Autor Thomas von Steinaecker trifft in Toblach seinen Cousin, den Dirigenten Philipp von Steinaecker. Die beiden unterhalten sich über das immens schwierige und interessante Unterfangen, Mahlers 9. Symphonie im Originalklang auf die Bühne zu bringen.
Ich treffe meinen Cousin Philipp in Toblach. Seit unserer Kindheit tauschen wir uns über Musik aus, auch wenn wir damals sehr unterschiedliche Vorlieben hatten. Während Philipp sich schon früh für Richard Wagner begeisterte, hörte ich Karlheinz Stockhausen. Und während er Cellist wurde, Gründungsmitglied im Mahler Chamber Orchestra war und später eine Karriere als Dirigent begann, wurde ich Schriftsteller und TV-Regisseur. Vielleicht ist es etwas hochgegriffen, zu sagen, dass wir uns über die Jahrzehnte musikalisch immer weiter annäherten – Tatsache ist, dass wir vor gar nicht allzu langer Zeit feststellten, dass wir beide für Gustav Mahler schwärmen. Für mich als Schriftsteller rührte die Faszination für Mahler auch von seiner dramatischen Lebensgeschichte her; insbesondere die Komposition seiner zehnten, unvollendeten Sinfonie, die eine Affäre seiner Frau Alma mit Walter Gropius begleitete, liest sich dramatisch und ist geprägt von geradezu unglaublichen Zufällen wie in einem Roman. Und wie hätte das Stück wohl geklungen, hätte Mahler es fertig komponiert? Wie wäre sein Leben weiter verlaufen, wäre er nicht traurig jung, mit nur 50 Jahren, gestorben? Während ich mit Philipp vor der schlichten Hütte an einem Hang stehe, in die der geniale Dirigent Mahler sich in den Sommerferien 1909 und 1910 zum Komponieren zurückzog, wirken die graublauen Gebirgsketten ringsum wie eine Konjunktiv-Ahnung davon, was hätte sein können. Philipp hat in dem Kulturzentrum Grand Hotel Toblach im September 2022 ein aufsehenerregendes Projekt abgeschlossen: Er hat dort Mahlers neunte Sinfonie im Originalklang aufgeführt. Sprich: sie weltweit zum ersten Mal so gespielt, wie sie bei ihrer postumen Uraufführung 1912 geklungen haben muss. Denn: Instrumente und Spielweisen haben sich seitdem radikal geändert. Aus der Ferne hatte ich immer wieder die Schwierigkeiten dieses Projekts mitbekommen – nur um dann völlig überwältigt von der Aufnahme zu sein, die mir Philipp von der Aufführung geschickt hatte. Umso neugieriger war ich nun darauf, die unglaubliche Geschichte dahinter zu erfahren.
Thomas von Steinaecker: Also, wenn ich ganz ehrlich bin: Mir war Mahler lange total suspekt. Irgendwie habe ich mit Mahler immer etwas Bombastisches assoziiert – „Symphonie der Tausend“ und so. Erst in den letzten Jahren habe ich Mahler für mich entdeckt. Und siehe da: Er ist das Gegenteil von überladen. Eigentlich ist er alles. Quasi universal. Aber ich kann mir vorstellen, du hast eine wesentlich längere Geschichte mit Mahler. Gibt es da ein Schlüsselerlebnis bei dir?
Philipp von Steinaecker: Mein erstes Mahler-Erlebnis war tatsächlich die 1. Sinfonie mit dem Gustav Mahler Jugendorchester und Claudio Abbado in der Musikhalle in Hamburg. Ich war vierzehn. Und das hat mich einfach vollkommen umgehauen. Ich wollte zwar immer Musiker werden, aber ich hatte immer dieses Gefühl, dass ich letztlich nicht begabt genug bin. Außerdem: Einfach nur zuhause Cello zu üben, fand ich oft sehr mühsam. Und hier sah ich eben: Okay, es gibt Jugendorchester, die solche Musik mit den Topdirigenten so spielen können. Da war mir klar: Selbstverständlich muss ich Musiker werden, und außerdem muss ich unbedingt in dieses Orchester. Das hat mich dann auch wahnsinnig motiviert, einfach zu üben. Und das andere war, ich hatte irgendwann zu dieser Zeit zum Geburtstag die Neunte von Mahler bekommen. Als Kassette. Ich weiß noch, ich bin mit meinem Vater irgendwo hingefahren und dann habe ich die im Auto eingelegt. Da war dieser wehmütig schwelgende Anfang in D-Dur. Ich weiß noch genau, dass ich dachte: Das ist einfach meine Musik!T. S.: In gewisser Weise ist Mahler also schuld daran, dass du Musiker geworden bist … aber du bist ja dann nicht beim Cello geblieben. Sondern du hast irgendwann zu dirigieren angefangen.
P. S.: … ja, und eben als Assistent bei John Eliot
Gardiner, der für ein ganz neues Bewusstsein für die historische Aufführungspraxis steht. Durch Gardiner bin ich dann von Anfang an dafür sensibilisiert worden, Notentexte auf eine bestimmte Art zu lesen und zu hinterfragen.
T. S.: Das sind wir aber eigentlich vor allem bei Barockmusik gewöhnt, oder? Also, dass man zum Beispiel Darmsaiten bei den Streichern verwendet und so etwas. Aber bei Musik der Jahrhundertwende ist das eher ungewöhnlich, oder?
P. S.: Genau. Aber irgendwann kam ich dann bei Mahler ins Stutzen. Du spielst zum Beispiel die 5. Sinfonie und nach 30 Minuten steht in der Cello-Stimme über einer Note plötzlich „Vibrato“. Aber du sitzt da schon seit 30 Minuten und vibrierst jede Note. Und alle um dich herum auch. Also, wenn du diese Note dann auch vibrierst, da bemerkt es natürlich niemand. Dann stellt sich die Frage: Okay, also hier vibrieren, das heißt überall sonst nicht vibrieren? Wie kommt das? Wie ist das gemeint? Das hat eben mit den anderen Instrumenten und auch der damaligen Spielweise zu tun.
T. S.: Heißt das, dass sich die Dirigenten, die das nicht machen, in gewisser Weise geirrt haben oder einen falschen Mahler aufführen?
P. S.: Nein, das würde ich nicht sagen. Mahler selbst hat ja in seiner Zeit an der Wiener Hofoper alle Instrumente neu kaufen lassen, eben weil er sagte, ich brauche die modernsten. Was dann aber passiert, ist, dass Mahler immer an die Grenze dieser Instrumente geht, die er kennt. Ein Beispiel: Posaunen damals können auch mal so reinschmettern, dass dir das Mark in den Knochen gefriert. Aber sie decken dann nicht gleich alles zu wie Posaunen heute. Das sind so Sachen, die kannst du nicht allein mit Dynamik korrigieren. Weil dann die Posaune zwar leiser spielt, aber gleich nicht mehr so gefährlich klingt. Anderes Beispiel: Wenn man auf den alten Holzblasinstrumenten sehr laut und sehr hoch spielt, wie Mahler das oft fordert, kippen die ganz schnell und bekommen was Krasses, irgendwie … Fratzenhaftes. Da weiß man dann genau, wann Mahler das einsetzen will, und man kann das auch nicht irgendwie elegant umschiffen, wie heute oft üblich. Es ging mir eben auch darum, herauszufinden, wo diese Grenzen liegen.
T. S.: Es ist also zweierlei entscheidend: das Instrument selbst und die Art, es zu spielen?
P. S.: Ganz genau. Die Instrumente haben einfach einen anderen Charakter. Wenn du die laut spielst, klingen sie anders. Und wenn du sie leise spielst, klingen sie anders. Wenn Mahler unsere heutigen Instrumente gehabt hätte, hätte er vielleicht auch gesagt: Super, die nehme ich, die sind so perfekt. Aber für die hätte er dann anders komponiert. Und wäre dann wiederum an deren Grenzen gegangen.
T. S.: Was sind die Unterschiede in der Spielweise?
P. S.: Also letztlich der größte Unterschied ist, denke ich, die Tempofreiheit, die Tempoflexibilität. Die einfach heute nur noch sehr wenig gepflegt wird. Im Prinzip gibt es drei Arten von Tempoflexibilität. Erst einmal wird das ganze Orchester gemeinsam ständig schneller und langsamer, im Crescendo wird es immer ein bisschen schneller und im Diminuendo ein bisschen langsamer, aber das Tempo bleibt im Grunde nie gleich. Dann gibt es eine interpretatorische Tempofreiheit. Da kann man eine lyrische Stelle oder ein paar Takte, die man wichtig findet, oder auch nur ein kurzes Motiv ganz aus dem Tempo nehmen. Das hat Mahler als Dirigent ganz viel gemacht. Sowas macht heute kaum noch jemand. Und dann gibt es noch das sogenannte Tempo rubato, die gestohlene Zeit. Wo der Dirigent eigentlich nur einen möglichst ruhigen Schlag vorgibt. Und die Musiker ihre Linien, die sie dazu spielen, so frei von diesem Schlag wie möglich bringen. Die Musiker können dann zum Beispiel auf einer wichtigen Note länger verweilen. Müssen sich dann aber auch beeilen, um auf der Eins wieder zusammen zu sein.
T. S.: Aber dann ist es ja auseinander!
P. S.: Das ist tatsächlich ein bisschen auseinander, ja. Und das funktioniert auch nicht bei allen Stellen. Aber wenn du, wie bei Mahler ganz oft, einen komplizierten, dreistimmigen, vierstimmigen Kontrapunkt hast, wo jede Stimme unglaublich individuell gestaltet ist, dann ist es phänomenal. Denn die koexistieren in demselben harmonischen Raum. Die Reibungen sind oft noch viel stärker. Und die Spannung, die das bei den Musikern erzeugt! Zu wissen: Ich bin hier in einer prekären Situation. Ich muss jetzt zurück zu dieser Eins. Und das dann musikalisch zu bringen!
T. S.: Aber nochmal: Jede Gruppe ist doch dann in sich schon eigentlich auseinander, oder? Eigentlich lernt man als Musiker im Orchester doch genau das Gegenteil!
P. S.: Genau. Das haben wir uns natürlich auch gefragt: Wie kann man sowas überhaupt machen? Für die Bläser ist es nicht so kompliziert. Die machen das alleine, die sind ja gewissermaßen Solisten. Aber so eine ganze Geigengruppe – für die ist es schon schwierig. Auch, weil wir das heute nicht mehr lernen. Die Musiker früher haben das viel geübt. In den Orchesterproben früher wurde eben auch ein Großteil der Zeit darauf verwendet, dass zum Beispiel die Geigengruppe ein Rubato gemeinsam versteht und fühlt. Und je besser das Orchester, je stärker der Konzertmeister, desto besser gelang das. Die Stimmführer haben da eine viel größere Bedeutung. Die führen das Gruppenrubato an. Also es ist ein ganz anderes Orchester-Konzept.
T. S.: Aber wie kommt man darauf? Originale Aufnahmen von Mahler gibt es ja nicht. Auch keine andere Musikaufnahme aus dieser Zeit. Gibt es Forschungsliteratur?
P. S.: Wir wissen ganz sicher, dass das so war. Einerseits aus allen schriftlichen Zeitdokumenten, also Violinschulen, Briefen, auch ganz viel aus Rezensionen. Aber auch von Aufnahmen. Es gibt keine wirklich guten Orchesteraufnahmen aus dieser Zeit, das stimmt. Aber es gibt Aufnahmen, die man sehr gut anhören kann, aus den späten 1920er Jahren. Also eineinhalb Jahrzehnte nach Mahlers Tod. Die Unterschiede zu heute sind enorm. Es gibt Sachen, die haben sich stark entwickelt, zum Beispiel das Portamento, also das hörbare Rutschen der Streicher zwischen den Tönen, das Vibrato und eben die Tempoflexibilität. Die Entwicklung ist: 1926 sehr wenig Vibrato, viele Rutscher und viel Tempofreiheit. Heute ganz viel Vibrato, fast keine Rutscher, fast keine Tempofreiheit. Relativ zu diesen circa hundert Jahren Entwicklung musst du dann halt die fehlenden sechzehn Jahre von 1910 bis 1926 rekonstruieren. Aber von Mahlers 9. Sinfonie gibt es zum Beispiel eine Aufnahme von 1938. Das ist zwar 26 Jahre nach der Uraufführung, war aber trotzdem ein toller Anhaltspunkt für uns. Da spielen noch einige von Mahlers Musikern mit. Trotzdem ist klar, dass es bei der Uraufführung anders gewesen sein muss.
T. S.: Okay. Aber trotz dieser Anhaltspunkte muss es für dich doch unglaublich kompliziert gewesen sein, eine historische Aufführung dieser Sinfonie zu realisieren.
P. S.: Unglaublich kompliziert.
T. S.: Beschreibe doch mal den Weg von der Idee bis zur Aufführung.
P. S.: Also die Idee trug ich lange mit mir herum. Seit wir einen Mahler-Zyklus mit Abbado in Luzern gemacht haben. Aber, um es mal so zu sagen, so ein Projekt ist prohibitiv teuer. Das fängt schon damit an: Niemand hat diese Instrumente. Du kannst jetzt auch nicht von jemandem erwarten, sich für 15.000 Euro ein Fagott zu kaufen, das er dann alle zwei Jahre mal drei Tage spielt. Und dann wusste ich, dass in Toblach, wo Mahler die 9. Sinfonie geschrieben hat, eine neue Stiftung gegründet wurde und dass die auch nach Projekten suchten. Zudem gibt es hier die Gustav-Mahler-Musikwochen. Und das passte natürlich eigentlich perfekt. Das war also ein Anfang.
T. S.: Aber jetzt mal abgesehen vom Geld: Die Instrumente, auf denen damals die Musiker Mahler gespielt haben, gibt’s wahrscheinlich gar nicht mehr, oder?
P. S.: Genau dieselben Exemplare gibt es nicht mehr, nein. Oder nur in ganz seltenen Fällen. Aber die gleichen schon. Aus den Kauflisten der Wiener Hofoper von damals konnten wir verstehen, welche Instrumente es waren. Also welcher Hersteller und welches Modell. Und einige dieser Instrumente gab es dann tatsächlich noch im Kunsthistorischen Museum in Wien. Ich bin dann natürlich hingefahren und dachte: Super, Instrumente haben wir auch schon! Und dann hieß es: Ja, nur leider sind die alle nicht restauriert, nicht spielbar, und die werden auch nicht restauriert. Denn die müssen im Originalzustand bleiben, falls jemand sie kopieren möchte. Das hat uns natürlich zurückgeworfen. Aber wir hatten nun eine klare Vorstellung, wonach wir suchen mussten.
T. S.: Und wo findet man so etwas dann?
P. S.: Es gibt Leute, die sowas im Internet anbieten. Aber auch auf Auktionen. Es gibt Antiquitätenläden, die plötzlich so eine Oboe aus irgendeinem Nachlass haben und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, was das überhaupt sein soll.
T. S.: Das muss teuer gewesen sein.
P. S.: Ganz verschieden. Die Fagotte zum Beispiel sind relativ teuer. Dafür gibt es noch einen Markt, weil sich manche Fagottisten die alten Instrumente modernisieren lassen. Deshalb war es schwer, welche zu finden, die noch im Originalzustand waren. Die müssen schon die Klappen von damals haben und so weiter. Manche Sachen habe ich auch auf Ebay und Willhaben gefunden.
T. S.: Bei den Streichern kam es dann wahrscheinlich auf die Saiten an.
P. S.: Genau. Die Streicher benutzen ihre Instrumente mit Darmsaiten und mit Holzdämpfern. Hörner? Ganz schwierig! Die haben wir nicht gekauft, die haben wir aus einer alten Sammlung geliehen. Eine Posaune haben wir aber zum Beispiel von einem Herrn in Oberösterreich gekauft. Der leitete dort die Blasmusik und wollte ein paar alte Instrumente loswerden, die bei denen nur noch rumlagen. Und das war genau die richtige Posaune. Dann hat der die einfach so in einen Pappkarton gesteckt und an unseren Posaunisten in Wien geschickt. Zum Glück ist da nichts passiert. Der hat sie ausprobiert und dann hat er mir gleich geschrieben: Ein Glücksfall! Ganz schwierig waren die Oboen. Die alten Wiener Oboen, das war immer schon ein winziger Markt, weil die eben nur in Wien gespielt wurden. Da gibt es so gut wie keine mehr. Viele Instrumente gehen ja auch kaputt mit der Zeit, und wenn es eh nur ganz wenige waren, ist klar, dass es eng wird. Dann haben wir aber doch eine gefunden, eine wunderschöne Hajek-Oboe. Und die war dann auch sehr, sehr teuer. Aber da haben wir einen Sponsor gefunden. Dann die Pauken …
T. S.: Hatten die denn dieselben Felle wie heute drauf?
P. S.: Die Wiener Pauken wurden und werden mit Ziegenfell bespannt, wie Barockpauken. Für moderne Pauken verwendet man Kuhfelle. Aber es sind nicht nur die Felle, der Kessel ist auch anders. Das Material, aus dem der gehämmert ist, die genaue Form. Mahlers Pauker in der Oper war Hans Schnellar, der hat ein revolutionäres Paukensystem erfunden: Wenn du das Fell spannen willst, drehst du nicht oben am Ring, sondern der ganze Kessel hebt sich von unten und spannt das Fell. Die Wiener Philharmoniker spielen dieses System bis heute. Die haben das dann natürlich weiterentwickelt. Aber das sind die Wiener Pauken. Und Mahler hat diesen Schnellar überallhin mitgenommen, wenn er seine Stücke woanders als in Wien dirigiert hat. Weil man bei dieser Pauke richtige Töne spielen konnte und nicht nur einen Schlagzeuglaut. Von den alten Wiener Pauken haben wir noch ein Paar gefunden, das der Schnellar selbst gebaut hat und auf dem er in der Oper gespielt hat. Das war wahnsinnig teuer.
T. S.: Aber, weil du gerade von ihnen gesprochen hast – mit den Wiener Philharmonikern wäre das wahrscheinlich undenkbar gewesen?
P. S.: Es wäre natürlich auch ein faszinierendes Gedankenspiel. Aber nein, das wäre, glaube ich, nicht gegangen. Die haben sich natürlich weiterentwickelt und haben ihren heutigen sehr starken Klang, der auch ihre Marke ist.
T. S.: Das heißt, du musst eigentlich dein eigenes Orchester gründen für so ein Projekt.
P. S.: Ja, genau, so ein Festival-Orchester.
T. S.: Auch das noch!
P. S.: Ja. Das kannst du nicht jede Woche machen. Ich hatte dann folgenden Ansatz: Ich habe Profis gefragt, die das Stück in- und auswendig kennen und Lust auf Neues hatten. Und habe das mit jungen Leuten gemischt, die von der Erfahrung der Älteren lernen, aber natürlich auch ihre jugendliche Kraft irgendwie einbringen. Alle gemeinsam lernen die alten Spielweisen und Instrumente zu verwenden.
T. S.: Und wie klingt das dann zusammen?
P. S.: Die Streicher unglaublich warm im tiefen Register. Und nie dieses dauer-erotisierende Vibrato von heute. Dabei ist immer noch so was Körniges, fast Haptisches im Klang. Das Blech kann markerschütternd, schmetternd hereinbrechen. Diese Todesakkorde in der Neunten, die sind dann einfach schrecklich. Und auch die Pauke. Unfassbar. Selbst wenn die Spieler richtig Gas geben, bleiben diese Instrumente doch in einer Dezibelgegend, die nicht alles unter sich begräbt. Und dann die Holzbläser, teilweise schwierig zu spielen, im einzelnen aber unwahrscheinlich charaktervoll. Also überhaupt keine perfekten Skalen, aber eben wahnsinnig viel Charakter. Da siehst du dann gleich im Orchester, wie alle sich fragen: Was ist das denn? Wer spielt denn das? Klingt ja irre. Aber wenn sie im Bläsersatz zusammenspielen, ist es gleich ein schöner, ganz toller Mischklang. Grundsätzlich würde ich sagen: Die Holzbläser sind dunkler. Aber sie haben, wie gesagt, auch die Möglichkeit, krass und grotesk zu klingen. Wenn Mahler das will.
T. S.: Wie war das, als ihr das zum ersten Mal geprobt habt in Toblach?
P. S.: Erstmal haben wir das kammermusikalisch ausprobiert. Und dann kam es zu den Stimmproben hier in Toblach. Da war dann klar, dass das gleich einmal irgendwie funktioniert. Ich hatte eben auch echt phänomenale Partner im Orchester, die sich auch vorher mit mir getroffen haben und die genau verstanden hatten, was mir vorschwebte. Die haben das wahnsinnig toll umgesetzt. Und ja – dann haben wir zum ersten Mal alle zusammen geprobt. Und ich wusste natürlich gar nicht, was sagen. Also mir ist …
T. S.: Also, bei der ersten Orchesterprobe …
P. S.: Ja, dieser erste Satz, dieser wunderschöne erste Satz, den ich vorhin angesprochen hatte, mit diesem D-Dur.
T. S.: Hat es denn anders geklungen, als du dir das gedacht hast? Bis dahin war ja alles doch irgendwie Theorie.
P. S.: Ein paar Sachen wusste ich, wie die sein würden. Ich konnte mir schon irgendwie so was zusammenreimen. Aber mit diesen Instrumenten hatte das halt noch nie jemand gehört. Und es war unfassbar schön. Unfassbar. Es war so ein Moment, wo du sagst: Okay, was immer ich erreicht habe oder nicht erreicht habe, ist im Grunde wurscht. Aber das habe ich erlebt.