Clemens Holzmeister (1886–1983), geboren und aufgewachsen im Stubaital, reüssierte als Architekt und Architekturprofessor im sozialdemokratischen Wien, in der Endphase der Weimarer Republik, im österreichischen Ständestaat, in Kemal Atatürks Regierungsviertel in Ankara und in der Zweiten Republik. Wilfried Posch hat unter dem Titel „Clemens Holzmeister. Architekt zwischen Kunst und Politik“ eine lesenswerte Biografie des Baukünstlers geschrieben. Passagen aus diesem Buch sind hier abgedruckt, dazwischen hinterlässt die Architektin und Architekturkritikerin Judith Eiblmayr Notate zum Wirken und Nachwirken des Jahrhundertarchitekten.
Über seine Kindheit berichtete Holzmeister 1976 (…): „In einem sehr schönen Bürgerhaus mit großem Garten und Springbrunnen und dem Ausblick auf die Stubaier Gletscher verbrachten wir glückliche Jugendjahre.“ Seine spätere Schaffensfreude und sein fast ruheloser Tatendrang zeigten sich schon früh: „Von klein auf musste ich immer beschäftigt werden und wurde den Eltern lästig, wenn ich penzte: ‚Was soll i denn tian?‘ – Nägel einschlagen war meine besondere Passion. Das Opfer – die Ofenbank – wurde oft hergezeigt.“ Aber auch die Handwerker beeindruckten ihn sehr: „Die alte Schmiede mit dem schweren Amboss, aus dem Wasserwerk betrieben, war mein Lieblingsaufenthalt, die rußigen Schmiede an der Esse und am Amboss sehe ich heute noch vor mir.“
Clemens Holzmeister zieht in seiner Selbstbiografie mit fünf Sätzen, aus welchen dieses Zitat stammt, kurz und bündig eine positive Bilanz seiner Kindheit. Clemens war das sechste Kind, das zwar „streng katholisch erzogen wurde“, aber offensichtlich seinen Tatendrang ausleben durfte. Als Kinderspielzeug diente ein Stück Holz, ein Hammer und Nägel, wo der Kleine aktiv werden durfte. Hundert Jahre später würde die Spielzeugindustrie die Ofenbank durch ein „Activity Board“ aus Plastik ersetzen, wo Knöpfe zu drücken und Kurbeln zu drehen waren, um batteriebetriebene Geräusche und Lichtsignale zu erzeugen. Und draufhauen konnte man auch! Weitere 25 Jahre später würde man solches Verhalten als ADHS diagnostizieren und ein Medikament verschreiben, um Kinder ruhig zu stellen.
Clemens konnte sich als Kind austoben und beschrieb die Jahre seiner Kindheit als glücklich und „von ungetrübter Freude“, bis 1899 sein Vater mit 63 Jahren verstarb. Clemens war dreizehn Jahre alt, als seine Mutter mit acht unversorgten Kindern „ein schwieriges Erbe“ antrat. In diesem Alter hatte er allerdings schon gelernt gehabt, wie man „Nägel mit Köpfen macht“, dass er darüber hinaus Knöpfe drücken und Hebel bewegen kann, bewies er später in seiner beruflichen Laufbahn.
Clemens besuchte nun also die k. k. Oberrealschule in Innsbruck. (…) Über diese siebenjährigen Lern- und Lehrjahre berichtet Clemens wenig, außer dass er sie „mit mäßigem Erfolg 1906 absolvierte“ und mit der Maturitätsprüfung (Abitur) die Hochschulreife erlangt hat. (…) Oftmals und voll Begeisterung hingegen sprach er über die Jahre von 1902 bis 1906 in der katholischen Pennalverbindung Cimbria. (…) Das Gesetz besagte, dass Mittelschüler (Oberschüler) „keine Vereine unter sich bilden und daher weder Vereins- noch andere Abzeichen tragen“ dürften. Darüber hinaus war auch die Mitgliedschaft in Vereinen untersagt, desgleichen die Teilnahme als Gast. Verstöße gegen dieses Gesetz wurden noch nach 1900 meist mit dem Schulausschluss bestraft. Da Geheimhaltung Pflicht war, führte dies zu einer sorgsamen Auswahl der Mitglieder: Nur vertrauenswürdige, gefestigte Charaktere mit Wagemut und Einsatzwillen wurden gesucht.
Die Cimbria, im Februar 1900 gegründet, war eine Tochterverbindung der Teutonia zu Innsbruck, die auf das Jahr 1876 zurückging. Im Jahre 1902 wurde Clemens Holzmeister, 16 Jahre alt, „recipiert“. Damit hatte er den wohl entscheidendsten Schritt für sein weiteres Leben getan. Als Couleurnamen wählte er „Tell“, dessen berühmter Namensträger Vorbild sein sollte.
Hier wird das Fundament des späteren Erfolges sozusagen freigelegt: Dem Realschüler Clemens Holzmeister war die Schule demgemäß nicht so wichtig, viel wichtiger war die Verbrüderung mit der Gruppe jener Mitschüler, die „vertrauenswürdige, gefestigte Charaktere mit Wagemut und Einsatzwillen“ waren. Ob sich der Jugendliche aus ideologischer Überzeugung dafür entschied, auf Grund der Empfehlung eines älteren Mitglieds oder dem Wunsch folgend, einem Männerbund als Familiensubstitut zuzugehören, ist nicht bekannt. Es dürfte ihm allerdings klar gewesen sein, dass die Zugehörigkeit zu einer deutschnationalen Verbindung ihm auch von großem Nutzen sein könnte.
Schon während des Sommers 1906 zog es Holzmeister nach Wien. (…) Der Weg führte ihn sogleich in die „Katholische akademische Verbindung Norica im Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen“ (…) Sein Zeichentalent führte zu zahlreichen Aufträgen für die beliebten Couleur-Bildpostkarten und Illustrationen zu Cartellversammlungen und Festschriften. (…) Auch wurde er bereits für Fassaden und Inneneinrichtungen der Kneiplokale und Verbindungshäuser der Austria, Leopoldina und natürlich besonders der Norica tätig. (…)
Auf diese Weise bewegte sich Holzmeister bald in einem elitären Kreis von Personen, der „einem Karl Lueger, einem Prinzen Liechtenstein oder dem großen Meteorologen Pernter – Persönlichkeiten von hervorragender Rednergabe – huldigte, sich an ihren Gedankengängen entzündete und dem sie für ihr ganzes Leben, gebunden durch edelste Studentenkameradschaft, treu geblieben sind“. Diesen Satz schrieb Holzmeister 1953 im fernen Ankara, nur auf seine Erinnerung gestützt.
Diesen Satz schrieb er nicht 1976, im Alter von 90 Jahren, wo sich bei so manchem gedankliche Distanz verflüchtigen kann, sondern als staatstragender Architekt, der im sicheren Ausland der Verfolgung seiner Person durch das Naziregime entgangen ist. Sechs Millionen Juden waren im Dritten Reich ermordet worden, Holzmeister findet dennoch nichts dabei, Karl Lueger (1844–1910), der sich „ab 1887 endgültig zum Antisemitismus bekannte“1, als Persönlichkeit edelster Kameradschaft zu huldigen.
Clemens Holzmeister selbst war entkommen, aber kritisch politisiert wurde er dadurch nicht. „Niemand hat zu dieser Zeit über den Krieg geredet, er natürlich auch nicht“, meint Holzmeister-Biografin Monika Knofler2. Die Norica blieb für ihn Ersatzfamilie, obwohl „edle“ Mitglieder den ideologischen Nährboden für die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten aufbereitet hatten. Und es war ihm natürlich bewusst, dass seit Gründung der ÖVP im April 1945 einige Noriker in dieser Partei gelandet waren und gute Katalysatoren für Bauaufträge sein würden.
In der Selbstbiographie erzählt Holzmeister von seiner Tätigkeit im Verein Deutsche Heimat als Leiter der Bauberatungsstelle und von seinem väterlichen Freund Rudolf Pichler, ohne auf diese Vereinigung näher einzugehen. Er hat ihr in leitender Funktion bis zur Auflösung im Jahre 1938 angehört. Dieser Vereinsbeitritt war für Holzmeisters Karriere von ähnlicher Bedeutung wie seine Mitgliedschaft bei der Norica. Über die Deutsche Heimat fand Holzmeister Anschluss an die großen Kulturbewegungen der Zeit, vor allem kam er über die katholisch-konservativen Gesellschaftskreise des Cartellverbandes hinaus mit Persönlichkeiten anderer politischer Gesinnungen und Weltanschauungen zusammen. Neben seiner angeborenen Begabung liegt hier sicher eine der Wurzeln für seine später so erfolgreiche Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen. (…)
Der Verein Deutsche Heimat war eine interessante Organisation, die von Erzherzog Franz Ferdinand, der „die Moderne schroff ablehnte“3, unterstützt wurde und als Instrument dienen sollte, Anfang des 20. Jahrhunderts die Landflucht in Österreich einzudämmen.4 Die Heimatschutzbewegung versuchte ideologisch ein neues Bewusstsein für die ländliche Kultur zu schaffen, neue Gebäude sollten bei der Identifikation der Bevölkerung mit ihren Heimatorten dienen. Man bemühte hierbei programmatisch einen stilistischen Kunstgriff: Die Gebäude sollten Bodenständigkeit, gleichzeitig jedoch Attraktivität vermitteln, was zu einer Verbrämung von städtischer Architektur mit ländlichen Zitaten führte. Dass dieser Stil in der Architekturgeschichte nicht als Kitsch eingeordnet wird, sondern mit dem deutschen Reformstil oder dem finnischen „nationalromantischen“ Stil mithalten kann, liegt vielleicht daran, dass diese Projekte oft an junge Architekten vergeben wurden. Clemens Holzmeister erhielt über den Bundesbruder der Norica und väterlichen Freund, Rudolf Pichler, eine Anstellung bei der Bauberatungsstelle der Deutschen Heimat und konnte bereits im Jahre 1914 die Volksschule in Marbach an der Donau realisieren, die als sein Erstlingswerk bekannt ist.
Die Gemeinde Wien schrieb im März 1921 einen Wettbewerb für eine Feuerbestattungsanlage auf dem Wiener Zentralfriedhof aus. (…) Als Mitte April 1921 – noch während des baukünstlerischen Wettbewerbes – im Wiener Gemeinderat die Anschaffung eines Einäscherungsofens zur Debatte stand, stimmten die großdeutschen Gemeinderäte mit den Sozialdemokraten für diesen Schritt, während die Christlichsozialen den Beginn eines Kulturkampfes sahen, der sich gegen die „Disziplinargewalt der Kirche“ richte. (…)
Holzmeister beteiligte sich trotz alldem an diesem Wettbewerb. Dies leitete für ihn – wie er später oft ausführte – eine Lebenswende ein. Seine Karriere zwischen Kunst und Politik nahm hier ihren Anfang. (…)
Die Entscheidung für Holzmeister fiel am 28. September 1921 in einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Wohlfahrtswesen und für technische Angelegenheiten. (…)
In diesen Tagen sandte die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs ein Telegramm an den Bürgermeister der Stadt Wien, indem sie gegen die Art der Erledigung des Wettbewerbes Protest einlegte. Der Endzweck ihres Strebens sei „die künstlerisch einwandfreie Erledigung dieser Baufrage“. Die Zentralvereinigung machte sich erbötig, einen neuen engeren Wettbewerb unverzüglich durchzuführen und ihn materiell zu unterstützen. Bis dahin bat man die Erledigung dieser Bauaufgabe zu vertagen.
Die Sitzung des Gemeinderates fand wenige Tage später am 7. Oktober 1921 statt. (…) In seinem Schlusswort führte Gemeinderat Franz Siegel unter anderem aus: „In Sachen Kunst ist es schwer zu sprechen. (…) Ich glaube, wir gehen damit den richtigen Weg, wenn wir das tun, was der Ausschuss beschlossen hat. Der Name Holzmeister hat einen guten Klang, und ich glaube nicht, dass man in Sachen der Kunst auf dem Standpunkte stehen kann, der angedeutet worden ist, dass die Grenze von Wien eine Rolle spielen muss.“
(…) Zu guter Letzt hatte Friedrich Achleitner im Jahre 1990 treffend geurteilt: „Wie immer man dies beurteilen mag, Tatsache ist, dass Holzmeister auf den manieristischen Formbestand mit einer eigenen expressiven Formenwelt reagierte, die, prägnant und unentschieden in einem, einen Dialog aufnahm, dessen Theatralik und Pathos man sich auch heute nicht entziehen kann. Dem katholischen Tiroler ist es gelungen, diesem atheismusverdächtigen Kult die Aura religiösen Rituals zu verschaffen.“
Hier wird es verwirrend. Die Feuerbestattung wurde durch liberale, freidenkerische Kräfte und Freimaurer populär gemacht und es war der Arbeiterbestattungsverein „Die Flamme“, der diesen ersten Krematoriumsbau ermöglichte. Die Feuerhalle von Holzmeister wird gewürdigt als „ein Denkmal der Überwindung der Reaktion“.5 Die Gemeinde Wien, zu dieser Zeit das „Rote Wien“ genannt, will das Projekt des bekennenden Burschenschafters umsetzen, gegen den Widerstand der Zentralvereinigung? Was war die Lebenswende: dass man sich auch mit den „Sozis“ gutstellen muss, um bauen zu können, oder wurde er gar Freimaurer …? 50 Jahre später erzählte er: „… da erhoben sich bei der dort damals üblichen engen Gesinnung Bedenken, ob ein katholischer Kirchenbauer auch ein Krematorium planen dürfe. Ich wusste diese Bedenken durch ein Attest aus dem Vatikan in Rom völlig zu zerstreuen, es kam nämlich der Bescheid von dort, dass dies keine Sünde sei.“6
Am 12. Juni 1924 ernannte Bundespräsident Dr. Michael Hainisch „den Architekten Ingenieur Doktor Clemens Holzmeister mit Wirksamkeit vom 1. Oktober 1924 zum Ordentlichen Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien. (…) Mit 38 Jahren hatte Holzmeister erreicht, was für andere ein Lebensziel war. Für ihn aber war es ein Ausgangspunkt für neue akademische, gesellschaftliche und politische Höhen. (…)
Von seinem Vorgänger Ohmann konnte er keine Räume übernehmen. Seit dessen Berufung im Jahre 1904 kämpfte dieser um die Gleichstellung mit Otto Wagner, zuvorderst in räumlicher Hinsicht. Während Wagner ideale Bedingungen hatte – ein Privatatelier in der Mitte der Meisterschulräume mit zehn Fenstern –, klagte Ohmann über zu kleine und nicht zusammenhängende Räume, die mit nur fünf Fenstern auch schlecht belichtet waren. Als er keine Veränderung erreichen konnte, mietete er zunächst auf eigene und später auf Staatskosten nach und nach Räume in seinem Wohn- und Atelierhaus in der Viktorgasse, nahe dem Theresianum, an. Als Holzmeister kam, hatte Ohmann nur mehr einen einzigen Raum am Schillerplatz – gleichsam als Stützpunkt. Also musste auch Holzmeister um Räume kämpfen. Er hatte sofort Erfolg.
Zurück also zu den bestehenden Netzwerken, nachdem aus weiteren Bauaufträgen im „Roten Wien“ nichts geworden war. Es war ein rein amtspolitischer Akt, als der parteilose Hainisch Holzmeister die Professur verliehen hat; andrerseits war Michael Hainisch7 mit seiner Heimatgemeinde Gloggnitz in gutem Kontakt und hat den Auftrag an Clemens Holzmeister, eine katholische Kirche zu planen, zweifellos gutgeheißen. Vermittelt wurde dieser allerdings von höchster Stelle, nämlich vom damaligen Erzbischof von Wien, Gustav Piffl, der dem Ortspfarrer nahelegte, Holzmeister einzuladen. 1927 wurde mit der Planung, 1933 mit dem Bau begonnen, das basilikale Kirchenschiff wurde erst 1962 fertiggestellt.8
Im März 1926 erreichte Holzmeister ein Hilferuf von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl aus Salzburg. Damit begann seine Arbeit für die Salzburger Festspiele, die ihn sein weiteres Leben begleiten sollte.
(…) Ein Jahr zuvor schuf Architekt Eduard Hütter unter starkem Einfluss von Max Reinhardt und Alfred Roller, „in angstvoll gedrängten Tag- und Nachtschichten“, so Holzmeister 1966, überstürzt das erste Festspielhaus – durch Umgestaltung der ehemaligen Erzbischöflichen Hofreitschule.
(…) Das Festspielhaus wies grobe Mängel auf. Holzmeister: „Die Sichtverhältnisse waren schlecht, weil die Neigung des Parterres zu gering war. Die in kaltem Eisenbeton ausgeführten Galerien, besonders die beiden seitlichen, waren viel zu hoch.“ Auch von dort war die Sicht auf die Bühne schlecht und das Anstoß nehmende Publikum groß. Holzmeister sollte nun im Auftrag Rehrls in wiederum kurzer Zeit all dies verbessern. Glücklicherweise gab es zwischen beiden von Anfang an ein Vertrauensverhältnis: Rehrl war wie Holzmeister schon in seiner Gymnasialzeit einer Verbindung des Mittelschüler-Kartellverbandes beigetreten und fand 1910 als Student der Rechtswissenschaften in die CV-Verbindung Austria-Wien Aufnahme.
Ich wiederhole mich: Zurück zu den Netzwerken!
Max Reinhardt arbeitete nicht nur in Salzburg, sondern davor schon in Berlin eng mit dem Architekten und Bühnenbildner Oskar Strnad (1879–1935) zusammen. (…) Holzmeister hatte mit dem ersten Festspielhausumbau begonnen, sich auch als Bühnenbildner zu betätigen, und stand daher bald in Wettbewerb mit Strnad. Dieser scheint bei der Errichtung der sogenannten „Fauststadt“ [1933, Anm.] für die Salzburger Festspiele einen Höhepunkt erreicht zu haben. (…)
Der österreichische Schriftsteller und Wochenpresse-Journalist Lucian O. Meysels, der 1938 nach Palästina emigrierte und danach Geschichte und Archäologie in London, Wisconsin und Wien studierte, stützte sich in seinem 1984 erschienenen Buch über Bertha Zuckerkandl und ihre Zeit vermutlich auf ihre „Erinnerungen“: „An der Einmischung von Oben bricht die langjährige Zusammenarbeit zwischen Reinhardt und seinem Bühnenbildner Oskar Strnad auseinander. Die Kulturbehörden stellen Reinhardt vor die Wahl, entweder auf Strnad zu verzichten oder auf seinen ‚Faust‘. Um die Produktion zu retten, gibt Reinhardt noch einmal nach. Er muss einen theaterfremden Bühnenbilder akzeptieren, aber dennoch wird der ‚Faust‘ in der Felsenreitschule bei leidlichem Wetter zu einem großen Erfolg. Zu dem übrigens der blutjunge Herbert von Karajan als Dirigent der Begleitmusik beiträgt.“ Mit dem „theaterfremden Bühnenbildner“ ist, ohne dass er beim Namen genannt wird, Clemens Holzmeister gemeint.
Oskar Strnad (1879–1935) war Jude und natürlich war man nicht verlegen, diesen an Oper und Theater vielbeschäftigten und hochbegabten Kollegen aus dem Geschäft hinauszukomplimentieren. Holzmeister verstand es auch, andere mitzuziehen, wie zum Beispiel Erich Boltenstern. 1934 wechselte er als Assistent zu Holzmeister an die Akademie der bildenden Künste. Antisemitismus wurde durch Austrofaschismus und aufkeimenden Nationalsozialismus salonfähig, und Boltenstern, selbst mit einer Halbjüdin verheiratet, sieht die Option auf das „Protektorat“ durch einen mächtigen Mann der österreichischen Architekturszene als Gebot der Stunde.9
Die kulturelle Anziehungskraft der Weimarer Republik war groß, nicht nur für Luis Trenker [mit dem C. H. in den 1920er Jahren ein Atelier in Bozen betrieb, Anm.], sondern auch für Clemens Holzmeister. (…)
Holzmeister trat Ende April 1928 sein Düsseldorfer Lehramt an. Die Wiener Kollegen bekundeten größtes Interesse an seinem weiteren Verbleib an der Akademie in Wien. Mit dem Einverständnis des preußischen Ministeriums für Kunst und Wissenschaft und dem österreichischen Unterrichtsministerium durfte er zunächst beide Professuren nebeneinander ausüben. (…) In Düsseldorf war vereinbart worden, dass er sich binnen eines Jahres zwischen den beiden Lehrämtern entscheiden müsse, was er jedoch unterließ. (…) Als „ewig Reisender“ pendelte er im Zweiwochen-Rhythmus zwischen Wien und Düsseldorf. Außerdem sah er in seinem Atelier in Ankara, das er seit dem Jahre 1928 zur Bearbeitung von Aufträgen der türkischen Regierung führte, zweimal jährlich für drei Wochen nach dem Rechten. (…) Mit den Berufungsverhandlungen an die Staatliche Kunstakademie in Düsseldorf und dem Auftrag für die Planung der Regierungsbauten in Ankara begann im Jahre 1927 Holzmeisters internationale Karriere.
Im Mai 1930 wurde Holzmeister in Begleitung von Arthur Waldapfel zu einer Audienz in die alte Villa Kemal Atatürks geladen. Sie lag auf einer Anhöhe über der Stadt und bot einen weiten Blick ins anatolische Land. Es ging zunächst um die Frage: Abbruch des alten Gebäudes und Neubau an dieser Stelle oder Suche nach einem anderen Bauplatz. Holzmeister setzte Atatürk auseinander, dass das alte Haus ein wesentliches Stück Geschichte sei, von hier aus habe er sein neues Land begründet, aus diesem Grunde sollte es für alle Zeiten erhalten bleiben. Damit hatte er das Herz Atatürks offenbar restlos gewonnen. (…) Holzmeister bekam den Auftrag und baute in unmittelbarer Nähe, an eine Felskuppe geschmiegt, ein neues Palais. Er stand bald im Banne des obersten Bauherrn der Türkei: „Oftmals während des Baues hatte ich Gelegenheit, dieser überragenden Persönlichkeit, diesem Mann von furchterregender Strenge und der Stimme eines ‚Bassermann‘ zu begegnen.“ Dieser Vergleich zeigt die enge Verbundenheit Holzmeisters mit dem Theater. Albert Bassermann (1867–1952) war ein Charakterdarsteller, bekannt durch Rollen wie Mephisto, Hamlet oder Protagonisten bei Ibsen. (…) An anderer Stelle bekennt Holzmeister über Atatürk: „… die stärkste und eigenwilligste Persönlichkeit, die mir je begegnet ist.“
Auf die Eigenwilligkeit der Person reagierte er jedoch nicht mit einem eigenwilligen Entwurf, sondern mit jener Architektursprache, die seit jeher Macht und Erhabenheit zum Ausdruck bringt, dem Klassizismus und Neoklassizismus. Vielmehr wurden Gebäude aufgeführt, die der neu gegründeten Republik Türkei Bodenhaftung verleihen sollten – das gilt für das Generalstabsgebäude der ersten Bauphase ebenso wie für das Parlamentsgebäude Ende der 1930er Jahre. Fürs Emotionale ließ Holzmeister die Villa stehen, beim Palais Atatürk hingegen probte er, „möglicherweise unter starkem Einfluss Fellerers“10, eine klare moderne Formensprache.
Während Holzmeister also 1933 sein Lehramt in Düsseldorf verlor, gleichzeitig am Entwurf für den Katholikentag arbeitete, entwickelten sich die politischen Verhältnisse auch in Österreich in dramatischer Weise. Seit Anfang März war das Parlament lahm gelegt, Ende Mai wurde die Kommunistische Partei Österreichs, Ende Juni die NSDAP verboten. Das Ende des Parteienstaates zeichnete sich ab, und das Verlassen des Legalitätsprinzips wurde immer spürbarer. (…)
Der Katholikentag vom 7. bis 12. September 1933 war von den geschilderten politischen Ereignissen (…) überschattet. (…) Das Gesamtthema lautete „Christus und das Abendland“, wobei drei große Ereignisse den Hintergrund bildeten: Vor 500 Jahren wurde der Stephansturm vollendet, vor 250 Jahren erfolgte Wiens „Errettung“ aus der „Türkenbelagerung“, vor 80 Jahren fand in Wien zum ersten Mal ein Allgemeiner Deutscher Katholikentag statt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Regierungsarchitekt der Türkei in Wien die wohl größte Türkenbefreiungsfeier aller Zeiten zu gestalten hatte.
Dass der tatsächliche „Untergang des Abendlandes“ kurz bevorstand, müsste eigentlich allen aufmerksamen Österreichern längst bewusst gewesen sein …
Durch die starke politische Stellung des Cartellverbandes in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verband Holzmeister das freundschaftliche Du-Wort und das Ideal der Lebensfreundschaft mit fast allen Würdenträgern des Staates. Cartellmitglieder stellten im demokratischen Abschnitt der Ersten Republik mehr als die Hälfte der Bundeskanzler. Ähnlich stark waren sie unter den Bundesministern vertreten. Bei den Nationalratsabgeordneten der Christlichsozialen Partei bewegte sich der Anteil in den Jahren von 1920 bis 1930 zwischen 26 und 35 Prozent. Im Ständestaat erlangte der Cartellverband eine staatstragende Bedeutung wie nie davor oder danach. Weite Kreise sahen in ihm eine „Auslesebewegung“, zur Führung des Staates wie berufen. Im Staatsrat waren rund 30 Prozent Mitglieder des Cartellverbandes – Holzmeister war also von Freunden umgeben.
„Am 14. März (1938, Anm.) kamen sehr verstört die Kinder von Holzmeister zu uns. Sie berichteten, dass am Samstag Fellerer in der Kunstgewerbeschule mit Gewalt abgeholt wurde, und befürchteten, dass Ähnliches auch an der Akademie passieren könnte. Holzmeister, der unter den Nazis viele Feinde hatte, war glücklicherweise zufällig in der Türkei, wo er bei seinen Bauten zu tun hatte.“11 Auch Holzmeister hatte flüchten müssen, denn „der staatstragende Architekt Clemens Holzmeister hatte mehrere Schlüsselpositionen im ‚Ständestaat‘ inne und war zudem persönlicher Freund von Dollfuß und Schuschnigg.“12
Wie nahe Holzmeister den großen Entscheidungsträgern des Ständestaates gewesen ist, zeigt ein Bericht des „Neuländers“ Hans Walter Hannau. Er war promovierter Jurist und arbeitete als Richter und als Bundespolizeikommissar. Nach einer wechselvollen Haft konnte er am 21. April 1939 aus Österreich flüchten und über die Niederlande nach New York gelangen. Hannau berichtete 2008: „Das war ein Komitee von Schuschnigg, das sich einmal im Monat im Erzbischöflichen Ordinariat am Stephansplatz 3 getroffen hat. Da war ich auch mit eingeladen. (…). Wenn Schuschnigg nicht da war, war Holzmeister der Vorsitzende. Dann waren dabei die Fürstin Starhemberg, Seyß-Inquart, ein Sektionsrat und ich. (…) Dort hat Schuschnigg darauf hingearbeitet, dass Seyß-Inquart ein Nazi wird – zum Schein natürlich nur –, und dass er ihn dann in die Regierung nehmen kann, damit er die Nazis als Freunde in der Regierung hat. Das ist ihm ja auch tatsächlich gelungen. Seyß- Inquart war ja gar nicht interessiert daran, das zu machen. So war das eigentlich.“ Hannaus Schilderung ist durch die umfangreiche zeitgeschichtliche Forschung bestätigt.
Am 25. Juni 1937 bewahrheitete sich für Holzmeister das alte Diktum „ex oriente lux“: Die Ausschreibung des internationalen Wettbewerbs für den „Palast der Großen Nationalversammlung der Türkei“ in Ankara wurde bekannt gegeben. Dies leitete für ihn die wohl entscheidendste Wende seines Lebens im guten Sinne ein. (…)
In jenen Tagen des März 1938 empfand Holzmeister ein zweifaches Glück: Er hatte den Auftrag für das Parlamentsgebäude in Ankara bekommen und war so während der revolutionären Tage der nationalsozialistischen Machtergreifung weg von Wien (…)
An der Akademie der bildenden Künste in Wien wurde Holzmeister im März 1938 zunächst vom Dienst enthoben, bevor er später zwangspensioniert wurde.
Ab April 1939 war Franz von Papen Deutscher Botschafter in Ankara. Holzmeister kannte er von seiner Tätigkeit als Gesandter in Wien zwischen 1934 und 1938. Er hatte mit ihm ein gutes Einvernehmen. Holzmeister verkehrte zwar in der deutschen Kolonie, wollte aber nicht als Emigrant, sondern als deutscher Staatsbürger gelten. Papen bemühte sich neben anderen, Holzmeisters Pensionskürzung rückgängig zu machen, was spät, aber 1942/43 doch gelang. Ansonsten strebte Holzmeister danach, politisch in keiner Weise aufzufallen.
Holzmeister nannte seine Niederlassung in Istanbul eine „Insel des Friedens“13 und tatsächlich trafen sich „in Tarabya am Bosporus, einem Villenvorort von Istanbul“14, Geflüchtete und Widerständler wie Margarete Schütte-Lihotzky und Herbert Eichholzer, die beide bei ihm Arbeit fanden. Holzmeister nahm alle auf und gewann so auch erstklassige Kräfte. Schütte-Lihotzky und Eichholzer waren keine Juden, aber Kommunisten und kehrten 1940 nach Österreich zurück, um aktiv im österreichischen Widerstand etwas zu bewegen. Beide wurden wegen Hochverrats angeklagt, Schütte-Lihotzky zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die sie 1942 antrat, Eichholzer wurde zum Tode verurteilt und 1943 gehängt.
Holzmeister selbst war wie erwähnt auch gefährdet und er führte „seinen großen türkischen Auftrag“ an, um seinen Verbleib in Istanbul gegenüber der Deutschen Botschaft zu begründen, „… im Übrigen hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt (sic!) um nicht als Emigrant zu gelten.“15
Am 22. Oktober 1941 richtete Botschafter Franz von Papen ein Schreiben an das Außenamt in Berlin (…): „Holzmeister ist in weiten Kreisen als hervorragender deutscher Architekt und Künstler bestens bekannt. Seine Werke in Deutschland, ebenso wie seine Leistungen im Auslande, ganz besonders in Ankara, haben seinen Ruf als deutscher Baumeister begründet. Bei der türkischen Regierung genießt er großes Vertrauen (…) Für den Neuaufbau unserer kulturellen Beziehungen zur Türkei bildet seine Persönlichkeit einen außerordentlich wichtigen Kristallisationspunkt, zumal als Leiter der türkischen Architekturschule. Ich stelle daher den Antrag, das Auswärtige Amt möge den Reichsminister für Erziehung und Volksbildung ersuchen, die Verfügung des Reichsstatthalters Wien vom 10. März 1939 rückgängig zu machen.“
Schon am 21. Oktober 1946 beschloss das Kollegium der Akademie der bildenden Künste in Wien mit sechs von sieben Stimmen, über das Bundesministerium für Unterricht Holzmeisters erneute Berufung zum Ordinarius und Leiter einer Architekturschule zu erwirken. Die Schule erhielt daraufhin wieder seinen Namen, doch trat er sein Amt zunächst nicht an. Erich Boltenstern und Eugen Wachberger vertraten ihn. Erst später nahm er die Lehrtätigkeit durch mehrmalige Anwesenheit pro Semester wieder auf, was bei stundenweiser Bezahlung und den hohen Reisekosten von Ankara ein finanzielles Opfer bedeutete. Holzmeister erhoffte sich durch seine Rückkehr auch Bauaufträge. Am Wettbewerb für den Wiederaufbau der Staatstheater beteiligte er sich vergeblich, und seine Projekte für das Haas-Haus in Wien, für einen Hotelbau in Innsbruck und ein Österreich-Haus in Frankfurt waren – wie manches andere – ebenfalls erfolglos. So blieb sein Lebensmittelpunkt weiterhin Ankara (…)
„Sehr geehrter Herr von Boltenstern, Freund Wachberger hat mir über den Studienfortgang, der von Ihnen und ihm geführten Schule Eingehendes und, ich muss sagen, Erbauliches berichtet. Es trifft mich hart, bei den Schlussarbeiten nicht zugegen sein zu können …
Meine Gedanken über den Aufbau in der Staatsoper haben Sie ja wohl gelesen. Es ging mir eigentlich darin mehr darum, etwas frische Luft in die Bude zu blasen, es ist aber so ernst genommen worden, dass man, wie es scheint, die Absicht hat, mich zu dem Wettbewerb einzuladen, und so werden wir unsere Klingen in freundschaftlicher Weise kreuzen!“16 In diesem Brief Holzmeisters an Boltenstern im Juni 1947 ist beides drin, der aufrichtige Dank an seine Vertreter, aber auch die Ansage zur Konkurrenz. Der Briefwechsel zwischen den beiden geht bis 1952, durchaus herzlich, aber auch süffisant, wenn er Boltenstern rät, die Überanstrengung zu meiden und auf seine Gesundheit zu achten: „Sie werden nun neben Oper und Pötzleinsdorf auch noch mit Linz … über und über beschäftigt sein.“17
„Bo“ hatte nämlich den Opern-Wettbewerb gewonnen, was Holzmeister sehr geschmerzt hat.
So knüpfte er seine Hoffnung auf einen großen Auftrag immer stärker an Salzburg. (…) Nach Franz Rehrl beförderte ein wiederum starker Landeshauptmann – Josef Klaus – den Ruf der Festspiele in dessen Sinn, ja er wollte seinen Vorgänger sogar übertreffen. (…)
Auf Anregung des Opernregisseurs Herbert Graf wurde die Standortsuche [beim Bau eines neuen Festspielhauses, Anm.] 1953 aber in eine neue Richtung gelenkt – auf einen an das bestehende Festspielhaus und die Felsenreitschule anschließenden Neubau, um so einen Festspielbezirk in der Altstadt zu schaffen. Diese Idee griff Holzmeister sogleich auf. Er entwarf ein Vorprojekt, das zum Ausgangspunkt für alle weiteren Baupläne wurde. In einer Denkschrift hielt er fest, dass ein solches Festspielhaus mit etwa 2.400 Plätzen neben dem bestehenden alten Haus zur Gesundung des Festspielunternehmens führen könne. Die angrenzenden Hofstallungen, damals vom Haus der Natur bespielt, wollte er unter Erhaltung der von Fischer von Erlach entworfenen Barockfassade für den Festspielbezirk nützen und für die Bühne einen Teil des Mönchsbergfelsens – 55.000 Kubikmeter – abtragen. Das Haus der Natur sollte einen Neubau bekommen. Josef Klaus setzte alle weiteren Schritte, und schon Anfang Oktober 1953 trat ein Beratungs- und Finanzierungskomitee auf, das Holzmeisters Projekt zunächst prüfte und schließlich zur Ausführung empfahl.
Holzmeisters Übersiedlung nach Wien im November 1954 war von dieser Salzburger Entwicklung sicherlich beeinflusst. Landeshauptmann Josef Klaus machte sich Holzmeisters Projekt zu eigen und kämpfte mit beispielhafter Zähigkeit bis zur Eröffnung des Großen Festspielhauses. Verglichen mit seinen bisherigen Bauvorhaben war dieses für Holzmeister eine außergewöhnliche Erfahrung. Die politische Landschaft in Salzburg und in der Zweiten Republik war eine völlig andere als in der Ersten Republik oder in der Türkei. Kaum ein Bau im Nachkriegs-Österreich hat die Öffentlichkeit so bewegt wie das Salzburger Festspielhaus.
„Die folgenden Jahre 1955–1957 sind durch drei Aufgaben gekennzeichnet, die an mich herantraten:
1. Die Vorbereitung für den Plan des neuen Festspielhauses;
2. Mein Wirken als Präsident des Österreichischen Kunstsenats;
3. Mein Amt als Rektor der Akademie und als Leiter der Meisterschule.“18
In den Jahren 1956 bis 1960 führte vor allem die finanzielle Entwicklung immer wieder zu erregten Wortgefechten in der Öffentlichkeit. Die Baukosten stiegen von den 1953 genannten 84 Millionen auf 210 Millionen Schilling. Bei diesen Debatten blieben sich die drei Parteien nichts schuldig. Am 14. Februar 1957 begründete der freiheitliche Landtagsabgeordnete Manfred Krüttner die ablehnende Haltung seiner Partei und führte zunächst die Direktbeauftragung des Architekten Holzmeister ins Treffen. Eine einseitige Protegierung seiner Person werde man nicht hinnehmen. Ein weiterer Grund sei die Dimension des Hauses; die kulturelle Aufgabe Salzburgs bestehe nicht in der Durchführung von „Monsteraufführungen nach amerikanischem Vorbild“. Aufgrund der öffentlichen Erregung stellte sich Landeshauptmann Klaus Ende Jänner 1957 im Kaisersaal der Residenz den Kritikern. Er hielt eine schwungvolle Rede, deren wichtigstes Argument war, dass der Bund rund 70 Prozent der Bausumme finanziere und dieser Betrag nur für das Festspielhaus, nicht aber für den Wohnungsbau aufbringbar wäre. Der Neubau hätte erhebliche Impulse für die Salzburger Wirtschaft zur Folge, später vor allem auch für den Fremdenverkehr. Die Festspiele benötigten aus rein finanziellen Gründen ein größeres Haus, da nur ein solches höhere Einnahmen möglich mache.
So viel zum Punkt 1., siehe oben. Er war 69 Jahre alt und sich seiner nun wieder gesicherten Position in Österreich bewusst, mit Debatten zu Baukosten musste er sich nicht lange aufhalten.
Spannender ist Achleitners Befund zu Punkt 3.: „Die technischen Utopien der sechziger Jahre warfen ihre Schatten voraus. Ein Großteil der Holzmeister-Schüler befand sich Ende der fünfziger Jahre bei den Sommerseminaren von Konrad Wachsmann in Salzburg, und was für den ,alten Meister‘ sprach, Holzmeister war mit dabei.“19
In einem Fernsehfilm des ORF sagt der Jüngere [Roland Rainer, Anm.] über den Älteren [C. H.]: „Er war kein Vertreter der modernen Architektur. Ich möchte sagen, er war eher, ganz im österreichischen Sinne, ein konservativer, aber kultivierter Mann. Das, was er gemacht hat, war nicht avantgardistisch, aber es war ein echtes baumeisterliches Können. Und daher sind viele Dinge, die er gebaut hat, auch heute noch in ihrer Qualität unbestritten. Das gilt auch für seine Tätigkeit als Lehrer. Ich habe ja neben ihm an der Akademie unterrichtet, und das war ein sehr harmonisches und gutes Zusammenarbeiten.“ Rainer erkannte klar die Stärken seines Kollegen in der Lehre: „Die in Wien dominierende Holzmeister-Schule war vielleicht auch deshalb so erfolgreich, weil man bei Holzmeister nicht nur sogenannte Architektur, sondern auch gesellschaftliches, taktisches und politisches Geschick beobachten und lernen konnte.“
„Was soll i denn tian?“: Beim Spiel, beim Aufzug, der Prozession fühlte Clemens Holzmeister sich am wohlsten. Inmitten der sozialen Gruppe wollte er „volkstümliche Feste feiern“ (siehe oben) – zutiefst menschlich wird er in allen Schilderungen gezeichnet, von Menschen, die ihn kannten. Entsprechend dem „barocken Kunstempfinden“ pflegte der Tiroler ein barock anmutendes Sozialleben.
„Liebe Schüler und Freunde! Meinen 95. Geburtstag möchte ich in diesem Jahr mit Euch in Wien begehen und so lade ich Euch ein am 24. März 1981 um 19 Uhr nach Nussdorf zu fahren, wo wir uns in dem Euch bekannten Schottenstift zu einem fröhlichen Beisammensein treffen werden.“20
Fußnoten
Abdruck der Ausschnitte aus Wilfried Poschs Buch „Clemens Holzmeister. Architekt zwischen Kunst und Politik“ mit freundlicher Genehmigung des Müry Salzmann Verlags