut Bosch neue Fabriken und es wird im großen Stil die Batteriezellen-Technik ausgerollt.

I. H.: Dann hat Ihr Engagement für Werkswohnungen besondere Aktualität?

A. H.: In den nächsten Jahren gehen hier 150.000 Fachkräfte in Rente, und die verschwinden nicht, die bleiben in ihren Wohnungen. Das heißt, wenn die Wirtschaft Zukunft haben will, brauchen wir Zuwanderung in für deutsche politische Verhältnisse unvorstellbarem Ausmaß, und diese Menschen werden einen guten Ort wollen. Wir müssen uns über den Zusammenhang von Wohnen, Arbeiten und Lebensqualität in völlig neuer Art Gedanken machen. Hinzu kommen die neuen Technologien, die Möglichkeit mobilen Arbeitens, die Kleinteiligkeit der Produktion. Unternehmen im Bereich Software-Engineering und Prototyping werden stark wachsen. Die brauchen die große Werkshalle schon noch, um das Zeugs auszurollen, aber vor allem brauchen sie attraktive Orte für eine hochqualifizierte, engagierte Ingenieursgeneration.

I. H.: Suchen diese Spezialisten direkten Austausch und physische Nähe?

A. H.: Vor allem brauchen sie die physische Nähe zur Stadt. Es gibt das schöne Beispiel eines Bosch-Forschungszentrums, das in der Manier eines 60er-Jahre-Campus irgendwo in Renningen auf den Acker gestellt wurde. Es gibt tatsächlich Probleme, die Leute dahin zu bringen. All diese großen Unternehmen mieten heute für ihre Zukunftsabteilungen mitten in der Stadt Büroetagen, damit ihre Teams im urbanen Kontext arbeiten können. Mitten im Gründerzeitviertel findet man auf den Türklingeln Bosch und Daimler.

I. H.: Sie haben Ihre Arbeit in den Kontext der Banlieue-Aufstände, die 2005 im Großraum Paris stattfanden, gestellt: „Alle bösartigen, nihilistischen politischen Strömungen wachsen in diesem Raum, der nicht mehr Land und noch nicht Stadt ist.“ Wie kann Architektur zu einer Lösung beitragen?

A. H.: Ich möchte so antworten: Architektur ist nicht schuld an dem, was in den französischen Banlieues und in gewissen deutschen Großsiedlungen aus den 60er und 70er Jahren geschieht. Die Ursache sind sozialpolitische Fehler, etwa wenn Frankreich zwei Millionen aus Algerien geflohene Menschen in Großsiedlungen isoliert hat. Das ist ihnen grausam um die Ohren geflogen! Hier haben wir große Flächen mit Bewohnern, die nach einer Identität suchen, oft noch mit ländlichen Erinnerungen im Hintergrund. Städtebaulich sind das die spannenden Räume, in denen man erfinden kann und soll. Diese Großsiedlungen sind Ausdruck einer Gesellschaft, die in gewisser Hinsicht noch ein soziales Gewissen hat. Bei aller berechtigten Kritik implizierten sie das Versprechen, dass jeder ein Anrecht auf eine anständige, geheizte, belichtete Wohnung hat.

I. H.: Agglomeration und Cluster sind magische Worte für Sie. Wie macht man Cluster aggressionsarm?

A. H.: Indem sie Wahlfreiheit beinhalten, Lust an der Vielfalt, am Widerspruch. Wenn wir zusammengepresst werden, fühlen wir uns in Dichte, Enge und Mangel nicht wohl. Wenn wir uns als Bewegung verstehen, die wild mit anderen Menschen und Räumen Kontakt aufnehmen und das als Kaleidoskop, als Reichtum erleben darf, dann wird es zur Qualität.

I. H.: Sie befürworten WG-Situationen und geteiltes Wohnen. Wie stehen Sie zum Anspruch auf Privatheit?

A. H.: Das ist der Witz hinter der Cluster-Wohnung, dass es ganz dezidiert einen privaten Raum gibt. Entstanden ist die Idee aus der Diskussion mit älteren Menschen: Zum Privatraum sollte auch die individuelle Waschgelegenheit gehören. Ich bin kein Kollektivist, der den privaten Raum vollständig aufgeben will. Es geht um die Balance zwischen geschütztem privatem Raum und mehreren Stufen der Gemeinschaft bis hin zur urbanen Öffentlichkeit, wo ich nur noch ein Atom in einem größeren System bin, das aber auch gern haben kann.

I. H.: Lehnt man Menschen nicht eher ab, wenn man die Küche mit ihnen teilen muss?

A. H.: Das stimmt nicht ganz. Mir kommt ein sowjetischer Film aus den 1920er-Jahren in den Sinn, wo man sich in einem riesigen Raum mit gespannten Seilen und Laken 4-mal-4-Meter-Kompartimente eingerichtet hatte. In der großen Stadt Moskau war man damit Teil des Aufbruchs. Es kommt auf die Lebenssituation an. Ich habe selbst 20 Jahre in Zürich in einer WG gelebt, und das Kochen war für uns eine unglaubliche Bereicherung. Ich habe noch nie so gut gegessen wie dort.

I. H.: Was genau ist die von Ihnen befürwortete „räumliche Kohärenz“?

A. H.: Dass es passt. Vor 200 Jahren bist du nicht auf die Idee gekommen, deinen Alltag so zu fragmentieren und die Räume so spezialisiert zu nutzen wie heute. Du hättest sie gar nicht heizen, bauen, betreiben können, es gab die technischen Mittel nicht, sich zwischen solchen Räumen zu bewegen. Die letzten 100 Jahre waren historisch der absolute Ausnahmezustand. Ich will nicht romantisieren, aber ich habe Spuren der bäuerlichen Großwohnformen noch als Kind erlebt. In diesem Sinne war eine Wohngemeinschaft für mich nichts Neues. Ich bin als Kind schon mit 15 Leuten am Küchentisch gesessen. Das war der Normalzustand, der schon etwas mit Mangel und Knappheit, aber auch mit Produktionsgemeinschaft zu tun hatte, mit Solidarität und Unterstützung.

I. H.: Wer hat sich von Ihrem Kernpunkt der „Zukunftsfähigkeit“ bei der Projektsuche für die IBA angesprochen gefühlt?

A. H.: Fast alle. Und wir führen keinerlei ideologische Diskussion. Diese neuen Gemeinschaftslösungen liegen auf dem Tisch. Gerade die Nachfamilien-Generation beschäftigt sich in unseren Ausstellungsprojekten mit dieser Sparsamkeit, dem Zusammenrücken, mit der Abkehr vom Einfamilienhaus. In den letzten drei, vier Jahren ist es nochmal spürbarer geworden. Die Schwierigkeit entsteht, wenn man es dann wirklich tun muss.

I. H.: Wegen der gesetzlichen Barrieren oder weil man ein anderer Mensch werden muss?

A. H.: Es sind andere Alltagspraktiken, da stoßen wir persönlich oft an Grenzen. Man nimmt sich in ambitionierten Wohnprojekten leicht zu viel vor. Und dann kommen die ökonomischen Schwierigkeiten, die explodierenden Bau- und Landkosten dazu. Ich bin über die Reformunfähigkeit schockiert, die panische Angst, etwas zu verlieren. Die deutsche Wohnbauförderung duftet noch sehr nach 50er-Jahre-Kleinfamilie.

I. H.: Sie bezeichnen die von Ihnen mitgegründete Ge-
nossenschaft „Kraftwerk 1“ als Lernplattform für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Wie ist das zu verstehen?

A. H.: Manche sagen, wir brauchen keine neuen Wohnungen, wenn wir die vorhandenen gescheiter verteilen. Hier fallen auch die ökologischen Herausforderungen der Bauwirtschaft ins Gewicht. Aber die Stadt für alle Zeiten einzufrieren, das kommt mir vor wie Denkmalpflege. Man muss nur überlegen, weshalb und für wen man etwas baut und welchen Beitrag man damit für die Welt leistet. Ich hatte das Glück, dass jedes Projekt, an dem ich beteiligt war, eine Laborsituation war, in der man etwas Neues erfunden hat.

I. H.: Wie kann man den Marktplatz in zersiedelte Gebiete zurückbringen, ohne auf Shopping-Malls zurückzugreifen?

A. H.: Die Shopping-Malls haben etwas, was funktioniert hat, aktiv zerstört. Diese einfachen Lösungen des 20. Jahrhunderts erweisen sich oft als verhängnisvoll.

I. H.: Sie sprechen gern von Möglichkeitsräumen.

A. H.: Das Gestalten von Räumen, die für viele Funktionen geeignet sind, hat etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Das war eine Schwäche der Moderne, die passgenaue Architektur um eine Lebensvorstellung herum, die obsolet wird, wenn sich das Leben ändert, etwa die Rolle von Mann und Frau. Ein Beispiel dafür ist auch die Frankfurter Küche.

I. H.: Sie lehnen die Frankfurter Küche für heutige Verhältnisse ab?

A. H.: Es gibt schöne Lösungen, die Küche kann sich durchaus zum Wohnraum öffnen. Aber die Kochnischen in den Mikroapartments werden praktisch nicht genutzt. Eine Befreiung der Frau von der Hausarbeit steckt auch in der Mechanisierung und Funktionalisierung der Küche. Aber im sozialen Wohnungsbau ist das zur Falle geworden. Unter dem Begriff Mehrfachkodierung denken wir in eine weite Ferne, an Häuser, die 200, 300 Jahre leben können. Das gab es alles mal, und das wäre der ökologische Durchbruch. Als letzte Steigerung kommt die Auflösung der Grenze zwischen Wohnen und Arbeiten hinzu.

I. H.: Warum werden die Kochnischen nicht genutzt?

A. H.: Es macht einfach keinen Spaß!

I. H.: Sie weisen auf „graue Energie“ in ökologisch perfekten Wohnungen hin.

A. H.: Das ist ein technischer Terminus für die Energie, die in Baustoffen und der Baulogistik enthalten ist, bevor ich ein Gebäude beziehe. Jahrelang wurde der Fokus auf die Betriebsenergie gelegt. Dann stellst du fest, dass sie sich während der Lebenszeit eines Hauses dem annähert, was ich brauche, um das Haus überhaupt zu erstellen. Das ist aktuell bei den Niedrigenergie-Gebäuden so. Ein Kurzschluss wäre, dass man keine Häuser mehr abreißen darf, weil so viel graue Energie zerstört wird. Ab und zu lohnt es sich durchaus. Es gibt auch die Tendenz, mit irrem energetischem und finanziellem Aufwand das letzte Quäntchen in diese Wohnmaschine zu investieren, die bezüglich Schall und Gebäudetechnik auf keinen Luxus verzichtet, die aber niemand mehr bedienen kann.

I. H.: Möchten Sie verdichten, um die Natur zu schützen?

A. H.: Ja! Denn ich habe beide Welten als Kind erlebt, die Großfamilie am See und eine Neubausiedlung. Mein Vater ist als einziges von zwölf Kindern ausgezogen und hat Automechaniker gelernt.

I. H.: Grüner Raum tut Menschen gut. Kann Natur mit Clustern einhergehen?

A. H.: Ich denke schlicht und ergreifend an den Boden zwischen den Häusern. Ich ärgere mich über die Bosko-Vertikale in Mailand: Aufwändigste senkrechte Grünbepflanzung vor vollverglasten Bürokisten, und unten verläuft die 12-spurige Straße. Keiner redet darüber, vielleicht eine dieser Spuren aufzuheben und eine Reihe Bäume zu pflanzen. Die würden dem Stadtklima wesentlich mehr bringen.

I. H.: Also brauchen wir mehr lebenswerte Innenhöfe?

A. H.: Wieso sind Innenhöfe im Neubau nicht lebenswert? Weil das ganze Grundstück für eine Tiefgarage versiegelt ist. Stehende Autos sind eines der größten Probleme in Deutschland. Die Parkplätze werden per Gesetz verlangt und zerstören alles. Sie machen 40 % der grauen Energie einer Siedlung aus, die man erst einmal im Boden vergräbt. Dann hast du keine Chance mehr, vernünftig mit Wasser und dem Grün umzugehen.

I. H.: Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus?

A. H.: Wir reden immerzu über die Mobilitäts- und Energiewende. Und wenn ich mir anschaue, wie das System funktioniert, muss ich lachen: mit Dienstwagen-Privileg, Pendlerpauschale, Anwohnerparkkarten, die nichts kosten … Es muss mich nicht überraschen, dass die Leute sich so verhalten, wie sie sich verhalten, wenn man ihnen dafür so viel Geld gibt. Das ist eine schwierige Diskussion in Deutschland, weil sofort die Gewerkschaftskeule kommt: Willst du mir Arbeitsplätze kaputtmachen? Ja, vielleicht muss man das. Wir müssen unser Leben schon daran anpassen, was auf uns zukommt. Und ich sehe nur Anreize in die falsche Richtung. Ich dachte, der entscheidende Moment würde mit dem autonomen Fahren kommen. Das Verkehrsproblem könnte sich damit erledigen. Ich glaube nicht, dass die Politik das hinkriegt. Aber ich bin pragmatisch genug, um mich mit gewissen Dingen dieser Welt abzufinden.

 

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